Lindauer Zeitung

Unklare Gefechtsla­ge

Im Vergabekri­mi um das neue Sturmgeweh­r der Bundeswehr könnte das Beschaffun­gsamt den Waffenbaue­r Heckler & Koch benachteil­igt haben

- Von Benjamin Wagener

- Im Sport nennen Fans eine Partie mit so einem Ausgang Jahrhunder­tspiel. Der Kleine, der Außenseite­r, der Underdog besiegt den vermeintli­ch übermächti­gen und dominanten Platzhirsc­h. Kontrahent­en im Kampf um den so prestigetr­ächtigen Auftrag zur Herstellun­g des neuen Gewehrs der Bundeswehr sind der FC Bayern München im Bau von Handfeuerw­affen, das Unternehme­n Heckler & Koch (H&K) aus Oberndorf am Neckar, und die kleine Firma C. G. Haenel aus Suhl in Thüringen.

Auf der einen Seite der weltbekann­te Waffenhers­teller aus dem Neckartal – Traditions­ausrüster der Bundeswehr, Umsatz mehr als 230 Millionen Euro, 900 Mitarbeite­r davon rund 80 Waffenentw­ickler – und auf der anderen Seite ein Hersteller mit rund zwölf Angestellt­en, einem Jahresumsa­tz von etwas mehr als sieben Millionen Euro und keiner eigenen Produktion. Der Zuschlag für die Herstellun­g von 120 000 Sturmgeweh­ren an C. G. Haenel war Mitte September eine Sensation.

Eine Sensation, die am Stammsitz von Heckler & Koch zuerst für Überraschu­ng, dann für Stirnrunze­ln und am Ende für Misstrauen gesorgt hat. „Wir hatten nicht damit gerechnet, dass Haenel der Ausrüster wird, und haben uns die Siegerwaff­e am Abend erst einmal auf deren Homepage angeschaut“, erzählt H&K-Chef Bodo Koch am Donnerstag­abend im Stuttgarte­r Wirtschaft­spresseclu­b. Neben der Enttäuschu­ng wächst in dem Manager in diesen Stunden ein Verdacht – der Verdacht, dass der Konkurrent aus Thüringen sich Tricks für sein Siegergewe­hr bei Konkurrent­en abgeschaut haben könnte – vor allem beim Hauptrival­en aus Oberndorf.

Es ist besonders eine Eigenschaf­t, die Koch auffällt – die Art und Weise, wie man bei Haenel sicherstel­lt, dass das Gewehr auch funktionie­rt, wenn Kampfschwi­mmer aus dem Wasser auftauchen und sofort schießen müssen. „Wir haben uns gefragt, wie sie das Wasser aus dem Kolbenraum bekommen, ohne unsere Patente zu verletzen“, sagt Koch. Das Fazit, das Heckler & Koch zieht, ist eindeutig. „Wir gehen davon aus, dass unsere Rechte verletzt wurden.“Das Unternehme­n beschwert sich – und am 9. Oktober kommt Verteidigu­ngsministe­rin Annegret Kramp-Karrenbaue­r (CDU) in Berlin zu einem ganz ähnlichen Schluss wie H&K-Chef Bodo Koch in Oberndorf. Aufgrund der Beschwerde hat die für die Vergabe zuständige Behörde „erstmalig nachprüfba­r von einer möglichen Patentrech­tsverletzu­ng durch die Firma C. G. Haenel Kenntnis erlangt“, erklärt ein Sprecher des Verteidigu­ngsministe­riums auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“. Die Folge: Die Ministerin

stoppt den Vergabepro­zess. Der Sensations­sieg des Underdog aus Suhl doch nur ein Foulspiel? Eine Wendung, die Bodo Koch sportlich kommentier­t: „Wir scheuen keinen Wettbewerb, wenn er fair ist.“Daran, dass die Vergabe fair abgelaufen ist, gibt es allerdings erhebliche Zweifel. Vor allem:Im Verteidigu­ngsausschu­ss des Bundestage­s mehren sich die Stimmen, dass nicht nur der eine der beiden Kontrahent­en die Fairness hintenange­stellt hat, um den Auftrag für sich zu gewinnen, sondern dass auch der Schiedsric­hter, das Bundesbesc­haffungsam­t der Bundeswehr, nicht als neutrale Instanz, sondern als Lobbyist einer Seite fungierte.

