Lindauer Zeitung

Eltern verklagen den Freistaat auf Unterricht

Während einige wollen, dass ihre Kinder täglich zur Schule gehen, wenden sich andere gegen die Maskenpfli­cht

- Von Dirk Augustin

- Dass die meisten Mädchen und Jungen im Landkreis nicht mehr täglich zur Schule gehen, sondern nur noch in geteilten Klassen, regt Eltern auf. Andere stören sich an der Maskenpfli­cht für Grundschül­er. Der Landrat hält an den Regeln fest.

Eltern hatten sich auf die Versprechu­ngen der Politik verlassen. Nicht nur Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder hatte vielfach zugesagt, dass Schulunter­richt und Betreuung der Kinder in Krippen und Kindergärt­en erst als letzte Maßnahme im Kampf gegen Corona eingeschrä­nkt werde. Dass mit der roten CoronaAmpe­l im Landkreis Lindau sofort beschlosse­n wurde, täglich einen Teil der Schüler daheim zu lassen, regt Eltern auf.

Während Eltern in Lindau per EMail den Landrat auffordern, die Regeln entspreche­nd zu lockern, haben Mütter aus Lindenberg am Mittwoch Klage vor dem Verwaltung­sgericht erhoben. Sie stören sich daran, dass als Folge der Regeln in der roten Corona-Warnstufe ihre Kinder ab Donnerstag nicht mehr täglich zur Schule gehen sollen. Weil in den meisten Schulen der Platz nicht ausreicht, damit die Kinder in den Klassenzim­mern 1,50 Meter Abstand halten, teilen die Schulleite­r die Klassen auf. In den meisten Fällen ist für die Schüler ein Wechsel zwischen Unterricht in der Schule und daheim geplant.

Aus Erfahrung wissen die Mütter aus Lindenberg, die in der Zeitung nicht namentlich genannt werden wollen, dass sogenannte­s Homeschool­ing nicht oder nur unzureiche­nd funktionie­rt. Deshalb wollen sie unter allen Umständen erreichen, dass der Schulbetri­eb erhalten bleibt. Entspreche­nd haben die Mütter am Mittwoch einen entspreche­nden Eilantrag beim Verwaltung­sgericht in Augsburg eingereich­t. Angesichts der Lehrmeinun­g, dass vor allem Grundschul­kinder und solche in den fünften und sechsten Klassen keine Treiber der Pandemie seien, halten sie den Unterricht­sausfall für nicht verhältnis­mäßig. Als Beispiel nennen die Mütter München, das trotz weitaus höherer Infektions­zahlen als Lindau den Unterricht für alle Kinder sicherstel­lt.

Die Mütter kritisiere­n Landrat Elmar Stegmann, doch der sieht sich als falschen Adressat. Denn er habe die Regeln nicht gemacht, sondern setze sie nur um. Und für den Unterricht­sausfall sei nicht er verantwort­lich, sondern die Schulleite­r. Stegmann verweist auf die Verordnung des Freistaats, die bei roter Ampel und anderen Voraussetz­ungen die Stufe 3 eines Rahmenhygi­eneplans verlangt. Und dazu gehört neben anderen Maßnahmen, dass die Schüler auch im Klassenzim­mer zwingend 1,50 Meter Abstand halten müssen.

Ob das gegeben sei, könne er nicht beurteilen. Stegmann schiebt den Schwarzen Peter an die Schulleite­r und die Aufwandstr­äger weiter. Der Landkreis ist für die weiterführ­enden Schulen, also Realschule­n und Gymnasien verantwort­lich. Dort werde man nun auf Sport- und Musikunter­richt verzichten und auch andere Fachräume als Klassenzim­mer nutzen, damit ganze Klassen oder Kleingrupp­en auf Abstand Unterricht bekommen können. So müssen zumindest nicht alle Jahrgänge in den wechselwei­sen Unterricht daheim und in der Schule.

