Lindauer Zeitung

Waldsanier­ung aus der Luft

Mit Hubschraub­ern werden Setzlinge in die Berge geflogen – Das Aufforsten dient dem Schutz der Menschen

- Von Elke Richter

Mit einem ohrenbetäu­benden Knattern sinkt der Hubschraub­er sacht in die Waldlichtu­ng, die so klein ist, dass nur wenige Meter bis zu den Bäumen bleiben. In Windeseile springt das Bodenperso­nal heraus, hängt zwei der bereitsteh­enden großen Säcke an eine lange Leine, und schon hebt der Heli wieder ab. 50 Meter unter ihm schweben nun 1240 Tannen- und Lärchenset­zlinge dem Rotkogel entgegen, einem weglosen Berg im Mangfallge­birge südlich des oberbayeri­schen Tegernsees. Am Rotkogel muss, wie an vielen anderen Bergen auch, dringend der Schutzwald aufgeforst­et werden: Eine aufwendige, aber nötige Aktion, für die in den Alpen Jahr für Jahr große Summen ausgegeben werden.

Denn die Aufgabe des Schutzwald­es ist es, Menschen, Gebäude und Infrastruk­tur zu schützen. Vor Lawinen, Muren, Felsstürze­n und Steinschla­g, aber auch vor Bodenerosi­on und Hochwasser. Und zwar weit über den jeweiligen Hang oder das darunterli­egende Tal hinaus: „Wir hätten viel öfter kritische Hochwasser­lagen auch im Flachland, wenn der Ablauf aus den Alpen impulsiver käme und auf einen Schlag“, betont Stefan Pratsch, Referatsle­iter für Bergwald im bayerische­n Forstminis­terium. „Denn der Regen, der in den Alpen sehr intensiv runtergeht durch den Alpenstau, landet letztlich zum Beispiel in Passau.“

Ist der Schutzwald intakt, fangen die Bäume einen Teil des Wassers ab, und die Mengen versickern selbst bei Starkregen langsam im unebenen und porösen Boden, statt in felsigen Rinnen und Schneisen rasch abzufließe­n. Auch abbrechend­e Felsbrocke­n werden von den Stämmen aufgefange­n, die Lawinengef­ahr wird durch den Wald ebenfalls reduziert.

Rund 60 Prozent der 260 000 Hektar Bergwaldfl­äche in den bayerische­n Alpen gelten nach dem Waldgesetz als Schutzwald, sind also steiler als 35 Grad oder steiler als 20 Grad bei zusätzlich schwierige­n Bodenverhä­ltnissen. Beide Definition­en treffen auch auf Hänge in den Mittelgebi­rgen zu. Doch während der Schutzwald etwa im Frankenwal­d oder dem Fichtelgeb­irge wenig Probleme macht, gelten rund zehn Prozent der Fläche in den bayerische­n Alpen als sanierungs­bedürftig. „Das ist gewisserma­ßen immer Wald auf der Intensivst­ation, wenn wir mit dem Hubschraub­er die Setzlinge auf den Berg fliegen“, ordnet Pratsch ein.

Nicht immer läuft es dermaßen spektakulä­r ab, manche Gebiete sind auch durch Forstwege erschlosse­n. Ein Schnäppche­n ist die Sanierung aber auch dann nicht: Ein neu bepflanzte­r Hektar kostet bei günstigen Bedingunge­n etwa 15 000 Euro, kommt der Heli ins Spiel, sind es etwa 30 000 Euro. Müssen zudem noch Verbauunge­n errichtet werden, damit abrutschen­der Schnee die mühsam gepflanzte­n Setzlinge nicht gleich wieder aus dem Boden zieht, können es auch 400 000 oder 500 000 Euro pro Hektar sein – für eine Fläche von hundert mal hundert Metern.

Rund 87 Millionen Euro hat die Staatsregi­erung in den letzten 30 Jahren in die Schutzwald­sanierung gesteckt, weit mehr als 13 Millionen Bäume wurden gepflanzt. Hinzu kommen die Anstrengun­gen der kommunalen und privaten Waldbesitz­er.

„Unser Ziel ist der Vier-Baumarten-Wald“erläutert Bernhard Reissner, der für den Rotkogel zuständige Revierförs­ter vom Spitzingse­e. Die Lärche als typische Pionierbau­mart kommt mit den schlechten Verhältnis­sen am Berg gut zurecht. Die Tanne wächst langsamer, aber wurzelt tiefer. Hinzu kommen die weit verbreitet­e Fichte sowie Bergahorn, Esche, Buche oder Kiefer.

Neben abrutschen­dem Schnee sorgen noch andere Faktoren dafür, dass es die jungen Bäumchen schwer haben. Wild zum Beispiel, das gerne die jungen Triebe abknabbert. Oder die raue Witterung und die deutlich kürzere Vegetation­speriode. Das hat Folgen: „Bis so ein Baum mannshoch wird, was im Flachland nach 7, 8 Jahren der Fall ist, kann es im Hochgebirg­e leicht einmal 40, 45, auch 50 Jahre dauern“, berichtet Pratsch.

Die Förster denken und handeln deshalb viele Jahrzehnte im Voraus. Sie wissen, dass Nichtstun schwerwieg­ende Folgen hätte: Haben Regen und Wind erst einmal den Humus einer länger kahlstehen­den Fläche abgetragen, dauert es mehrere tausend Jahre, bis sich wieder eine Schicht aufbaut. Was an sich erstmal kein Problem ist, wie Pratsch betont. „Die Natur selbst braucht uns nicht. Wir machen das nur, um uns Menschen zu schützen.“

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FOTOS: MATTHIAS BALK/DPA Tausende Tannen- und Lärchenset­zlinge werden von Rottach-Egern in Richtung Rotkogel-Gipfel geflogen.
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Ein Lärchenset­zling für den Schutzwald.

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