„Die Klimakrise wartet nicht“
Die Fridays-for-Future-Aktivistin Merit Willemer über Klimapolitik und den Corona-Konflikt zwischen Jung und Alt
- Die Pandemie hat die Bewegung Fridays for Future ausgebremst: Massendemonstrationen sind wegen der Ansteckungsgefahr kaum noch möglich. In der öffentlichen Wahrnehmung überlagert die CoronaKrise das Thema Klimawandel. Zugleich zeichnet sich angesichts steigender Infektionszahlen ein Generationenkonflikt ab: Die Jugend, so der Vorwurf vieler älterer Menschen, nehme das Virus mittlerweile auf die leichte Schulter. Merit Willemer von Fridays for Future Ulm/Neu-Ulm erklärt im Gespräch mit Florian Peking, wie die Aktivisten auch in der Corona-Krise das Thema Klima präsent halten wollen – und warum die Kritik am Verhalten der Jugend zu kurz greift.
Frau Willemer, die Corona-Krise hat der Klimakrise in den vergangenen Monaten etwas die Aufmerksamkeit gestohlen. Wie gehen Sie bei Fridays for Future damit um?
Ich glaube, die Klimakrise ist in den Köpfen der Menschen gar nicht so sehr in den Hintergrund gerückt. Es ist nur so, dass fast ausschließlich über Corona berichtet wird. Da könnte man auch die Presse und die Medien in die Verantwortung nehmen. Wir bei Fridays for Future machen jedenfalls so weiter wie vorher auch – mit dem Unterschied, dass wir keine Präsenz auf der Straße zeigen können. Wir haben schon sehr früh beschlossen, nicht mehr zu streiken, um auf Nummer sicher zu gehen. Trotzdem haben wir im letzten halben Jahr sehr viel gemacht: zum Beispiel Webinare und unseren ersten Online-Streik. Wir haben uns die ganze Zeit bemüht, dass das Thema Klima nicht in den Hintergrund rückt – denn das ist sehr gefährlich.
Welche Themen sollten denn wieder stärker im Fokus stehen?
Generell ist uns die Einhaltung des Paris-Abkommens sehr wichtig, also das Ziel, den globalen Temperaturanstieg auf 1,5 Grad zu begrenzen. Wir befinden uns nämlich in den letzten Jahren, in denen wir das überhaupt noch einhalten könnten. Außerdem fordern wir, mit der aktuellen Situation um Corona so umzugehen, dass es sich positiv auf das Klima auswirkt. Gerade wird ja auf einmalige Weise in die Wirtschaft eingegriffen, zum Beispiel durch Hilfsprogramme. Da könnte man hervorragend auf die Wirtschaft Einfluss nehmen, um sie ökologischer zu machen – was bisher nicht wirklich funktioniert hat. Neben Corona sind im vergangenen halben Jahr aber auch Dinge passiert, die wieder rückgängig gemacht werden müssen. Zum Beispiel, dass das Kohlekraftwerk Datteln 4 ans Netz ging oder der Kohleausstieg auf 2038 gelegt wurde. Wir müssen einfach alles tun, um das 1,5Grad-Ziel einzuhalten – denn die Klimakrise wartet nicht.
Trotz des vorherrschenden Themas Corona hat sich in den vergangenen Wochen und Monaten aber auch in der Klimapolitik etwas getan. So hat das Europaparlament das EU-Klimaziel verschärft: Bis 2030 soll der Ausstoß von Treibhausgasen um 60 Prozent gegenüber dem Jahr 1990 sinken. Reicht das?
Diese 60 Prozent sind auf jeden Fall besser als die bisher geltenden 40 Prozent. Trotzdem ist auch dieses Ziel nicht kompatibel mit dem Abkommen von Paris. Die Europäische Union muss bis zum Jahr 2035 die Treibhausgas-Nettonull erreichen. Dafür müssen die Treibhausgase bis 2030 um 80 Prozent reduziert werden. Also: Nein, diese Zielsetzung reicht leider nicht. Aber die EU ist für den Klimaschutz natürlich wichtig, weil sie den großen Rahmen vorgibt und Staaten dazu verpflichten kann, bestimmte Maßnahmen einzuhalten. Wir von Fridays for Future haben deshalb auch Forderungen an die EU gestellt – unter anderem die Abschaffung aller Subventionen für fossile Energieträger.
Nicht nur in der EU stand zuletzt die Klimapolitik auf der Tagesordnung – auch in Baden-Württemberg hat die Landesregierung ein neues Klimaschutzgesetz verabschiedet. Das sieht unter anderem vor, bis 2030 die Treibhausgase um mindestens 42 Prozent gegenüber 1990 zu verringern. Tut die grünschwarze Landesregierung damit genug fürs Klima?
Es ist im Endeffekt egal, welche Partei regiert – am Ende muss Klimaschutz betrieben werden. Und da wird auch in Baden-Württemberg einfach nicht genug getan. Das ist ein bisschen wie „Greenwashing“der Regierung: Alle bekennen sich immer wieder zur Einhaltung des ParisAbkommens,
aber die Politik, die gemacht wird, sieht dann ganz anders aus. Im Endeffekt macht die Landesregierung nur Kleinstschritte – und feiert sich dann dafür ab.
Bei der Diskussion um mehr Klimaschutz zeichnet sich immer wieder ein Generationenkonflikt ab: Die Jungen werfen den Alten vor, zu wenig zu handeln und nicht auf die Wissenschaft zu hören. Dasselbe kritisiert so mancher nun im Gegenzug an jungen Menschen, weil sie – so der Vorwurf – die Corona-Pandemie nicht ernst genug nehmen und sich weiterhin treffen oder Partys feiern. Wie passt das zusammen?
Ich finde das ein bisschen verkürzt dargestellt. Es wird ja oft so getan, als würde die Corona-Pandemie Kinder und Jugendliche gar nicht so sehr betreffen. Was überhaupt nicht stimmt, wenn man etwa an die Schließungen von Kitas, Schulen und Unis denkt. Wir leiden natürlich nicht stärker als ältere Menschen unter der Krise – was aber nicht heißt, dass wir gar nicht darunter leiden. Zu den Problemen gehört eben auch, nicht mehr rausgehen, feiern und sich gegenseitig treffen zu können – ohne, das jetzt verharmlosen zu wollen. Auf der anderen Seite finde ich schon, dass wir auf die Wissenschaft hören: Gerade zu Beginn der Pandemie haben sich die meisten an die Regeln gehalten. Im Sommer ist die Einstellung vielleicht etwas lockerer geworden – aber das wurde sie bei allen anderen genauso.
Und wie soll es jetzt weitergehen?
Gerade sind wir glaube ich in einer Phase in der wir alle – also sämtliche Altersgruppen – erkennen müssen, dass wir wieder mehr auf die Infektionslage achten müssen. Das verstehen auch wir jungen Menschen. Ich kann nur von mir selbst sprechen, aber in meinem Freundeskreis haben wir gerade eine Party abgesagt. Generell ist es schon so, dass der Großteil der Menschen, wenn es um Corona geht, sehr schnell reagiert und Rücksicht auf andere nimmt. Ich will nicht alles auf einen angeblichen Generationenkonflikt herunterbrechen:Aber hätten die älteren Menschen beim Thema Klima genauso schnell gehandelt, wären wir schon sehr viel weiter.