Eltern verklagen den Freistaat auf Unterricht
Während einige wollen, dass ihre Kinder täglich zur Schule gehen, wenden sich andere gegen die Maskenpflicht
- Dass die meisten Mädchen und Jungen im Landkreis nicht mehr täglich zur Schule gehen, sondern nur noch in geteilten Klassen, regt Eltern auf. Andere stören sich an der Maskenpflicht für Grundschüler. Der Landrat hält an den Regeln fest.
Eltern hatten sich auf die Versprechungen der Politik verlassen. Nicht nur Bayerns Ministerpräsident Markus Söder hatte vielfach zugesagt, dass Schulunterricht und Betreuung der Kinder in Krippen und Kindergärten erst als letzte Maßnahme im Kampf gegen Corona eingeschränkt werde. Dass mit der roten CoronaAmpel im Landkreis Lindau sofort beschlossen wurde, täglich einen Teil der Schüler daheim zu lassen, regt Eltern auf.
Während Eltern in Lindau per EMail den Landrat auffordern, die Regeln entsprechend zu lockern, haben Mütter aus Lindenberg am Mittwoch Klage vor dem Verwaltungsgericht erhoben. Sie stören sich daran, dass als Folge der Regeln in der roten Corona-Warnstufe ihre Kinder ab Donnerstag nicht mehr täglich zur Schule gehen sollen. Weil in den meisten Schulen der Platz nicht ausreicht, damit die Kinder in den Klassenzimmern 1,50 Meter Abstand halten, teilen die Schulleiter die Klassen auf. In den meisten Fällen ist für die Schüler ein Wechsel zwischen Unterricht in der Schule und daheim geplant.
Aus Erfahrung wissen die Mütter aus Lindenberg, die in der Zeitung nicht namentlich genannt werden wollen, dass sogenanntes Homeschooling nicht oder nur unzureichend funktioniert. Deshalb wollen sie unter allen Umständen erreichen, dass der Schulbetrieb erhalten bleibt. Entsprechend haben die Mütter am Mittwoch einen entsprechenden Eilantrag beim Verwaltungsgericht in Augsburg eingereicht. Angesichts der Lehrmeinung, dass vor allem Grundschulkinder und solche in den fünften und sechsten Klassen keine Treiber der Pandemie seien, halten sie den Unterrichtsausfall für nicht verhältnismäßig. Als Beispiel nennen die Mütter München, das trotz weitaus höherer Infektionszahlen als Lindau den Unterricht für alle Kinder sicherstellt.
Die Mütter kritisieren Landrat Elmar Stegmann, doch der sieht sich als falschen Adressat. Denn er habe die Regeln nicht gemacht, sondern setze sie nur um. Und für den Unterrichtsausfall sei nicht er verantwortlich, sondern die Schulleiter. Stegmann verweist auf die Verordnung des Freistaats, die bei roter Ampel und anderen Voraussetzungen die Stufe 3 eines Rahmenhygieneplans verlangt. Und dazu gehört neben anderen Maßnahmen, dass die Schüler auch im Klassenzimmer zwingend 1,50 Meter Abstand halten müssen.
Ob das gegeben sei, könne er nicht beurteilen. Stegmann schiebt den Schwarzen Peter an die Schulleiter und die Aufwandsträger weiter. Der Landkreis ist für die weiterführenden Schulen, also Realschulen und Gymnasien verantwortlich. Dort werde man nun auf Sport- und Musikunterricht verzichten und auch andere Fachräume als Klassenzimmer nutzen, damit ganze Klassen oder Kleingruppen auf Abstand Unterricht bekommen können. So müssen zumindest nicht alle Jahrgänge in den wechselweisen Unterricht daheim und in der Schule.
