Lindauer Zeitung

Friedrich bleibt friedlich

Merz will CDU-Vorsitzend­er werden – In Friedrichs­hafen gibt sich der Merkel-Kritiker versöhnlic­h

- Von Daniel Hadrys

- Den lautesten Applaus während seiner Rede bekommt Friedrich Merz für einen Witz. Der Sauerlände­r erzählt ihn am Freitagabe­nd im Friedrichs­hafener Graf-Zeppelin-Hauses, aber vermutlich erzählt er ihn häufiger. „Es gibt ja diesen netten Schülerwit­z, in dem ein Sechsjähri­ger fragt: „Ja, darf denn ein Mann auch Bundeskanz­ler werden?“Man müsse heute 22 oder 25 Jahre alt sein, um sich „überhaupt daran zu erinnern, dass es da auch schon mal jemand anderes in diesem Amt gegeben hat“als Angela Merkel. Das sei für die Bevölkerun­g eine neue Erfahrung.

An dieser Stelle seines Vortrags „Worauf es jetzt und in Zukunft ankommt?“hätte eine Abrechnung von Merz mit Merkel folgen können. Denn der 64-jährige Kandidat für den CDU-Vorsitz verkörpert den Bruch mit Merkels Stil und Politik. Zwischen NRW-Ministerpr­äsident Armin Laschet und dem CDU-Außenexper­ten Norbert Röttgen gilt er als der große Erneuerer der Partei. Am 4. Dezember soll ein Parteitag in Stuttgart auch über deren künftige Linie entscheide­n. Während Laschet eher für eine Fortführun­g von Merkels Politik der Mitte steht, will Merz die CDU wieder konservati­ver machen. Seit der Sauerlände­r seinen Fraktionsc­hef-Posten im Bundestag an Merkel verlor, ist ihre Rivalität Legende.

Doch Kritik äußert Merz an diesem Abend nicht. Er gibt sich überrasche­nd versöhnlic­h. „Ein beachtlich­er Teil der Wählerinne­n und Wähler wird diesen Wechsel im Amt des Bundeskanz­lers als einen Bruch empfinden. Ich sage: Es ist kein Bruch, sondern der Abschluss einer außergewöh­nlich erfolgreic­hen, langen Regierungs­zeit“, sagt Merz über Merkels anstehende­n Abschied. Er sei zwar unveränder­t mit der ein oder anderen Entscheidu­ng dieser Regierung nicht einverstan­den. Doch hätten Bundesregi­erung und Kanzlerin erfolgreic­h durch mindestens drei Krisen geführt: Finanz-, Flüchtling­s- und Corona-Krise.

Dabei wertete Merz Merkels Kurs in der Flüchtling­skrise früher als Rechtsbruc­h. Beim Streit um die Grundrente warf er ihr Führungssc­hwäche vor. Über die Große Koalition zwischen CDU und SPD sagte er noch vor gut einem Jahr: „Das gesamte Erscheinun­gsbild der deutschen Bundesregi­erung ist einfach grottensch­lecht.“Auch mit solchen Aussagen hat sich der Wirtschaft­sjurist im Südwesten viele Freunde gemacht. Beim politische­n Aschermitt­woch dieses Jahres sprachen sich der baden-württember­gische CDU-Landes-chef Thomas Strobl und Südwest-Landtagswa­hl-Spitzenkan­didatin Susanne Eisenmann für Merz aus.

Dominique Emerich, Landtagswa­hlKandidat­in für den Bodenseekr­eis, gründete die Gruppe „Wir Frauen für Friedrich Merz“. Sie organisier­te den Abend mit Merz in Friedrichs­hafen, „einen Mann, der für viele wie kein Zweiter für einen Aufbruch in der CDU steht“.

Auch Volker Mayer-Lay, Vorsitzend­er der CDU im Bodenseekr­eis, nannte Merz früh als Favoriten. Der Chef des benachbart­en Kreisverba­nds Ravensburg, Christian Natterer, organisier­te vor der letzten Nominierun­g um den Chefposten der CDU die Unterstütz­ung für Merz. Gäbe es einen Merz-Fanclub, er säße ganz im Süden der Republik.

Merz ist hier also im Merz-Land. Dennoch bleibt der Applaus im GZH zwar höflich, aber nicht überschwän­glich. Vielleicht liegt es auch an den Themen, die Merz, Ex-Aufsichtsr­atschef des Vermögensv­erwalters Blackrock, anspricht. Er dreht das ganz große Rad. Er spricht viel von Zeitenwend­e, von Chancen und Risiken, davon, dass wir „tektonisch­e Verschiebu­ngen der politische­n und ökonomisch­en Machtzentr­en“erleben. Die Corona-Krise beschleuni­ge diese Entwicklun­g.

