Der Alternsforscher Hans-Werner Wahl über die Abqualifizierung der über 65-Jährigen als Risikogruppe
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FOTO: L. OSTERMANN
- Der Psychologe und Seniorprofessor Hans-Werner Wahl ist Direktor des Netzwerks Alternsforschung der Universität Heidelberg. Im Gespräch mit Dirk Grupe erklärt er, warum die Corona-Krise den Generationenkonflikt verschärfen könnte, welche Fehler aus dem Frühjahr sich nicht wiederholen sollten und wie es um das Ansehen älterer Menschen in Deutschland bestellt ist.
Herr Wahl, die Corona-Krise dauert nun seit Monaten, wobei vor allem Personen über 65 Jahre gefährdet sind. Tut die Gesellschaft bisher genug, um das Leben der älteren Menschen in der Pandemie zu schützen?
Man muss ja generell aufpassen, dass man ältere Menschen mit der Angabe „über 65 Jahre“nicht einfach pauschal als Risikogruppe klassifiziert. Gerade die 65- bis 80-Jährigen weisen heute den besten Gesundheitszustand auf, den jemals eine Kohorte von Älteren besessen hat. Und in der Regel dürfte gerade diese Altersgruppe, die sehr mobil und aktiv ist, sich selbstgesteuert, autonom und sehr bewusst selbst vor Corona schützen. Da muss die Gesellschaft also gar nicht so viel tun.
Außer, wenn ich Sie richtig verstehe, ihre Einstellung zu den Älteren überdenken?
Vielleicht könnte man öfter einmal sagen, dass ältere Menschen in ihrer ganzen Breite nicht so sehr Risikogruppe sind, sondern ganz überwiegend wahrscheinlich die Referenzgruppe mit dem am besten angepassten Infektionsschutzverhalten. Warum sagt das eigentlich niemand? Vielleicht weil unsere Gesellschaft weiterhin von vielen Negativklischees über Ältere geprägt ist. Eine solche Gruppe darf dann per Definition nicht zur „Modellgruppe“werden.
Hans-Werner Wahl „Die Gesellschaft ist von Negativklischees über Ältere geprägt“
Ich denke, wir müssen hier als Gesellschaft schon sehr wachsam sein. Generationensolidarität ist ein hohes Gut, auf dem unsere Gesellschaft in vielen Bereichen aufbaut, auch wenn wir uns das nicht immer so klarmachen. Ich finde deshalb auch die Redeweise mancher Politiker und Politikerinnen, dass die Jüngeren mit ihrem Verhalten die Risikogruppen – gemeint sind ja vor allem die älteren Menschen – schützen, nicht hilfreich. Es geht doch einfach darum, dass jeder mit seinem Verhalten sich selbst und andere schützt. Weitere Qualifizierungen oder gar Mitleidsfloskeln, wie ,Die Jüngeren müssen sich nun leider zurücknehmen, um die Älteren zu schützen’ sind unangebracht.
Die Abgrenzung zwischen Jung und Alt spielt auch bei der Behandlung von Kranken eine Rolle, man denke nur an die Kontroversen über die Triage-Regeln (Kriterien, anhand deren Ärzte entscheiden, welche Patienten bei knappen Intensivkapazitäten weiter behandelt werden und welche nicht). Sind solche Debatten aber nicht richtig, um in der Krise angemessen reagieren zu können?