Stegmann fordert deshalb auch die Städte und Gemeinden auf, gemeinsam mit den Schulleitern zu überlegen, ob und wo Räume frei stehen: „Es steht nirgends geschrieben, dass Unterricht in Schulräumen stattfinden muss.“Stegmann nennt Räume in Mehrzweckhallen, Dorfgemeinschaftshäusern oder Pfarrzentren. Tatsächlich bestätigt Jürgen Widmer, Pressesprecher der Stadt Lindau, dass die Verwaltung im Gespräch mit den Leiterinnen der Grundschulen stehe, um herauszufinden, wo solche Räume helfen würden und wo solche Räume zur Verfügung stehen. Widmer bittet allerdings um Verständnis, dass die ein oder andere Lösung ein paar Tage brauchen werde und deshalb erst nach den Herbstferien zum Tragen komme.
Stadt und Landkreis prüfen außerdem, wo der Einsatz von speziellen Lüftungsgeräten helfen könnte, dass alle Kinder in der Schule bleiben können. Es gibt besondere Förderprogramme, auf die FDP-Stadtund Kreisrat Ulrich Jöckel hinweist. Doch ob die Bedingungen erfüllt sind, erscheint nach erster Prüfung unsicher. Während der Landkreis diese Frage erst bei den Haushaltsberatungen im kommenden Jahr klären will, hofft Lindaus OB Claudia Alfons darauf, solche Geräte vielleicht doch schon heuer anschaffen zu können – wenn die überhaupt lieferbar sind.
Während die Westallgäuer Eltern, die Schulunterricht für ihre Kinder einklagen wollen, dafür gerne die Maskenpflicht für den Nachwuchs in Kauf nehmen, haben einige Eltern am Mittwoch das Landratsamt mit Anrufen und E-Mails überladen, um die Maskenpflicht zu kippen. Yvonne Marte aus Bodolz befürchtet im Gespräch mit der LZ, dass ihr Sohn, der die erste Klasse besucht, unter Kopfschmerzen und Übelkeit leiden werde. Am Mittwoch sei er deswegen weinend vor der Schule gestanden. „Wenn die Maskenpflicht bleibt, werde ich mein Kind nicht mehr in die Schule schicken“, sagt sie zur LZ. Das sei nicht zumutbar.
Auch Marte verweist auf München, wo der Oberbürgermeister die Maskenpflicht für Grundschüler gekippt hat. Darüber ist Landrat Stegmann verärgert: „Dafür habe ich kein Verständnis, das halte ich für grob fahrlässig“, kritisiert er den Münchner
OB Reiter. Ohne Maske würde es wahrscheinlich noch weniger Unterricht in den Schulen geben, fürchtet Stegmann und zitiert dabei Ministerpräsident Markus Söder, der ebenfalls an der Maskenpflicht in Grundschulen bei roter Warnstufe festhalte.
Grundsätzlich ruft Stegmann im Gespräch die Bürger des Landkreises auf, die Regeln im Kampf gegen Corona einzuhalten. Nach sechs neuen Fällen ist die Sieben-TageQuote auf 57,3 gestiegen. Und es werde weitere Fälle geben, sagte Stegmann voraus, die Quote werde weiter steigen. Vom gelben oder gar grünen Bereich sei Lindau weit entfernt.
Besorgt zeigt sich Stegmann deshalb, weil sich die Infektionen im Landkreis nicht eingrenzen lassen. Die Neuansteckungen rühren von vielen verschiedenen Infektionsherden her.
Noch schlimmer ist, dass sich in manchen Fällen gar nicht klären lässt, wo sich die Menschen angesteckt haben. Mit Blick auf das Berchtesgadener Land warnt Stegmann davor, das auf die leichte Schulter zu nehmen. Denn dort sind die Fallzahlen innerhalb einer Woche geradezu explodiert. Dann wären zwar die jetzigen Diskussionen hinfällig, aber dann drohe ein kompletter Lockdown. Das aber würde den Menschen und Unternehmen im Landkreis erheblich schaden. Deshalb will Stegmann das unter allen Umständen vermeiden.
„Es steht nirgends geschrieben, dass Unterricht in Schulräumen stattfinden muss.“
Landrat Elmar Stegmann