Die Zukunft des Waldes liegt im Dunkeln
Dürre und Hitze setzen vielen Bäumen seit drei Jahren verstärkt zu – Forstexperten suchen immer dringlicher nach Lösungen
- Es muss nicht alles gleich wie düstere Zukunft wirken, was im Wald zu sehen ist – trotz aller Ungewissheit, wie es angesichts der Klimaerwärmung mit diesem klassischen deutschen Sehnsuchtsort weitergehen wird. „Schauen wir einmal da rüber“, sagt Bernhard Dingler. Der Leiter des landeseigenen Forstbezirkes Altdorfer Wald zeigt auf eine Gruppe gewaltiger Fichten, wohl 120 Jahre alt. Weit unterhalb ihrer Wipfel kämpfen sich Buchen nach oben. „Aktiv gepflanzt vor 20 bis 40 Jahren“, erklärt der erfahrene Förster. Das waldbauliche Ziel: nicht nur eine Baum-art, sondern Mischbestände mit mehr Laubbäumen.
Dingler ist zufrieden mit dem Gesehenen am südöstlichen Zipfel des riesigen, 82 Quadratkilometer großen Waldgebiets. Es erhebt sich dort bis fast 800 Meter. An diesem Ende des Altdorfer Waldes hört Oberschwaben auf, das Allgäu fängt an. Vogt heißt die nächste Gemeinde. Hierher hat Dingler eingeladen, weil es noch starke Bestände an Fichten gibt – einerseits der traditionelle Brotbaum des deutschen Holzwesens, andererseits ein Krisengewächs zu Zeiten des Klimawandels.
An diesem Ort stehen die Nadelriesen jedoch noch fest, unter ihrem Dach sprießen die Buchen fast so, als wollten sie einen Urwald begründen. Buntes Herbstlaub umrahmt die Idylle. Zeigen will der Forstfachmann jedoch etwas anderes: „Man baut schon seit Jahrzehnten am Wald und geht zumindest beim Forst weg von Monokulturen.“
Das soll heißen, Förster versuchen bereits ein halbes oder auch ganzes Berufsleben lang, Wälder fit für die nächsten Generationen zu machen. Dass dabei die dürre- und hitzeempfindliche Fichte mit ihren flachen Wurzeln nicht seligmachend ist, gilt als gesetztes Wissen – zumal wenn sie nach alter Väter Sitte wie ein angetretenes Regiment Soldaten angepflanzt wird. Dann haben nämlich auch noch Fichtenschädlinge leichtes Spiel bei ihrer Verbreitung, der Borkenkäfer etwa.
Kurzum: Dass der Wald nicht so bleiben sollte, wie er einst nach strikten wirtschaftlichen Vorstellungen hochgezogen wurde, gilt als ältere Weisheit. Eigentlich hätte es mit den längst entworfenen Umbaukonzepten einfach so weitergehen können, recht beschaulich und mit viel Zeit – schon weil Bäume eben langsam wachsen. Als aktuellstes Konzept wurde gerne die Naturverjüngung angepriesen. Der Wald sollte sich selbst erneuern – ohne allzu starke forstliche Eingriffe. Erledigt hat sich dieses Konzept zwar nicht. Aber einiges ist eben plötzlich anders geworden.
„Die Rahmenbedingungen haben sich in den vergangenen zwei bis drei Jahren für den Wald offensichtlich geändert“, betont Dingler. Selbst forstliche Gewissheiten aus jüngerer Zeit müssten hinterfragt werden. Dies machen auch die baden-württembergischen Waldzustandsberichte der vergangenen Jahre deutlich – mit steigender Drastik. Der neueste davon, kürzlich veröffentlicht, besagt: Das dritte Jahr in Folge hätten Trockenheit und Hitze dem Wald „erheblich zugesetzt“. Mittlerweile würden 46 Prozent der Waldfläche im Südwesten als „deutlich geschädigt“gelten.
Ein solch hohes Schadniveau hat es bisher noch nicht gegeben. Selbst die tief wurzelnde Weißtanne, noch vor drei Jahren als forstlicher Hoffnungsträger gefeiert, zeigt inzwischen Schäden. Das kommt offenbar unter anderem von Rissen im trockenen Boden. Diese würden die Feinwurzeln der Tanne zerreißen, heißt es in forstlichen Studien.
