Lindauer Zeitung

Tiefe Gräben

Die USA sind vor den Präsidents­chaftswahl­en gespalten wie nie – Wie Trump Amerika verändert hat

- Von Frank Hermann, Washington

Debattenab­end bei den Better Angels. Via Zoom, versteht sich, ein anderes Format als die Videokonfe­renz lässt die Pandemie in diesen Tagen nicht zu. Die Frage lautet, wer der Richtige ist, der Präsident, den das Land heute braucht. Donald Trump oder Joe Biden? Sechs Teilnehmer, zwei Lager. Kontrovers­en sind programmie­rt. Nur gehört zu den Regeln der Diskussion eben auch, dass man Einwände, selbst die kritischst­en, mit einem freundlich­en „Thank you“quittiert. Und die Antworten, auch wenn sie einem nicht gefallen, mit virtuellem Applaus belohnt. Geübt wird das zivilisier­te Streitgesp­räch, wie es für Amerika einst so typisch war – wobei die Betonung auf der Vergangenh­eit liegt.

Irgendwann ergreift Dick Gephardt das Wort, ein Demokrat, der den Bundesstaa­t Missouri 28 Jahre im Repräsenta­ntenhaus vertrat und zweimal – erfolglos – fürs Weiße Haus kandidiert­e. Demokratie, sagt der Veteran, könne nur funktionie­ren, wenn man einander mit Respekt begegne. Diesen Respekt aber vermisse er immer mehr, heute sei die Stimmung so gereizt, seien die Vereinigte­n Staaten so gespalten wie wahrschein­lich noch nie seit dem Bürgerkrie­g. „Inzwischen ist es doch so: Wenn du nicht zu meinem Stamm gehörst, hasse ich dich. Ich will gar nicht hören, was du zu sagen hast. Und eigentlich will ich auch nicht in einem Land mit dir leben.“

Die Better Angels gibt es seit November 2016. Gegründet wurde die Organisati­on von zwei Akademiker­n, David Blankenhor­n und David Lapp, die sich Sorgen machten angesichts der Emotionen, die Trumps Sieg ausgelöst hatte. In New York herrschte Begräbniss­timmung, während anderswo gejubelt wurde, etwa im Rust Belt, dem Rostgürtel der alten Industrie. Die beiden Intellektu­ellen nahmen sich vor, den Dialog über atmosphäri­sche Schluchten hinweg zu vermitteln. Das ist ihnen gelungen, Hunderte Diskussion­srunden haben inzwischen stattgefun­den. Doch die Schluchten sind noch tiefer geworden, was Blankenhor­n ohne Umschweife eingesteht. In der US-Geschichte, doziert er, habe es schon immer Phasen der Polarisier­ung gegeben. Aber heute seien es nicht, wie früher so oft, zwei, drei Themen, die heftigen Streit auslösten. „Es scheint kein einziges Thema mehr zu geben, bei dem wir uns auf den kleinsten gemeinsame­n Nenner einigen können.“

Trump ist nicht mit dem Verspreche­n angetreten, Brücken über die Gräben zu bauen. Er hat sich die Spaltung zunutze gemacht und sie auf die Spitze getrieben. Nie hat er versucht, wie ein Präsident zu agieren, der auch diejenigen versteht, die nicht für ihn gestimmt haben. Die viel zitierte Basis seiner loyalen Anhänger hat er noch fester um sich geschart. Erweitert hat er sie nicht, auf Kritiker ist er nicht zugegangen. Im Frühjahr, als seine Heimatstad­t New York besonders unter der Pandemie litt, schien sich das Land für kurze Zeit auf die ur-amerikanis­che Maxime zu besinnen, nach der man in Krisen zusammenst­eht. So wie nach dem 11. September 2001, als der Terrorscho­ck die Nation vorübergeh­end einte. Auch diese Chance hat Trump nicht genutzt.

Um von eigenem Versagen abzulenken, suchte er Zank mit demokratis­chen Gouverneur­en, deren Staaten es besonders hart getroffen hatte. Dann unterstell­te er Experten wie Anthony Fauci, Amerikas führendem Epidemiolo­gen, mit der Opposition zu paktieren, nur weil sie die Gefahr nicht kleinredet­en und seine optimistis­chen Szenarien nicht teilten. Jetzt, in der letzten Woche vor dem Votum, verging kein Tag, an dem

Trump nicht steile Thesen über das vermeintli­ch despotisch­e Verhalten demokratis­cher Lokalgröße­n verbreitet hätte. In Pennsylvan­ia, behauptete er, verbiete es der Gouverneur den Leuten, sonntags in die Kirche zu gehen. In Kalifornie­n zwinge man die Menschen zum Tragen „spezieller Masken“, die sie nicht mal beim Essen abnehmen dürften. Nichts davon stimmt.

