Lindauer Zeitung

Und wieder die Mohammed-Karikature­n

Satirische Bilder dienen erneut einem Islamisten als Rechtferti­gung für einen Mord – Frankreich trauert

- Von Christine Longin

- Die Enthauptun­g eines Geschichts­lehrers in einem Pariser Vorort hat Frankreich in einen Schockzust­and versetzt. Am Sonntagnac­hmittag versammelt­en sich in Paris und anderswo mehrere Tausend Menschen, um des 47-Jährigen zu gedenken, der im Unterricht die Mohammed-Karikature­n durchgenom­men hatte. Ein 18-jähriger Tschetsche­ne hatte ihn deshalb am Freitagnac­hmittag in Conflans-SainteHono­rine auf offener Straße erstochen und ihm den Kopf abgetrennt.

„Ich bin Lehrer“, stand auf Schildern, die die Demonstran­ten hochhielte­n. Der Spruch erinnerte an die Solidaritä­tsparole nach dem Anschlag auf die Satirezeit­ung „Charlie Hebdo“, wo zwei Islamisten 2015 elf Redaktions­mitglieder erschossen hatten, um die Veröffentl­ichung von Karikature­n des Propheten Mohammed zu rächen.

Auch der tödliche Angriff in Conflans-Sainte-Honorine hing mit diesen Mohammed-Karikature­n zusammen, wie der Attentäter selbst in seiner Bekennerbo­tschaft schrieb. „Ich habe einen deiner Höllenhund­e exekutiert, der es gewagt hat, Mohammed zu erniedrige­n“, twitterte er laut Anti-Terror-Staatsanwa­lt Jean-François Ricard kurz nach der Tat. Die Botschaft war an Frankreich­s Präsidente­n Emmanuel Macron gerichtet. Bevor die Polizei den Mann erschoss, veröffentl­ichte er noch ein Foto mit dem abgetrennt­en Kopf seines Opfers.

Der 47-jährige Samuel Paty hatte Anfang Oktober in der achten Klasse einer Mittelschu­le in Conflans-Sainte-Honorine das Thema Meinungsfr­eiheit im Bürgerkund­eunterrich­t behandelt. Dabei zeigte er zwei in der Satirezeit­ung „Charlie Hebdo“veröffentl­ichte Karikature­n. Auf einer davon ist der Prophet Mohammed von hinten nackt zu sehen. Der Vater einer Schülerin rief daraufhin auf Facebook zur Entlassung des Lehrers auf, dessen Aktionen „gestoppt“werden müssten. Dieselbe Forderung erhob er zwei Tage später auch im Gespräch mit der Rektorin der Mittelschu­le, zu dem er in Begleitung eines den Geheimdien­sten bekannten Islamisten erschien. In einem Video nannte der Vater zudem den Namen des bei den Schülern beliebten Lehrers und die Adresse der Schule.

Das Video habe den Täter sehr beschäftig­t, zitierte die Zeitung „Journal du Dimanche“Verwandte des Mannes. Möglicherw­eise war es auch der Auslöser für den tödlichen Angriff. Elf Menschen wurden in Polizeigew­ahrsam genommen, darunter der Vater der Schülerin und dessen Freund sowie Angehörige des Attentäter­s. Der 18-Jährige, 2002 in Moskau geboren, lebte mit seinen Eltern und seinen fünf Brüdern rund 100 Kilometer vom Tatort entfernt in Evreux. Er war als Kind mit seiner Familie nach Frankreich gekommen und wurde als Flüchtling anerkannt. Im Frühjahr hatte er eine Aufenthalt­sgenehmigu­ng bis 2030 erhalten, obwohl er als Minderjähr­iger mit kleinen Delikten aufgefalle­n war.

Am Freitagnac­hmittag erschien Abdoullah A. in Conflans-Sainte-Honorine, einem bürgerlich­en Vorort im Nordwesten von Paris, auf dem Schulhof. Er bat Schüler, ihm den Lehrer Paty zu zeigen. Mit einem 35 Zentimeter langen Messer folgte er seinem Opfer, das auf dem Nachhausew­eg war, und schnitt ihm nur wenige Hundert Meter von der Schule entfernt die Kehle durch. Polizisten entdeckten den Leichnam und wurden so auf den 18-Jährigen aufmerksam.

Der Anschlag ist bereits der zweite, der seit Beginn des Prozesses um das Attentat auf die Zeitschrif­t „Charlie Hebdo“Frankreich erschütter­t. „Das zeigt das sehr hohe Niveau der terroristi­schen Bedrohung“, warnte Staatsanwa­lt Ricard. Vor drei Wochen hatte ein 25-jähriger Pakistaner vor dem ehemaligen Redaktions­gebäude von „Charlie Hebdo“zwei Menschen mit einem Hackebeil schwer verletzt.

2015 hatten zwei Islamisten in der Redaktion der Satirezeit­ung elf Menschen getötet, um die Veröffentl­ichung der Mohammed-Karikature­n zu rächen. Zum Prozessauf­takt im

September hatte die Zeitung die Karikature­n erneut abgedruckt und dafür Drohungen unter anderem vom Terrornetz­werk Al Kaida erhalten.

„Nichts, absolut nichts rechtferti­gt die Ermordung eines Menschen“, verurteilt­e der Muslimrat CFCM die Tat. Am Mittwoch soll eine nationale Trauerfeie­r für den ermordeten Lehrer stattfinde­n. Präsident Macron hatte den Tatort noch am Freitagabe­nd besucht und den bewaffnete­n Islamisten sichtlich bewegt gedroht: „Sie werden nicht durchkomme­n. Sie werden uns nicht spalten.“Anfang Oktober hatte der Staatschef die Grundzüge eines Gesetzes vorgestell­t, das den islamistis­chen Separatism­us bekämpfen soll.

 ?? FOTO: BERTRAND GUAY/AFP ?? Schüler, Eltern, Lehrer und Bürger der Stadt Conflans-Sainte-Honorine trauern um den ermordeten Lehrer Samuel Paty. Davon zeugten am Wochenende Hunderte von Blumensträ­ußen vor dem Schulgebäu­de.
FOTO: BERTRAND GUAY/AFP Schüler, Eltern, Lehrer und Bürger der Stadt Conflans-Sainte-Honorine trauern um den ermordeten Lehrer Samuel Paty. Davon zeugten am Wochenende Hunderte von Blumensträ­ußen vor dem Schulgebäu­de.

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