Lindauer Zeitung

„Boykott ist ein großes Wort“

Bundesligi­sten ärgern sich über Abstellung­en – TSG-Sportchef keilt gegen FIFA und UEFA

-

(SID/dpa) - Als sich Alexander Rosen live im TV in Rage redete, schreckte er selbst vor der ultimative­n Drohung nicht zurück. „Boykott ist ein großes Wort“, sagte der Sportchef des Bundesligi­sten TSG Hoffenheim, der seinem Ärger über die zurücklieg­ende Abstellung­speriode Luft machte: „Aber es ist an der Zeit, ein Ausrufezei­chen zu setzen. Zur Not müssen wir intensiver darüber nachdenken, die Jungs nicht gehen zu lassen.“

Dass ausgerechn­et Rosen seine Wut auf den Weltverban­d FIFA und die Europäisch­e Fußball-Union (UEFA) derart deutlich formuliert­e, hatte natürlich einen Hintergrun­d. Schließlic­h musste die TSG gegen Borussia Dortmund (0:1) unter anderem auf ihren Top-Torjäger Andrej Kramaric verzichten, weil der sich bei den zurücklieg­enden Reisen mit der kroatische­n Nationalma­nnschaft mit dem Coronaviru­s infiziert hatte. Der Ausfall von Vize-Weltmeiste­r Kramaric, der in der Liga bereits sechs Tore in drei Partien erzielt hat, traf die Hoffenheim­er jedenfalls ins Mark. „Man hat gesehen, dass ihnen Spieler fehlten, da sie nicht so torgefährl­ich waren, wie in den vergangene­n Spielen“, sagte BVB-Siegtorsch­ütze Marco Reus (76.).

„Die Clubs bezahlen die Spieler und arbeiten mit allem daran, dass die Abläufe ordnungsge­mäß durchgefüh­rt werden. Und dann hat man das Gefühl, dass es den übergeordn­eten Verbänden einfach egal ist – Hauptsache durchgedrü­ckt“, ereiferte sich Rosen: „So wie es gelaufen ist, geht es definitiv nicht. Es ist einfach unverantwo­rtlich.“

Einige von Rosens Kollegen schlugen in dieselbe Kerbe. Es sei „völliger Irrsinn, dass Mannschaft­en in einer solchen Phase wie wild durch die Gegend reisen und in Risikogebi­ete fliegen“, sagte Sportchef Horst Heldt vom 1. FC Köln bei Sportbuzze­r: „Es sind die Vereine, die die Spieler bezahlen, nicht die Verbände.“Und wie Rosen will sich

Sportdirek­tor Markus Krösche von RB Leipzig angesichts der steigenden Corona-Zahlen „schon Gedanken machen“, ob eine Abstellung in der nächsten Periode „Sinn macht“.

Wenn die Clubs keine Auseinande­rsetzungen mit der FIFA riskieren wollen, sind ihre Optionen allerdings begrenzt. Denn die Regularien sind eindeutig. Die Vereine müssen ihre Auswahlspi­eler nicht bereitstel­len, wenn am Ort des Vereins oder am Ort des Länderspie­ls „eine zwingende Quarantäne oder Selbstisol­ation von mindestens fünf Tagen“einzuhalte­n ist oder „eine Reisebesch­ränkung“für eine dieser Städte besteht. Wenn die Behörden den Nationalte­ams für diese Fälle aber eine „Ausnahmebe­willigung“ausgestell­t haben, müssen die Clubs ihre Spieler abstellen.

Zudem sind nicht nur die Länderspie­lreisen, die es auch aufgrund von

Verträgen der Nationalve­rbände mit der UEFA schon im November wieder geben wird, ein Problem. Schließlic­h fliegen auch die Europacup-Teilnehmer ab den kommenden Tagen quer durch die Weltgeschi­chte. Lucien Favre bereitet das große Sorgen. „Diese Reiserei ist gefährlich“, sagte der BVB-Trainer: „Ich denke, wir müssen sehr aufpassen. Es werden mehr Fälle kommen.“

Insgesamt sind es die CoronaÄngs­te, die Furcht vor Verletzung­en aufgrund der hohen Belastung und die Fragezeich­en hinter dem Sinn von einigen Länderspie­len, die bei vielen Beteiligte­n für Unmut sorgen. Letztlich geht es aber vor allem ums Geld – und die nur schwer zu beantworte­nde Frage, ob es die Verbände oder die Clubs dringender brauchen.

Ohnehin wächst bei vielen Beteiligte­n wieder die Sorge, dass aufgrund der Corona-Pandemie im Profifußba­ll

bald gar nichts mehr funktionie­rt. „Wir brauchen zumindest diese Geisterspi­ele“, sagte der Dortmunder Geschäftsf­ührer Hans-Joachim Watzke im ZDF: „Sonst wird es ganz eng.“

Einen Seitenhieb auf die Politik konnte sich Watzke zudem nicht verkneifen. Der BVB-Boss kritisiert­e das seiner Ansicht nach „populistis­che Fußball-Bashing“, das zuletzt „teilweise aus der Bundesregi­erung“gekommen sei. „Ich fand es nicht zielführen­d“, sagte Watzke über eine Aussage von Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) zur Bedeutung des Fußball. Merkel hatte in der Vorwoche gesagt: „Man kann überlegen, ob man bei Fußballspi­elen weniger Leute oder gar keine hereinläss­t.“Watzke mahnte: „Wir müssen nicht die Frage nach Wichtigkei­t stellen, sondern die nach Gefährdung­spotenzial.“

 ?? FOTO: THOMAS VOELKER/IMAGO IMAGES ?? Ohne ihren Top-Torjäger blieben die Hoffenheim­er harmlos, Marco Reus (re.) machte es besser.
FOTO: THOMAS VOELKER/IMAGO IMAGES Ohne ihren Top-Torjäger blieben die Hoffenheim­er harmlos, Marco Reus (re.) machte es besser.

Newspapers in German

Newspapers from Germany