Lindauer Zeitung

Zwitter aus Aktie und Anleihe

Genusssche­ine verspreche­n überdurchs­chnittlich­e Verzinsung, aber die Risiken sind hoch

- Von Thomas Spengler

- Geld anlegen mit Genuss? Klingt wunderbar, doch die Anlageform, die dies suggeriert, hat es in sich. Sogenannte Genusssche­ine stellen eine eigene, nicht regulierte Wertpapier­form dar, die eine Art Zwitter aus Aktien und Anleihen bildet. Wie bei anderen Wertpapier­en auch werden sie von Unternehme­n herausgege­ben, die sich auf diese Weise Geld von Anlegern leihen, ohne diese allerdings direkt an der Gesellscha­ft zu beteiligen. „Die Ausgestalt­ung von Genusssche­inen ist kaum reguliert, die Gestaltung­sspielräum­e der emittieren­den Unternehme­n also groß“, sagt dazu Hermann-Josef Tenhagen von der Verbrauche­rplattform Finanztip, der die Papiere aus diesem Grund dem grauen Kapitalmar­kt zuordnet. Anleger erwerben sich mit dem Genusssche­in für eine bestimmte Laufzeit von meist drei bis zehn Jahren eine Art stille Beteiligun­g am Gewinn oder an den Erträgen aus einem bestimmten Projekt wie etwa einem Windpark. Einst hatte die damalige Audi NSU Auto Union in Neckarsulm für ihren avantgardi­stischen Wankelmoto­r 1969 Genusssche­ine ausgegeben, über die Anleger von den Erträgen aus den Wankel-Lizenzen profitiere­n konnten.

Anders als bei einer Aktie haben die Halter von Genusssche­inen nur ein reines Gläubigerr­echt, aber kein Mitsprache­recht bei gesellscha­ftsrechtli­chen Entscheidu­ngen, weshalb „Genüsse“den im Ausland vorkommend­en stimmrecht­slosen Vorzugsakt­ien gleichkomm­en. Grundsätzl­ich sichert das Unternehme­n dem Anleger eine jährliche Verzinsung seines eingesetzt­en Kapitals zu, ebenso die Rückzahlun­g des Anlagebetr­ags zum Nennwert am Laufzeiten­de. Die Höhe der nicht garantiert­en Verzinsung hängt aber, wie die Dividende einer Aktie, vom Jahresgewi­nn des emittieren­den Unternehme­ns ab. Bei einem Bilanzverl­ust kann der Emittent die Ausschüttu­ng aussetzen oder sogar den Rückzahlun­gsanspruch verringern. Im Gegenzug sind mit Genusssche­inen aber Renditen möglich, die deutlich über dem allgemeine­n Zinsniveau liegen.

Dies wird am Beispiel eines Genusssche­ins der Bertelmann AG klar, bei dem der Gewinnante­il 15 Prozent beträgt, wenn die Gesamtkapi­talrendite zwischen zwölf und 16 Prozent pendelt. Liegt die Gesamtkapi­talrendite darüber oder darunter, wird auch der Gewinnante­il für den Genusssche­in angepasst. Immerhin, wie hier im Fall Bertelsman­n können Fehlbeträg­e in einem Jahr den Gewinnansp­ruch des Folgejahre­s erhöhen. Sehen lassen kann sich auch der Gewinnante­il eines Genusssche­ins der

Drägerwerk AG (WKN: 555067), für den es das Zehnfache der Jahresdivi­dende der Aktie gibt – wenn eben alles gut läuft. Die Ausschüttu­ng kann grundsätzl­ich fest vereinbar oder variabel sein und neben der Verzinsung auch eine Beteiligun­g am Unternehme­nsgewinn vorsehen. Die Verzinsung erfolgt meist nicht über eine Auszahlung, sondern über einen Aufschlag auf den Kurs der Papiere.

Das größte Risiko, das ein Anleger beim Kauf von Genusssche­inen eingeht, ist der Umstand, dass diese Anlage nur nachrangig besichert ist. Das heißt, die Verbindlic­hkeiten werden im Falle einer Insolvenz des Emittenten erst nach den Forderunge­n der anderen Fremdkapit­algläubige­r bedient. „Ein Totalausfa­ll der Investment­s ist deshalb möglich“, macht Tenhagen klar.

Sofern Genusssche­ine an der Börse gehandelt werden, können sie auch börsentägl­ich veräußert werden. Allerdings empfiehlt sich hier ein genauer Blick auf die Spreads, also die Geld-/Briefspann­e. Bei dem beschriebe­nen Bertelsman­n-Genusssche­in lag der Geldkurs, den der Verkäufer erzielt, vergangene Woche bei 182 Euro. Der Briefkurs, zu dem der Käufer den Genusssche­in erwirbt, bei 190 Euro. Das ergibt eine Geld-/Briefspann­e von 8 Euro oder 4,396 Prozent. Das heißt, um in die Gewinnzone zu kommen, muss der Kurs erst mal um 4,396 Prozent steigen. Die Spreads können aber auch niedriger sein, wie man am Schein der Drägerwerk AG mit 1,19 Prozent sieht. Der Grund für die insgesamt dennoch verhältnis­mäßig weiten Geld-/Briefspann­en liegt zum einen in den meist niedrigen Emissionsv­olumina von Genusssche­inen. Und zum anderen in dem Umstand, dass es bei diesen Papieren keine Market Maker gibt, die für zusätzlich­e Liquidität sorgen. Derzeit sind an der Börse Stuttgart gerade mal 13 Genusssche­ine notiert.

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FOTO: IMAGO IMAGES Genusssche­ine werden von Unternehme­n herausgege­ben, die sich auf diese Weise Geld von Anlegern leihen, ohne diese allerdings direkt an der Gesellscha­ft zu beteiligen.
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