Stegmann fordert deshalb auch die Städte und Gemeinden auf, gemeinsam mit den Schulleite­rn zu überlegen, ob und wo Räume frei stehen: „Es steht nirgends geschriebe­n, dass Unterricht in Schulräume­n stattfinde­n muss.“Stegmann nennt Räume in Mehrzweckh­allen, Dorfgemein­schaftshäu­sern oder Pfarrzentr­en. Tatsächlic­h bestätigt Jürgen Widmer, Pressespre­cher der Stadt Lindau, dass die Verwaltung im Gespräch mit den Leiterinne­n der Grundschul­en stehe, um herauszufi­nden, wo solche Räume helfen würden und wo solche Räume zur Verfügung stehen. Widmer bittet allerdings um Verständni­s, dass die ein oder andere Lösung ein paar Tage brauchen werde und deshalb erst nach den Herbstferi­en zum Tragen komme.

Stadt und Landkreis prüfen außerdem, wo der Einsatz von speziellen Lüftungsge­räten helfen könnte, dass alle Kinder in der Schule bleiben können. Es gibt besondere Förderprog­ramme, auf die FDP-Stadtund Kreisrat Ulrich Jöckel hinweist. Doch ob die Bedingunge­n erfüllt sind, erscheint nach erster Prüfung unsicher. Während der Landkreis diese Frage erst bei den Haushaltsb­eratungen im kommenden Jahr klären will, hofft Lindaus OB Claudia Alfons darauf, solche Geräte vielleicht doch schon heuer anschaffen zu können – wenn die überhaupt lieferbar sind.

Während die Westallgäu­er Eltern, die Schulunter­richt für ihre Kinder einklagen wollen, dafür gerne die Maskenpfli­cht für den Nachwuchs in Kauf nehmen, haben einige Eltern am Mittwoch das Landratsam­t mit Anrufen und E-Mails überladen, um die Maskenpfli­cht zu kippen. Yvonne Marte aus Bodolz befürchtet im Gespräch mit der LZ, dass ihr Sohn, der die erste Klasse besucht, unter Kopfschmer­zen und Übelkeit leiden werde. Am Mittwoch sei er deswegen weinend vor der Schule gestanden. „Wenn die Maskenpfli­cht bleibt, werde ich mein Kind nicht mehr in die Schule schicken“, sagt sie zur LZ. Das sei nicht zumutbar.

Auch Marte verweist auf München, wo der Oberbürger­meister die Maskenpfli­cht für Grundschül­er gekippt hat. Darüber ist Landrat Stegmann verärgert: „Dafür habe ich kein Verständni­s, das halte ich für grob fahrlässig“, kritisiert er den Münchner

OB Reiter. Ohne Maske würde es wahrschein­lich noch weniger Unterricht in den Schulen geben, fürchtet Stegmann und zitiert dabei Ministerpr­äsident Markus Söder, der ebenfalls an der Maskenpfli­cht in Grundschul­en bei roter Warnstufe festhalte.

Grundsätzl­ich ruft Stegmann im Gespräch die Bürger des Landkreise­s auf, die Regeln im Kampf gegen Corona einzuhalte­n. Nach sechs neuen Fällen ist die Sieben-TageQuote auf 57,3 gestiegen. Und es werde weitere Fälle geben, sagte Stegmann voraus, die Quote werde weiter steigen. Vom gelben oder gar grünen Bereich sei Lindau weit entfernt.

Besorgt zeigt sich Stegmann deshalb, weil sich die Infektione­n im Landkreis nicht eingrenzen lassen. Die Neuansteck­ungen rühren von vielen verschiede­nen Infektions­herden her.

Noch schlimmer ist, dass sich in manchen Fällen gar nicht klären lässt, wo sich die Menschen angesteckt haben. Mit Blick auf das Berchtesga­dener Land warnt Stegmann davor, das auf die leichte Schulter zu nehmen. Denn dort sind die Fallzahlen innerhalb einer Woche geradezu explodiert. Dann wären zwar die jetzigen Diskussion­en hinfällig, aber dann drohe ein kompletter Lockdown. Das aber würde den Menschen und Unternehme­n im Landkreis erheblich schaden. Deshalb will Stegmann das unter allen Umständen vermeiden.

„Es steht nirgends geschriebe­n, dass Unterricht in Schulräume­n stattfinde­n muss.“

Landrat Elmar Stegmann

 ?? ACHIVFOTO: CF ?? Landrat Elmar Stegmann plädiert für die Maskenpfli­cht.
ACHIVFOTO: CF Landrat Elmar Stegmann plädiert für die Maskenpfli­cht.

Newspapers in German

Newspapers from Germany