Zweite Schließung ist noch schwerer zu verkraften
Die Sinnhaftigkeit fehlt: Tanzpädagogin Daniela Sauter plädiert für die Einzelfallbetrachtung
- Daniela Sauter muss ihre Ballettschule und ihr Pilateszentrum coronabedingt schon wieder schließen. Seit 25 Jahren sei sie selbstständig, und jetzt habe sie das Gefühlt, dass alles unter ihr wegbricht. Verwirrung und Verzweiflung, diese beiden Gefühle wechseln bei ihr zurzeit ständig.
„Dabei wollen wir doch nur den Menschen Freude am Tanz vermitteln“, sagt sie. Dann strömen die Worte nur so aus ihr heraus. Zu groß ist der Ärger, dem die sonst so sanfte Frau Luft machen muss. Zu groß sind Unverständnis, Hilflosigkeit, Verunsicherung, Zweifel – und ja, auch Wut. „Mich treibt diese absolute Geringschätzung, die unserer kleinen Branche entgegengebracht wird, auf die Palme. Unsere Leistung für die Gesellschaft wird mit Füßen getreten.“
Es gebe für sie keinen nachvollziehbaren Grund dafür, dass sie den Unterricht ohne Rücksicht auf Verluste schon wieder einstellen muss. Schon gar nicht mehr, nachdem sie gelesen habe, dass Musikschulen geöffnet bleiben dürfen, man dort sogar singen und mit zwei Metern Abstand Blasinstrumente spielen dürfe. „Es fällt mir extrem schwer, diese Ungerechtigkeit zu ertragen. Ich gönne es den Musikschulen, das ist keine Frage. Aber wo ist die Logik? Warum sollte Bewegung und Tanz weniger wichtig sein als das Musizieren? Zumal beim Singen und beim Blasen von Musikinstrumenten, erwiesenermaßen mehr Aerosole in die Raumluft gelangen als bei den sachten Ballettbewegungen, und unsere Ballettkinder im 250 Quadratmeter großen Raum exakt auf den ihnen – mit weitem Abstand – zugewiesenen Plätzen bleiben.“
Für ihre Branche gebe es schon wieder keine konkreten Aussagen. „Ich denke, wir sind, wie auch bereits im Frühjahr, wieder vergessen worden, beziehungsweise, wahrscheinlich der Einfachheit halber, wieder mit Fitnesszentren über einen Kamm geschert worden“, regt sie sich auf. Schon im Frühjahr hatte sie große Zweifel ob der Notwendigkeit oder Richtigkeit der verordneten Schließung. Es verunsichere sie und ihre Kollegen zunehmend, dass für Ballettschulen keine klaren Aussagen getroffen werden. „Dazu müsste sich allerdings ein Verantwortlicher oder ein Entscheidungsträger einmal die Mühe machen, und genau hinschauen, sprich, bei mir vorbeikommen. Aber es schaut keiner hin. Und es kommt keiner vorbei“, sagt sie. Das empfindet sie als empörend.
Sie und auch ihre Kollegen hätten sich im Frühjahr intensiv mit den Infektionsschutzmaßnahmen befasst. Hätten alles und noch mehr erfüllt. Sie haben einen klaren Bewegungsplan erstellt – niemals treffen die Teilnehmer zweier Gruppen aufeinander. Sie halten alle Hygiene- und
Abstandsregeln während jeder Sekunde des Aufenthalts ihrer Kunden ein. Sie putzen, desinfizieren und lüften, was das Zeug hält. Jede Person ist bekannt, wird erfasst und ist zu einem ganz bestimmten, nachvollziehbaren und dokumentierten Zeitraum in der Schule.
Und dennoch habe sich niemand darum gekümmert, was sie eigentlich machen. „Ich habe fest damit gerechnet, kontrolliert und im Bedarfsfall beraten zu werden. Ich habe die Verantwortlichen von Anfang an eingeladen, sich unser Konzept anzuschauen. Was nutzen all diese Verordnungen und Gebote, wenn niemand da ist, der sie auch kontrolliert?“ Das Ganze grenze an Willkür. Vor allem weil bei diesen, wie es in der Verordnung geschrieben stehe „verschärften Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie“gerade Einrichtungen wie Einkaufszentren, Busse und Bahnen, in denen überhaupt keine Nachverfolgung möglich ist, uneingeschränkt geöffnet bleiben.
Daniela Sauter ist davon überzeugt, dass jeder Verantwortliche zu der Gewissheit kommen würde, dass sie ihre Ballettschule gefahrlos weiterführen kann, wenn sich nur einer mal die Mühe machen würde, und ihr Konzept anschauen würde. Auch die Eltern ihrer Schüler bestätigten ihr das. „Sie sagen, sie lassen ihre Kinder lange nicht überall hin. Aber zu uns ohne Bedenken.“Ein weiteres Argument sei, dass sie eine berufsvorbereitende Einrichtung sei, anerkannt von der Regierung Oberschwaben, für Tänzerinnen und Tanzpädagogen, die durch die Stunden bei ihr notwendige Zertifikate erhalten. Was nun auch nicht stattfinden könne. Für Berufsstarter in der Ballettbranche bringe das durchaus Nachteile.
Was sie am meisten schmerze, sei, dass sie das Problem schon wieder auf dem Rücken ihrer Kunden austragen müsse. „Das ist ein furchtbares Gefühl“, sagt sie. „Die vergangenen Monate sind so schon anstrengend gewesen. Aber diese zweite Schließung ist noch schwerer zu verkraften.“
Nur 13 Wochen hatten sie Zeit. Sie habe noch nicht mal alle Stunden nachholen können, die dem ersten Lockdown zum Opfer gefallen sind. Gerade erst seien sie wieder in der Spur gewesen, und nun werden sie schon wieder komplett ausgebremst. „Ich würde es einsehen, wenn ich eine Logik erkennen würde. Wenn ich wüsste, wir gefährden Menschen. Aber so?“, fragt die Tanzpädagogin mutlos.
Die Politik tröste mit finanzieller Hilfe, aber sie bedenke nicht die Langzeitfolgen, die die Schließung einer privaten Schulungseinrichtung habe. Wenn die Kunden auf Dauer kündigen, oder erst gar nicht kommen. Da gehe der Betrieb auch nach der Öffnung nicht einfach so reibungslos weiter. Das habe Auswirkungen auf viele Monate und mache viel kaputt. Und die Befürchtung sei, dass sie sich jetzt von Schließung zu Schließung hangeln muss. Für ihre Kunden im Pilateszentrum sei es ebenfalls schlimm. Viele von ihnen üben nach der Reha bei ihr weiter, um für den Alltag gefestigt zu werden. „Ich will verlässlich sein und darf es nicht. Ich habe das Gefühl, meine Leute im Stich zu lassen“, sagt Daniela Sauter traurig.
Weil sie es wirklich nicht verstehen und kaum glauben kann, tatsächlich wieder von der Schließung betroffen zu sein, werde sie sich beim Landratsamt Lindau melden und um eine Einzelfallklärung bitten, denn sie sei einfach keine übliche Freizeiteinrichtung, sondern eine Schule, bedeutend für die körperliche und seelische Gesundheit ihrer Kunden und somit systemrelevant.
Daniela Sauter
„Ich würde es einsehen, wenn ich eine Logik erkennen würde.“