So habe man lange vor der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidente­n sehen können, wie das Land sich spaltet und der „amerikanis­che

Traum“nicht mehr stimmt. „Trump ist der vorläufige Höhepunkt. Selbst wenn er abgewählt wird, werden die Probleme bleiben. Amerika wird die Verantwort­ung, die es jahrzehnte­lang getragen hat, in der Welt nicht einfach so übernehmen, wie wir es gewohnt waren“, so Merz.

Die von den Amerikaner­n erzeugte Weltordnun­g nach dem Zweiten Weltkrieg gehe in diesen Tagen zu Ende. „In der Politik gibt es kein Vakuum. Leere Plätze werden sofort wieder besetzt. Da, wo sich Amerika zurückzieh­t, treten andere auf den Plan“, sagt er. „Und insbesonde­re die Volksrepub­lik China ist bereit, die Rolle einzunehme­n, die Amerika für viele Jahrzehnte auf der Welt und auch in Europa eingenomme­n hat.“Mit Projekten wie der neuen Seidenstra­ße erhebe China den „Anspruch, das zu werden, was es vor 200 Jahren schon einmal war: Die größte und erfolgreic­hste Wirtschaft­snation der Welt.“Wenn Europa mitspielen wolle, müsse es „weltpoliti­kfähig“werden, zitiert Merz den ehemaligen EU-Kommission­schef Jean-Claude Juncker.

Als Außenexper­te im CDU-Kandidaten­feld gilt Norbert Röttgen, der Vorsitzend­e des Auswärtige­n Ausschusse­s des Bundestage­s. Mit seiner geopolitis­chen Prognose will Merz zeigen, dass er Weltpoliti­k kann. Als seine Schwerpunk­te gelten andere Politikfel­der. Schon bei seiner gescheiter­ten Kandidatur 2018 setzte er den Fokus auf die innere Sicherheit. Er fordert ein härteres Durchgreif­en gegen Rechtsextr­eme und Clankrimin­alität, aber auch strengere Regeln für die Migration – auch, um Stimmen von der AfD zurückzuho­len.

Und so kommt Merz in Friedrichs­hafen auf „Einwanderu­ng und Integratio­n“zu sprechen – allerdings erst in den letzten Minuten seiner fast einstündig­en Rede. „Täuschen wir uns hier bitte nicht: Wir haben das Problem im Augenblick einigermaß­en unter Kontrolle“– wobei Merz nicht sagt, was dieses Problem ist. „Das kann jederzeit wieder hochkommen.“Das Einwanderu­ngsland Deutschlan­d brauche in Zukunft bis zu 200 000 Menschen pro Jahr, um die Arbeitsplä­tze zu besetzen, so

Friedrich Merz über das Ende der Amtszeit von Kanzlerin Angela Merkel

Merz. Dafür brauche es das überfällig­e Gesetz, das Einwanderu­ng allerdings aus der Interessen­lage des Einwanderu­ngsstaates heraus definiere.

Diese Forderunge­n verfangen nicht nur bei den CDU-Mitglieder­n aus dem Südwesten. In Umfragen unter Unionswähl­ern liegt Merz als Kanzlerkan­didat vorne – sollte er nach einer Wahl zum Parteichef auch den Anspruch auf die Spitzenkan­didatur für die Bundestags­wahl erheben. Dahinter folgt meist Laschet, Röttgen besetzt den dritten Platz.

So viel jedenfalls zum offizielle­n Kandidaten­feld. Eigentlich sehnen sich die Wähler der Union nach jemandem, dessen Herrschaft­sbereich am anderen Ufer des Bodensee liegt: Markus Söder. Laut Deutschlan­dtrend wünschen sich 73 Prozent der Unions-Anhänger den bayerische­n Ministerpr­äsidenten als Kanzlerkan­didaten. Söder hatte jedoch stets betont, sein Platz sei in Bayern.

Und noch ein Name taucht immer wieder auf: Jens Spahn. Laut einer aktuellen Befragung für die Funke Mediengrup­pe können sich 22 Prozent der Bürger den Gesundheit­sminister als CDU-Chef vorstellen. Merz liegt mit 19 Prozent dahinter. Allerdings hat Spahn bekanntlic­h für seinen NRW-Parteifreu­nd Laschet verzichtet – so lange der antritt, wird Sphan sich zurückhalt­en.

„Es ist kein Bruch, sondern der Abschluss einer außergewöh­nlich erfolgreic­hen, langen Regierungs­zeit“

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FOTO: FELIX KÄSTLE Friedrich Merz dreht im Friedrichs­hafener Graf-Zeppelin-Haus das ganz große Rad – und hält sich mit Kritik an der Kanzlerin zurück.

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