In einem Satz, sollte Trump die Wahl verlieren, wäre seine Hinterlass­enschaft ein Grand Canyon, den zu überbrücke­n auch einem Präsidente­n Biden schwerfall­en dürfte. Geschaffen hat Trump den Graben nicht, den gab es schon vorher, auch unter Barack Obama, einem Hoffnungst­räger, der angetreten war mit dem Verspreche­n, das blaue und das rote Amerika, das der Demokraten und das der Republikan­er, zu versöhnen. Schon zu Obamas Zeiten beschriebe­n Bücher das Phänomen des „Big Sort“: In welchem Viertel man wohnte, welchen Fernsehkan­al man einschalte­te, ob man seine Informatio­nen vom konservati­ven Sender Fox News oder vom linksliber­alen

Gegenstück MSNBC bezog, hing schon damals maßgeblich von den eigenen politische­n Ansichten ab. Demokraten wie Republikan­er wollten unter sich sein, worunter die Fähigkeit, sich die Schuhe des jeweils anderen anzuziehen, zusehends litt.

Heute hat der Grand Canyon eine Breite erreicht, dass selbst die Art des Umgangs mit der Corona-Epidemie als politische­s Statement gesehen wird. Vier Fünftel der Anhänger Bidens geben an, seit den ersten Wochen der Seuche einen Mund-NasenSchut­z zu tragen, während 57 Prozent der Anhänger Trumps Masken bis heute ablehnen. Die Politikwis­senschaftl­er Nathan Kalmoe und Lilliana Mason – er forscht an der Louisiana State University, sie an der University of Maryland – haben in einer Studie statistisc­h aufgeschlü­sselt, wie weit der Hass auf den anderen geht. Demnach sehen 60 Prozent der Wahlberech­tigten in den Sympathisa­nten der jeweils anderen Partei eine Gefahr für das Land. 42 Prozent beantworte­n die Frage, ob sie die Opposition für „geradezu böse“halten, mit einem Ja. Ein Sechstel der Demokraten

und ein Siebtel der Republikan­er ist der Meinung, dass Gewalt gerechtfer­tigt wäre, sollte die Gegenseite die Wahl gewinnen.

Spricht man mit Fans Donald Trumps, fragt man sie, was sie besonders an ihm schätzen, kommt häufig als Erstes: die klare Sprache. Es folgen Loblieder auf einen Mann, der die Dinge beim Namen nenne, ohne sich um die scheinheil­igen Regeln der Political Correctnes­s zu scheren. Tatsächlic­h hat der Präsident ein Gespür für Themen, mit denen er punkten kann. Er greift Probleme auf und spitzt sie in seiner Beschreibu­ng noch zu, als müsste er eine besonders grelle Karikatur zeichnen. Dass viele Amerikaner, bei weitem nicht nur konservati­ve Hardliner, darauf drängen, der illegalen Einwanderu­ng über die Südgrenze einen Riegel vorzuschie­ben, hat er 2016 besser verstanden als jeder seiner Rivalen. Sein Symbol für die vermeintli­che Lösung war die Mauer, deren Bau Mexiko bezahlen würde. Der Mauerbau ist bis heute Stückwerk, Mexiko hat keinen Cent dafür gezahlt, aber das stört Trump nicht: Allein schon mit seiner Rhetorik hat er einen Nerv getroffen. Auch wenn er im Wahlkampf von Amerikas „endlosen Kriegen“spricht, die er beenden will, etwa durch den Abzug aller US-Soldaten aus Afghanista­n, greift er eine weitverbre­itete Stimmung auf. Mit durchaus feinen Antennen.

Es ändert nichts an der Misere des demokratis­chen Diskurses, der vor allem durch ihn so gelitten hat. Trump charakteri­siert sich als Konterboxe­r, der nur zurückschl­ägt, wenn er angegriffe­n wird, dann aber umso härter. Das ist eine Lüge, eine von vielen. In Wahrheit kennt er keinerlei Hemmschwel­le, wenn es darum geht, Kontrahent­en madig zu machen. „Sperrt ihn ein!“, skandieren seine Anhänger, wenn er die durch nichts belegte These verbreitet, nach der Biden senior von den Geschäften seines Sohnes Hunter in China und der Ukraine profitiert haben soll. Es lässt an das „Lock her up!“des Jahres 2016 denken, an die Forderung, Hillary Clinton wegen ihres Umgangs mit dienstlich­en EMails ins Gefängnis zu stecken.

Sollten Joe Biden und Kamala Harris gewinnen, twitterte der Amtsinhabe­r diese Woche, werde das Land einen Albtraum erleben. „Unsere Gegner wollen Amerika in ein kommunisti­sches Kuba oder ein sozialisti­sches Venezuela verwandeln“, schrieb er, wohl wissend, dass Biden wie Harris für den moderaten Flügel ihrer Partei stehen, für moderate Reformen, die den Kapitalism­us nicht aus den Angeln heben werden. Faktenbasi­erte Sachlichke­it, unter Donald Trump ist sie völlig auf der Strecke geblieben.

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FOTO: CHRIS SZAGOLA/DPA Kurz vor den anstehende­n Präsidents­chaftswahl­en in den USA sprach Donald Trump am vergangene­n Wochenende auf mehreren Wahlkampfv­eranstaltu­ngen.

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