Friedrich bleibt friedlich
Merz will CDU-Vorsitzender werden – In Friedrichshafen gibt sich der Merkel-Kritiker versöhnlich
- Den lautesten Applaus während seiner Rede bekommt Friedrich Merz für einen Witz. Der Sauerländer erzählt ihn am Freitagabend im Friedrichshafener Graf-Zeppelin-Hauses, aber vermutlich erzählt er ihn häufiger. „Es gibt ja diesen netten Schülerwitz, in dem ein Sechsjähriger fragt: „Ja, darf denn ein Mann auch Bundeskanzler werden?“Man müsse heute 22 oder 25 Jahre alt sein, um sich „überhaupt daran zu erinnern, dass es da auch schon mal jemand anderes in diesem Amt gegeben hat“als Angela Merkel. Das sei für die Bevölkerung eine neue Erfahrung.
An dieser Stelle seines Vortrags „Worauf es jetzt und in Zukunft ankommt?“hätte eine Abrechnung von Merz mit Merkel folgen können. Denn der 64-jährige Kandidat für den CDU-Vorsitz verkörpert den Bruch mit Merkels Stil und Politik. Zwischen NRW-Ministerpräsident Armin Laschet und dem CDU-Außenexperten Norbert Röttgen gilt er als der große Erneuerer der Partei. Am 4. Dezember soll ein Parteitag in Stuttgart auch über deren künftige Linie entscheiden. Während Laschet eher für eine Fortführung von Merkels Politik der Mitte steht, will Merz die CDU wieder konservativer machen. Seit der Sauerländer seinen Fraktionschef-Posten im Bundestag an Merkel verlor, ist ihre Rivalität Legende.
Doch Kritik äußert Merz an diesem Abend nicht. Er gibt sich überraschend versöhnlich. „Ein beachtlicher Teil der Wählerinnen und Wähler wird diesen Wechsel im Amt des Bundeskanzlers als einen Bruch empfinden. Ich sage: Es ist kein Bruch, sondern der Abschluss einer außergewöhnlich erfolgreichen, langen Regierungszeit“, sagt Merz über Merkels anstehenden Abschied. Er sei zwar unverändert mit der ein oder anderen Entscheidung dieser Regierung nicht einverstanden. Doch hätten Bundesregierung und Kanzlerin erfolgreich durch mindestens drei Krisen geführt: Finanz-, Flüchtlings- und Corona-Krise.
Dabei wertete Merz Merkels Kurs in der Flüchtlingskrise früher als Rechtsbruch. Beim Streit um die Grundrente warf er ihr Führungsschwäche vor. Über die Große Koalition zwischen CDU und SPD sagte er noch vor gut einem Jahr: „Das gesamte Erscheinungsbild der deutschen Bundesregierung ist einfach grottenschlecht.“Auch mit solchen Aussagen hat sich der Wirtschaftsjurist im Südwesten viele Freunde gemacht. Beim politischen Aschermittwoch dieses Jahres sprachen sich der baden-württembergische CDU-Landes-chef Thomas Strobl und Südwest-Landtagswahl-Spitzenkandidatin Susanne Eisenmann für Merz aus.
Dominique Emerich, LandtagswahlKandidatin für den Bodenseekreis, gründete die Gruppe „Wir Frauen für Friedrich Merz“. Sie organisierte den Abend mit Merz in Friedrichshafen, „einen Mann, der für viele wie kein Zweiter für einen Aufbruch in der CDU steht“.
Auch Volker Mayer-Lay, Vorsitzender der CDU im Bodenseekreis, nannte Merz früh als Favoriten. Der Chef des benachbarten Kreisverbands Ravensburg, Christian Natterer, organisierte vor der letzten Nominierung um den Chefposten der CDU die Unterstützung für Merz. Gäbe es einen Merz-Fanclub, er säße ganz im Süden der Republik.
Merz ist hier also im Merz-Land. Dennoch bleibt der Applaus im GZH zwar höflich, aber nicht überschwänglich. Vielleicht liegt es auch an den Themen, die Merz, Ex-Aufsichtsratschef des Vermögensverwalters Blackrock, anspricht. Er dreht das ganz große Rad. Er spricht viel von Zeitenwende, von Chancen und Risiken, davon, dass wir „tektonische Verschiebungen der politischen und ökonomischen Machtzentren“erleben. Die Corona-Krise beschleunige diese Entwicklung.
