Nervenkrieg vor dem finalen TV-Duell
Für Donald Trump bietet die Debatte die letzte Chance vor der US-Wahl, vor einem großen Publikum Boden gutzumachen
- Bevor die Moderatorin auch nur eine Frage gestellt hat, wurde sie von Donald Trump auch schon dafür kritisiert, dass sie vermeintlich parteiische Fragen stellt. Kristen Welker, Korrespondentin des Senders NBC News im Weißen Haus, wird am Donnerstag versuchen, die zweite und letzte Fernsehdiskussion zwischen Trump und Joe Biden in halbwegs geordnete Bahnen zu lenken. Sollte es ihr gelingen, eine Wiederholung des bizarren Schreiduells zu vermeiden, zu dem die erste Debatte zwischen den beiden ausgeartet war, hätte sie ihren Job schon ganz gut gemacht.
Allerdings schürt der Präsident im Vorfeld den Verdacht, wonach die Journalistin, wie die „MainstreamMedien“überhaupt, ihm gegenüber zu Fairplay nicht fähig sei. „Es gibt Leute da draußen, die können neutral sein. Kristen Welker kann nicht neutral sein“, beschwerte er sich bei „Fox & Friends“, seiner Lieblingssendung. Die Frau stamme aus einer Familie von Demokraten, schon deshalb sei sie voreingenommen.
Die Medienschelte ist Teil des Nervenkriegs vor einem Streitgespräch, von dem sich Trump eine späte Wende erhofft. In Nashville hat er die Gelegenheit, sich vor womöglich 100 Millionen Zuschauern an den Bildschirmen zu rehabilitieren. Sich staatsmännischer zu geben als im September beim ersten TV-Duell in Cleveland, wo er Biden ständig ins Wort fiel.
Trump muss auf jeden Fall Boden gutmachen. Derzeit sehen ihn die Demoskopen auf eine Niederlage zusteuern, was zwar angesichts der Erfahrungen des Jahres 2016 noch nichts bedeuten mag, aber zumindest eine nicht von der Hand zu weisende Momentaufnahme darstellt.
Nach dem Durchschnitt aller Umfragen, ermittelt von der Website Real Clear Politics, liegt der Amtsinhaber landesweit um 8,6 Prozent hinter dem Herausforderer. Und: Auch in den meisten „Swing States“, in denen sich das Rennen entscheidet, muss Trump eine Aufholjagd starten, will er am 3. November gewinnen. In Wisconsin beträgt sein Rückstand sechs, in Pennsylvania knapp vier, in Arizona drei, in North Carolina gut zwei und in Florida 1,6 Prozentpunkte.
Die Fernsehbühne in Nashville bietet ihm die vorerst letzte Chance, sich einem wirklich breiten Publikum live zu präsentieren. Zuletzt stand er vor allem vor jubelnden Anhängern, die ihn nach überstandener Corona-Erkrankung auf Kundgebungen feiern, als wäre er Superman.
Ob Trump über seinen Schatten springen, ob er auf Sachlichkeit umschalten kann, ob der Nervenkrieg nur Vorgeplänkel war – das sind dabei wohl die entscheidenden Fragen.
Kellyanne Conway rät ihm zur Zurückhaltung. Die Publicity-Beraterin spielte beim Endspurt vor vier Jahren eine zentrale Rolle im Wahlkampf. Der Rat der Expertin: Er solle einfach Biden reden lassen, empfahl sie. Das war nicht nur als Appell an die Höflichkeit zu verstehen, sondern auch als Angriff auf den 77-Jährigen. Der neigt nämlich dazu, sich zu verhaspeln. Nach 60, spätestens 70 Minuten, orakelte Conway, würde sich Biden blamieren, ohne dass man nachhelfen müsste.
Trumps Kampagnenmanager Bill Stepien hat der „Presidential Debates Commission“, die die Regeln des Duells festzulegen hat, einen Spitznamen verpasst, der den absurden Vorwurf mangelnder Neutralität untermauern soll: Er nennt sie „Biden Debates
Commission“. Ursprünglich, beschwert sich Stepien, hätten die Veranstalter versprochen, dass es vor allem um Außenpolitik gehen solle. Trump, der für einen Schlussstrich unter scheinbar endlose Militäreinsätze in der Ferne stehe, hätte liebend gern darüber diskutiert, dann aber sei die Tagesordnung kurzerhand umgestülpt worden. Außerdem wird am Donnerstag nur das Mikrofon des Kandidaten eingeschaltet sein, dem der Moderator das Wort erteilt. Damit soll ein ähnlich chaotisches Wortduell wie in der ersten Debatte verhindert werden.
Es sind sechs Themen, die behandelt werden: Coronavirus, Klimawandel, Familienpolitik, nationale Sicherheit, Rassenfragen sowie ein schwammig als Führungsstärke bezeichneter Punkt. Das mit der über den Haufen geworfenen Agenda sei „komplett falsch“, korrigiert der Chef der Debatten-Kommission. Tatsächlich drängt sich der Eindruck auf, als sei Trump vor allem an Außenpolitischem interessiert, weil er Geschäfte von Bidens Sohn Hunter in der Ukraine und China in den Fokus zu rücken versucht.
Seit im Boulevardblatt „New York Post“eine Geschichte über angeblich belastende E-Mails auf Hunter Bidens Laptop-Festplatte erschien, vergeht kein Tag, an dem der Präsident nicht auf ihr herumreitet. Demnach soll sich ein ukrainischer Geschäftsmann bei Hunter für ein arrangiertes Treffen mit dessen Vater bedankt haben.
Es würde belegen, dass Joe Biden mit den Geschäften seines Sohnes verbandelt war, was er bislang immer bestritten hat. Nur ist die Quelle der Geschichte dermaßen dubios, dass seriöse Medienvertreter eine Räuberpistole riechen.
Mit scharfer Anti-China-Rhetorik betreibt US-Präsident Donald Trump Wahlkampf – dabei hat der Republikaner laut einem Medienbericht jahrelang selbst Geschäftsinteressen in der Volksrepublik verfolgt. Wie die „New York Times“berichtet, hatte Trumps Hotel-Gesellschaft während seiner Kandidatur bei der Präsidentschaftswahl 2016 ein Büro in China und kooperierte eng mit einem chinesischen Staatsunternehmen. Ein chinesisches Bankkonto besitzt Trump demnach immer noch. Der Präsident wirft seinem demokratischen Herausforderer Joe Biden immer wieder eine schwache Haltung gegenüber Peking vor. (AFP)