Wobei das Klima nicht überall gleich hart zuschlägt. Weiter nördlich im Land hinter Stuttgart sind die Auswirkungen von Trockenheit und Hitze bereits länger spürbar. Wer im Sommer über den Hochschwarzwald am Feldberg vorbei Richtung Rheintal gefahren ist, konnte selbst von der Straße aus schwächelnde Fichten mit braunen Nadeln betrachten. Schlimm, aber noch nicht so katastrophal wie etwa im Harz oder im Böhmerwald. Dort ragen kilometerweise bloß noch tote Holzstummel in die Höhe. Im Vergleich dazu scheinen vor allem Gebiete im eher regenreicheren Staubereich des Alpenrands fühlbar besser weggekommen zu sein.
Ausgedehnte Waldspaziergänge im Allgäu legen dies ebenso nahe wie die Aussagen von Förstern. „Hier haben wir noch nicht eine Lage wie im Norden“, sagt etwa Dingler beim Ortstermin im Altdorfer Wald. Wenn auch die Jahre 2018 und 2019 über die Maße trocken und heiß waren, hat sich heuer die Staulage zum Leidwesen der Touristen deutlich bemerkbar gemacht: wechselhaftes, immer wieder feuchtes Wetter – anders als beispielsweise in der Stuttgarter Gegend mit ihren im August verbrannt aussehenden Wiesen. Aber das Allgäu und angrenzende, grob betrachtet noch in Alpennähe befindliche oberschwäbische Landstriche liegen trotzdem nicht auf einem anderen Planeten.
Der Wandel ist da. Um ihn anzudeuten, reicht Dingler ein Hinweis auf einige hochgewachsene Buchen am Rande einer Lichtung. „Ihre Krone ist nicht so, wie sie sich normal entwickeln würde“, sagt er. Äste würden sich wie Krallen hochstrecken. Offenbar ein Zeichen, dass der diesjährige Niederschlag selbst hier nicht ganz gereicht hat. Der Forstbereichsleiter erklärt: „Wir müssen den Wald jetzt maßvoll an die neuen Bedingungen anpassen.“Naturverjüngung sei in diesem Zusammenhang die Versicherung für den Wald.
Doch auf welche Verjüngung soll die Forstwirtschaft bauen? Hier setzt ein gewisses Rätseln ein. Bei der Vorstellung des Waldzustandsberichtes sagte Baden-Württembergs Landwirtschaftsminister Peter Hauk jüngst: „Ziel ist es, weitere wissensbasierte Grundlagen zum Aufbau klimastabiler, naturnaher Wälder zu entwickeln und Kenntnisse über alternative Baumarten zu gewinnen, die künftig eine größere Rolle spielen könnten.“Aber welche?
Der CDU-Politiker aus dem Odenwald ist selber gelernter Förster. Offenbar bewegt aber auch er sich ein Stück weit im Dunkeln, wenn es um den künftigen Wald geht. Selbst die zentrale Stelle des forstlichen Wissens im Südwesten, die Forstliche Versuchsund Forschungsanstalt in Freiburg, bleibt in ihren Aussagen vage. „Um den Wald und seine Funktion sicher in die Zukunft zu führen, wird im Sinne der Risikominimierung ein vielfältiger Mix an Baumarten und Waldstrukturen benötigt“, heißt es in einem Papier der Behörde.
Im Altdorfer Forst bei Vogt geht Dingler ein paar Schritte weiter durch den Wald. Schließlich bleibt er bei einer Vogelbeere stehen, einem unauffälligen dünnen Bäumlein. Kurz sinniert er, meint dann: Forstlich habe die Vogelbeere bisher keine Bedeutung. Aber wenn man jetzt auf viele Baumarten setze, könne sich da ja etwas ändern. Dingler will dies nur als Beispiel unter vielen verstanden wissen, als einen bloßen Gedanken. Entlang eines Forstwegs wandert sein Zeigefinger auf Ahorn und Wildkirsche, die „hier eingebracht“worden seien. „Es gibt sicher nicht die eine spezielle Lösung für den Wald für morgen“, sagt er.
Um einen Ausweg aus dem Dilemma zu finden, wird über vieles diskutiert. Eine naheliegende Idee dabei: mehr Bäume aus Klimazonen zu pflanzen, die womöglich den für die Zukunft angenommenen Verhältnissen in Deutschland entsprechen – also auswärtige Gewächse. Die nordamerikanische Roteiche steht auf der Experimentierliste. Die aus derselben Region kommende Douglasie ebenso. Wobei dieser Nadelbaum bereits seit rund 150 Jahren in Mitteleuropa vorkommt. Bis jetzt hat er sich gut gehalten, ein Hoffnungsträger wie bis vor Kurzem die Weißtanne. Doch die jüngsten heißen Trockenjahre haben auch bei der Douglasie Spuren hinterlassen – zum Entsetzen manchen Waldumbauers.