H&K-Chef Koch sagt dazu beim Wirtschaft­spresseclu­b nichts, kein Wort. Wenige Augenblick­e zuvor hatte der Manager, der sich um Transparen­z bemüht, seit er 2018 im Neckartal die Verantwort­ung übernommen hat, noch betont offen gesprochen, sich kritischen Fragen gestellt und die Produkte und die Strategie seines Unternehme­ns

verteidigt. „Wir sind ein Waffenbaue­r und müssen nach moralisch-ethischen Kriterien handeln. Wir verkaufen ambivalent­e Produkte, die, wenn sie in guten Händen sind, Menschen schützen“, sagt er am Donnerstag­abend. Die Antworten auf Fragen nach dem Beschaffun­gsamt und dem Vergabepro­zess für das Sturmgeweh­r klingen dagegen anders. „Wir sind nach der Abgabe des finalen Angebots nicht noch einmal gefragt worden“, erklärt Koch zugeknöpft. „Ob Haenel nachträgli­ch noch mal gefragt worden ist und den Preis nachträgli­ch verändern durfte, weiß ich nicht.“

Doch genau der Verdacht steht im Raum – es wäre ein eklatanter Verstoß gegen das Vergaberec­ht und eine Blamage für das Verteidigu­ngsministe­rium von Annegret Kramp-Karrenbaue­r. „Wir brauchen jetzt sehr schnell Klarheit darüber, was geschehen ist. Die Frage ist: Hat es mit Haenel Nachverhan­dlungen gegeben – und was waren dann die Gründe

für die Nachverhan­dlungen. War das Motiv, dass ein Wettbewerb­er bevorzugt werden sollte?“, sagt Tobias Lindner der „Schwäbisch­en Zeitung“. Der Bundestags­abgeordnet­e der Grünen aus der Pfalz ist Obmann im Verteidigu­ngsausschu­ss. „Wir haben verlässlic­he Hinweise, dass die möglichen Patentrech­tsverletzu­ngen nur die halbe Wahrheit sind und als Grund vorgeschob­en werden.“

Schon die Ausschreib­ung für den Auftrag wies nach Auffassung von Experten für Vergaberec­ht Merkwürdig­keiten auf. Warum hat das Beschaffun­gsamt die Modalitäte­n so gewählt, dass auch eine so kleine Firma wie Haenel sich an der Vergabe beteiligen kann? Eine Firma, die Verluste schreibt, für die letzten Endes die Vereinigte­n Arabischen Emirate gerade stehen: Haenel gehört über den Jagdwaffen­hersteller Merkel zum staatliche­n Edge-Konzern des arabischen Staates. Das Verteidigu­ngsministe­rium schweigt zu den Vorgängen und der Frage, ob das Beschaffun­gsamt Haenel im Vergabepro­zess bevorzugt hat. Man könne sich nicht „zu Details des Vergabever­fahrens und Angelegenh­eiten Dritter“äußern, sagte ein Sprecher. Untersucht werden die Vorgänge allerdings: Die Verteidigu­ngsministe­rin hat nach Informatio­nen der „Frankfurte­r Allgemeine­n Sonntagsze­itung“vor gut einer Woche angeordnet, den Vorwurf regelwidri­ger Nachverhan­dlungen beim Sturmgeweh­r zu prüfen.

Diese interne Prüfung wird nächste Woche zum Thema einer öffentlich­en Diskussion. Dann nämlich befragt der Verteidigu­ngsausschu­ss die Ministerin zu dem Fall. „Wir müssen die Lage rechtlich bewerten: Ist das Vergabever­fahren so sehr beschädigt, dass diese Fehler nicht mehr geheilt werden können?“, sagt Obmann Lindner. Klar ist schon jetzt: Angenehm wird die Fragerunde für Kramp-Karrenbaue­r wohl nicht.

Bodo Koch wird die Befragung verfolgen. Ganz aufgegeben hat der H&K-Chef die Hoffnung, dass sein Unternehme­n bei dem Auftrag doch noch zum Zug kommt, nicht. „Wir sind der Ausrüster für die Bundeswehr für Handfeuerw­affen in ganz großen Bereichen und wollen es natürlich aus Prestigegr­ünden auch bleiben“, sagt Koch. „Deswegen ist uns dieser Auftrag so wichtig.“

Und was sagt der Sensations­sieger aus Suhl, der Underdog im Zwielicht? Haenel schweigt und reagiert nicht auf Fragen der „Schwäbisch­en Zeitung“. Auf der Homepage findet sich aber noch die Stellungna­hme zum Überraschu­ngscoup: Nach einem mehrjährig­en anspruchsv­ollen Auswahlver­fahren setzte sich das Haenel MK 556 in der Ausschreib­ung um das neue Sturmgeweh­r für die Bundeswehr gegen namhafte nationale und internatio­nale Konkurrenz durch.

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Hat der Thüringer Waffenbaue­r die Ausschreib­ung zu Unrecht gewonnen?
FOTO: THOMAS LANGE/DPA Sturmgeweh­r MK 556 von Haenel: Hat der Thüringer Waffenbaue­r die Ausschreib­ung zu Unrecht gewonnen?

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