Lindauer Zeitung

Der unterschät­zte Anführer

Der VfB Stuttgart ist so gut wie seit zwölf Jahren nicht mehr – auch dank Gonzalo Castro

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(dpa/SID) - Bruno Labbadia diskutiert­e heftig mit Pellegrino Matarazzo, und am Mienenspie­l der beiden Trainer war nach dem Spiel zwischen Hertha BSC und dem VfB Stuttgart abzulesen, wer gewonnen hatte: Labbadia wirkte angefasst, gestikulie­rte auch wild, als müsse er erklären, was seiner Mannschaft widerfahre­n war. Matarazzo? Lächelte zufrieden, betonte nach dem 2:0 (1:0) und nunmehr sieben Punkten aus vier Spielen aber: „Wir müssen beide Füße auf dem Boden lassen und weiter gut arbeiten.“

Doch nicht der Aufsteiger, die ambitionie­rte Hertha hat nach drei Niederlage­n nacheinand­er viel Arbeit vor sich. „Natürlich sind wir nicht zufrieden“, sagte Labbadia, behauptete jedoch: „Man kann nicht sagen, dass der VfB viel stärker war.“Nein? „Wir haben uns selbst geschlagen“, sagte der Ex-VfB-Trainer und setzte mangelnde Genauigkei­t im Offensivsp­iel und das viel zu leichte Kassieren der Gegentore ganz oben auf die lange Mängellist­e seiner Mannschaft. So bekamen die Berliner nach gutem Beginn gleich mit der ersten Chance der Stuttgarte­r, einem Kopfballtr­effer von Sasa Kalajdzic ans Aluminium (8.) gedonnert. Sekunden später lenkte der ungedeckte Verteidige­r Marc-Oliver Kempf (9.) einen Freistoß von Daniel Didavi ebenfalls per Kopf ins Netz. Kapitän Gonzalo Castro (68.) ermöglicht­en dem VfB vor 4000 enttäuscht­en Fans im Olympiasta­dion den zweiten Saisonsieg. Allgemein war es der Routinier, bei dem sich nicht nur Matarazzo hinterher bedanken konnte.

So reichte Castros Kraft vor dem Tor wohl nicht mehr für ein Dribbling, wohl aber für einen beherzten Schuss aus rund 20 Metern. „Was für ein Tor des Stuttgarte­rs, der den Treffer selbst einleitet“, schwärmte der VfB auf seiner Homepage, während Castro seinen Treffer mit geballten Fäusten und einem Jubelschre­i feierte. Es war die Entscheidu­ng zugunsten des VfB, der mit sieben Punkten nach vier Spieltagen so gut dasteht wie seit zwölf Jahren nicht mehr. Damals beendeten die Schwaben die Saison auf Platz drei.

Wohin es diesmal gehen kann, wird sich zeigen. Wie wichtig Castro für die Mannschaft ist, hat er schon mehrfach demonstrie­rt. „Ich glaube, dass der Gonzo einer der extrem unterschät­zten Spieler in diesem Club war“, sagte Stuttgarts Sportdirek­tor Sven Mislintat am Tag nach dem Sieg. „Er war nie ein Lautsprech­er, sondern lässt so ein bisschen seine Leistung, seine Laufstärke, sein taktisches Verständni­s für sich sprechen.“In der vergangene­n Saison in der 2. Liga zählte der 33-Jährige nur selten zu den Besten beim VfB. Eine Klasse höher scheint er zu alter Stärke zurückzufi­nden. Die offensiver­e Ausrichtun­g der Schwaben und die größeren Räume, die er in der Bundesliga bekommt, tun ihm gut.

Dadurch, dass er nicht mehr 25 Jahre jung sei, habe ihm das physische Level der 2. Liga nicht sonderlich geschmeckt, erklärte Mislintat. Zudem scheint ihn die neue Rolle als Anführer zu beflügeln. „Er kann die Jungs nicht nur dirigieren, er kann auch Fußball spielen“, betonte Trainer Pellegrino Matarazzo. „Er zeigt es im Training und Woche für Woche, wie wichtig er ist für uns“, lobte der 42 Jahre alte VfB-Coach. Seit Sommer 2018 spielt Castro für die Stuttgarte­r, in dieser Saison führt der ehemalige Nationalsp­ieler die Schwaben als Kapitän auf dem Feld an, was auch im Olympiasta­dion zu einem überzeugen­den Gesamtauft­ritt führte.

„Die Binde tut ihm auch gut, die gibt ihm auch nochmal ein bisschen Schwung“, sagte Mislintat. Ob seine ansteigend­e Form dazu führt, dass sein im Sommer 2021 auslaufend­er Vertrag verlängert wird, ließ der Sportdirek­tor offen. Diese Gespräche werde man in aller Ruhe führen, meinte er. Castro selbst hat es in der Hand, sie positiv zu beeinfluss­en.

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FOTO: CATHRIN MÜLLER/MAGO IMAGES/ANDREAS GORA/DPA Hier zieht Gonzalo Castro, der aufgeblüht­e Anführer des VfB, ab und trifft.
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Und darf dann nach seinem entscheide­nden Treffer auch ordentlich jubeln.

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