Eventuell könnte die Schwarzkiefer aus dem Mittelmeerraum eine Ergänzung des deutschen Waldes sein – oder sogar die biblische Libanonzeder. In langfristig angelegten Versuchsfeldern wollen bundesweit Forstwissenschaftler herausfinden, was gehen könnte. Sie werden jedoch von Ökoverbänden argwöhnisch beobachtet. „Die ökologischen Folgen für das Ökosystem Wald müssen hier gut gegen den vermeintlichen Nutzen abgewogen werden“, argumentiert Johannes Enssle, Vorsitzender des badenwürttembergischen Nabu. „Mehr als 30 Prozent fremdländischer Baumarten sollten es nicht sein.“
Indes haben sich Nabu und andere Ökoverbände zur Waldrettung aufs Wild eingeschossen. Nach ihrer Ansicht gibt es zu viele Rehe und Hirsche. Sie würden noch die letzten hoffnungsvollen Jungbaumsprosse abbeißen. Die Forderung: umfassende Tötungsaktionen. Ausführen müsste so etwas die Jägerschaft. Doch in ihrer Masse will sie dies nicht. So stemmt sich der baden-württembergische Landesjagdverband seit Jahren gegen ein solches Ansinnen. Er wirft den Ökoverbänden Ausrottungsabsichten vor.
Der Kampf um den Wald der Zukunft wird also auf weit mehr Feldern ausgetragen, als ein braver Sonntagsspaziergänger zwischen angeschlagenen Fichten, Buchen oder Eichen ahnen kann. Nicht zu vergessen ist zudem die Frage nach der Wirtschaftlichkeit, zentral für Waldbesitzer jenseits des Staates. Dazu zählen Gemeinden, Körperschaften und private Forstbetriebe. Ihnen gehören rund 75 Prozent der badenwürttembergischen Waldfläche. „In vielen Fällen spielt der Wald eine wichtige Rolle in der Einkommenssituation, und die Holznutzung sichert das Überleben der oftmals familiengeführten Forstbetriebe“, sagt Axel Miske, Referent bei der baden-württembergischen Forstkammer, dem Zusammenschluss privater und kommunaler Waldbesitzer.
Die daraus resultierende Forderung der Forstkammer: „Die Baumarten der Zukunft sollten demnach nicht nur den klimatischen Bedingungen, sondern auch den Anforderungen der holzverarbeitenden Industrie gerecht werden und eine gewisse wirtschaftliche Leistungsfähigkeit vorweisen.“
Auch im Altdorfer Wald erinnert Forstbezirksleiter Dingler daran, dass Holz nach wie vor ökonomisch gebraucht wird: „Etwa als nachwachsender Rohstoff im Hausbau.“Einmal mehr steht aber die Frage im Raum, welche Bäume die Lieferanten sein könnten. Die schwächelnde Fichte wohl nicht mehr im bisherigen Ausmaß. „Verschwinden wird sie aber nicht. An geeigneten Standorten überlebt sie“, betont Dingler.
Und da gibt es nebenbei noch einen Hoffnungsschimmer, dass alles nicht so dramatisch kommen könnte, wie befürchtet. Der Nabu verweist darauf, ebenso die Forstkammer oder die Forstliche Versuchsund Forschungsanstalt in Freiburg. Demnach könnten sich heimische Bäume dem Klimawandel mittelfristig anpassen – so wie sich im trauten Heim manche Topfpflanzen an viel oder wenig Wasser gewöhnen lassen.
Dingler bringt im Wald ein anschauliches Beispiel. Noch einmal zeigt er auf die eindrucksvollen Riesenfichten, sagt: „Als sie vor 120 Jahren mit dem Wachsen anfingen, waren die Durchschnittstemperaturen niedriger und die Niederschläge häufiger. Sie haben von ihrer Entwicklung her keine Erfahrungen mit der jetzigen Situation.“Dann blickt er hinüber auf junge, tiefgrüne Fichten, die kräftig nachwachsen, und meint: „Vielleicht gewöhnen sie sich ja ein Stück weit an Dürre und Hitze.“Ob das so kommt, weiß gegenwärtig aber niemand.
Bernhard Dingler, Leiter des Forstbezirkes Altdorfer Wald
„Wir müssen den Wald jetzt maßvoll an die neuen Bedingungen anpassen.“