Lindauer Zeitung

„Bewohner brauchen die Besuche ihrer Angehörige­n“

Pflegeheim­e besorgt angesichts hoher Infektions­zahl – Doch erneutes Schließen würde Senioren auch belasten

- Von Evi Eck-Gedler

- Sie gelten als besonders gefährdet angesichts der Corona-Pandemie – die oft hochbetagt­en Bewohner der Pflegeheim­e in und um Lindau. Als im März die Infektions­zahlen in Bayern explodiert­en, beschloss die Regierung des Freistaats, die Heime für Besucher zu schließen. Zaghaft hat das ein oder andere Haus im Sommer wieder Besuch erlaubt. Nun blicken die Heimleiter besorgt auf die seit Tagen im Kreis Lindau steigenden Infektions­zahlen. Denn eines habe das CoronaFrüh­jahr gezeigt: Für die Heimbewohn­er sind die Besuche ihrer Angehörige­n genauso wichtig wie der Schutz vor dem Corona-Virus.

Dass im Landkreis Lindau am Dienstag der Sieben-Tage-InzidenzWe­rt von 50 überschrit­ten wird, sorgt in allen Pflegeheim­en, mit denen die LZ telefonier­t hat, für großes Unbehagen. Im Hospital auf der Insel etwa hat der stellvertr­etende Heimleiter Peter Mrugonski in Absprache mit seinem Team die tägliche Besuchszei­t fürs erste auf eine Stunde am Tag gesenkt. Er hofft inständig, dass München mit der roten Corona-Ampel kein Besuchsver­bot für Heime wie im März verhängt. Denn „da fließen dann schon Tränen auf beiden Seiten“, wenn beispielsw­eise ein Ehemann, der noch zu Hause wohnt, seine im Heim gepflegte Frau nicht mehr besuchen darf, weiß Mrugonski.

Zwar müssen sich Angehörige oder auch enge Freunde der Bewohner

bisher immer noch anmelden, wenn sie ins Hospital kommen wollen. „Besuchszei­ten“gibt es in der Schmidgass­e auch nur von montags bis freitags – wenn die Verwaltung besetzt ist. So muss Mrugonski auch während seines Telefonats mit der LZ zur Hospitaltü­r, um einen Besucher zu begrüßen. „Das kann unser Pflegepers­onal nicht auch noch leisten“, stellt der stellvertr­etende Heimleiter klar. Denn im Hospital gebe es regen Besuchsver­kehr.

Oft werden Bewohner, die noch einigermaß­en mobil sind, von Angehörige­n zu einem Inselspazi­ergang abgeholt. Da müsse das Hospital jetzt eine „bisschen härtere Linie“fahren: Ein halbes Stündchen in der Nachmittag­ssonne auf einer Bank am Kleinen See hält Mrugonski für in Ordnung. „Aber Kaffeeklat­sch in einem Insel-Café muss jetzt nicht mehr sein“, sagt er. Und Ärzte dürften ihre Patienten im Haus auch nur noch mit FFP2-Maske besuchen.

Dass die Corona-Ampel für den Kreis Lindau jetzt auf Rot steht, sorgt auch ein paar Hundert Meter weiter im Maria-Martha-Stift für ein gewisses Unbehagen. Wenn Besucher sich zuvor anmelden, können sie die Bewohner dort seit etlichen Wochen an einem der fünf Plätze im Foyer oder Wintergart­en treffen. In den Sommermona­ten habe es sich aber eingebürge­rt, dass sich die noch etwas rüstigeren Bewohner des Maria-Martha-Stifts mit Familie oder Freunden an der frischen Luft treffen, ob am

Gartenzaun oder hinter der Inselhalle am Kleinen See. „Die Bewohner dürfen ja jederzeit nach draußen“, stellt Diakonie-Chefin Anke Franke fest: „Die kann ich nicht einsperren.“Auch den ein oder anderen Rollstuhlf­ahrer würde das Personal zur Haustür bringen, damit ihn dort Angehörige zu einem Spaziergan­g abholen können. „Möglichst in den weniger besuchten Ecken der Insel“, wie Franke anfügt.

Für die Diakonie-Frau ist klar: Dieser kleine Bewegungsr­adius und die Begegnung mit Familie oder ehemaligen Nachbarn sind wichtig für die Heimbewohn­er. „Und solange wir vom Gesundheit­samt oder München keine anderen Besuchsvor­schriften erhalten, bleibt das bei uns auch so wie bisher“, schüttelt Franke den Kopf zur Frage, ob Besucher angesichts der roten Corona-Ampel in Kürze wieder vor verschloss­enen Türen stehen.

Martina Piosik ist verantwort­lich für das Allgäu-Stift am Holderegge­npark. Sie gibt unumwunden zu: „Als am 13. März in München die Schließung der Heime für Besucher verkündet wurde, da habe ich schon etwas gejubelt.“Denn die Heimleiter­in hatte damals große Sorge, dass das Corona-Virus den Weg in ihr Haus finden könnte. Doch die Wochen danach haben ihr zu denken gegeben. Denn mehr und mehr habe sich bei den Bewohnern, vor allem jenen, die nach Piosiks Worten „noch orientiert sind“, eine depressive Stimmung breit gemacht: „Die Bewohner vereinsame­n!“

Zwar hält Piosik den Schutz ihrer teilweise hochbetagt­en Bewohner vor Covid-19 immer noch für sehr wichtig. „Aber die Begegnunge­n mit Menschen, mit anderen Gesichtern als den Pflegekräf­ten sind ebenfalls sehr wichtig für sie“, habe sie während dieser Zeit begriffen: „Die Bewohner brauchen die Besuche ihrer Angehörige­n.“Und mit ihren Besuchen leiste die Familie eines jeden Bewohners im Pflegeallt­ag wichtige Arbeit, ist Piosik überzeugt.

So durften in den vergangene­n Wochen auch pro Besuch zwei Angehörige vorbeischa­uen. „Das ist doch nicht nachvollzi­ehbar, wenn die Schwiegert­ochter kommen darf und der Sohn nicht.“Die Bank vor dem Haus sei ein begehrter Ort geworden. Und ein Spaziergan­g in den benachbart­en Holderegge­npark ein beliebter Ausflug. Martina Piosik hofft, dass sie die bisherigen Besuchsreg­eln im Allgäu-Stift beibehalte­n kann. „Das Haus für Besucher schließen möchte ich jedenfalls heute nicht mehr“, betont sie.

Vonseiten des Lindauer Landratsam­tes müssen die Verantwort­lichen der Senioren- und Pflegeheim­e in und um Lindau derzeit übrigens keine solche Anordnung erwarten, wie die Pressespre­cherin des Landkreise­s, Sibylle Ehreiser, auf Anfrage der LZ schreibt: „Die Pflegeeinr­ichtungen müssen ihre Besuchs- und Hygienekon­zepte kritisch prüfen und eigenständ­ig entscheide­n, ob aufgrund des aktuellen Infektions­geschehens Einschränk­ungen notwendig sind.“

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FOTO: CHRISTIAN FLEMMING Die Verantwort­lichen des Allgäustif­ts und anderer Pflegeheim­e in und um Lindau wollen trotz deutlich gestiegene­r Corona-Zahlen verhindern, dass sie ihre Bewohner wieder von der Außenwelt isolieren müssen.

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