So habe man lange vor der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten sehen können, wie das Land sich spaltet und der „amerikanische
Traum“nicht mehr stimmt. „Trump ist der vorläufige Höhepunkt. Selbst wenn er abgewählt wird, werden die Probleme bleiben. Amerika wird die Verantwortung, die es jahrzehntelang getragen hat, in der Welt nicht einfach so übernehmen, wie wir es gewohnt waren“, so Merz.
Die von den Amerikanern erzeugte Weltordnung nach dem Zweiten Weltkrieg gehe in diesen Tagen zu Ende. „In der Politik gibt es kein Vakuum. Leere Plätze werden sofort wieder besetzt. Da, wo sich Amerika zurückzieht, treten andere auf den Plan“, sagt er. „Und insbesondere die Volksrepublik China ist bereit, die Rolle einzunehmen, die Amerika für viele Jahrzehnte auf der Welt und auch in Europa eingenommen hat.“Mit Projekten wie der neuen Seidenstraße erhebe China den „Anspruch, das zu werden, was es vor 200 Jahren schon einmal war: Die größte und erfolgreichste Wirtschaftsnation der Welt.“Wenn Europa mitspielen wolle, müsse es „weltpolitikfähig“werden, zitiert Merz den ehemaligen EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker.
Als Außenexperte im CDU-Kandidatenfeld gilt Norbert Röttgen, der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages. Mit seiner geopolitischen Prognose will Merz zeigen, dass er Weltpolitik kann. Als seine Schwerpunkte gelten andere Politikfelder. Schon bei seiner gescheiterten Kandidatur 2018 setzte er den Fokus auf die innere Sicherheit. Er fordert ein härteres Durchgreifen gegen Rechtsextreme und Clankriminalität, aber auch strengere Regeln für die Migration – auch, um Stimmen von der AfD zurückzuholen.
Und so kommt Merz in Friedrichshafen auf „Einwanderung und Integration“zu sprechen – allerdings erst in den letzten Minuten seiner fast einstündigen Rede. „Täuschen wir uns hier bitte nicht: Wir haben das Problem im Augenblick einigermaßen unter Kontrolle“– wobei Merz nicht sagt, was dieses Problem ist. „Das kann jederzeit wieder hochkommen.“Das Einwanderungsland Deutschland brauche in Zukunft bis zu 200 000 Menschen pro Jahr, um die Arbeitsplätze zu besetzen, so
Friedrich Merz über das Ende der Amtszeit von Kanzlerin Angela Merkel
Merz. Dafür brauche es das überfällige Gesetz, das Einwanderung allerdings aus der Interessenlage des Einwanderungsstaates heraus definiere.
Diese Forderungen verfangen nicht nur bei den CDU-Mitgliedern aus dem Südwesten. In Umfragen unter Unionswählern liegt Merz als Kanzlerkandidat vorne – sollte er nach einer Wahl zum Parteichef auch den Anspruch auf die Spitzenkandidatur für die Bundestagswahl erheben. Dahinter folgt meist Laschet, Röttgen besetzt den dritten Platz.
So viel jedenfalls zum offiziellen Kandidatenfeld. Eigentlich sehnen sich die Wähler der Union nach jemandem, dessen Herrschaftsbereich am anderen Ufer des Bodensee liegt: Markus Söder. Laut Deutschlandtrend wünschen sich 73 Prozent der Unions-Anhänger den bayerischen Ministerpräsidenten als Kanzlerkandidaten. Söder hatte jedoch stets betont, sein Platz sei in Bayern.
Und noch ein Name taucht immer wieder auf: Jens Spahn. Laut einer aktuellen Befragung für die Funke Mediengruppe können sich 22 Prozent der Bürger den Gesundheitsminister als CDU-Chef vorstellen. Merz liegt mit 19 Prozent dahinter. Allerdings hat Spahn bekanntlich für seinen NRW-Parteifreund Laschet verzichtet – so lange der antritt, wird Sphan sich zurückhalten.
„Es ist kein Bruch, sondern der Abschluss einer außergewöhnlich erfolgreichen, langen Regierungszeit“