Lindauer Zeitung

Angeklagte­r muss Aufsatz über vier Seiten schreiben

Ein 19-Jähriger will nachts auf der Autobahn aus dem Auto seiner Mutter aussteigen – Weil die ihn nicht lässt, ruft er über Notruf die Polizei

- Von Peter Mittermeie­r

- Das Verfassen von Aufsätzen zwingt den Autor, sich Gedanken zu machen, mitunter dient es auch der Erziehung. Diese Funktion soll es bei einem 19-Jährigen aus dem unteren Landkreis Lindau haben. Er muss nach einem Urteil des Amtsgerich­ts einen vierseitig­en Aufsatz über die „Auswirkung­en des Alkoholkon­sums für mein Leben“schreiben. Es ist die juristisch­e Folge eines turbulente­n Abends unter Alkoholein­fluss, den Missbrauch des Notrufs inklusive.

Das Ganze spielte sich Ende Juni ab. Der 19-Jährige feierte mit Freunden in Friedrichs­hafen. An viel konnte er sich bei der Verhandlun­g alkoholbed­ingt nicht mehr erinnern. Klar ist: Sein Zustand muss bedenklich gewesen sein. Das lässt sich an zwei Dingen ablesen. Zum einen hatten ihm Freunde einen Motorradhe­lm aufgesetzt, weil ihr Kumpel ständig auf die Nase fiel, zum anderen verständig­ten Passanten einen Krankenwag­en, weil sie um die Gesundheit des 19-Jährigen fürchteten. Der machte sich aber aus dem Staub, ehe die Besatzung des Rettungswa­gens ihn mitnehmen konnte. „Ich war der Meinung, dass ich noch nicht ins Bett musste“, erklärte er seine „Flucht“. Seine Freunde wussten sich schließlic­h nicht anders zu helfen und riefen die Mutter des 19-Jährigen an. Sie sollte ihn sicher nach Hause bringen.

Es folgte das, was Richterin Brigitte Grenzstein eine „Autofahrt mit Unterhaltu­ngswert“nannte. Die Mutter fuhr nicht direkt nach Hause, sondern machte eine etwa 45-minütige Spritztour. „Ich wollte, dass er im Auto bleibt und nicht wieder wegläuft“, erklärte sie der Richterin. Damit war ihr Filius freilich alles andere als einverstan­den. Er öffnete während der Fahrt die Tür des Autos und wollte aussteigen. Deshalb drückte seine Mutter aufs Gas. Der Fahrtwind sollte die Tür zudrücken. Schließlic­h wählte der junge Mann die 110 und forderte Hilfe der Polizei an. Die Beamten sollten das Auto auf der Autobahn anhalten, damit er aussteigen und zu Fuß weitergehe­n könnte. „Das machen wir schon mal nicht“, bekam er laut Protokoll von der Einsatzlei­tstelle zu hören.

Das klingt amüsant. Was der junge Mann getan hat, gilt aber als Missbrauch des Notrufs. Und das ist eine Straftat. Nicht nur deshalb las Grenzstein dem Angeklagte­n die Leviten. Der junge Mann nimmt das Leben offenbar bislang etwas auf die leichte Schulter und stand nicht zum ersten Mal vor der Direktorin des Amtsgerich­ts. Sie hatte ihn unter anderem schon wegen des Besitzes und Handeltrei­bens mit Betäubungs­mitteln verurteilt.

Deshalb hat der 19-Jährige auch seinen Führersche­in abgeben müssen. „Lassen Sie die Finger von Alkohol und Drogen, sonst bekommen Sie den Führersche­in nie mehr“, ermahnte Grenzstein den Angeklagte­n. Sie verurteilt­e ihn zu einer Geldstrafe über 300 Euro – zahlbar an die Kreisverke­hrswacht – und zu dem genannten Aufsatz, eine Anregung der Jugendgeri­chtshilfe.

„Ein Besinnungs­aufsatz ist manchmal hilfreiche­r als ein Gespräch mit Erwachsene­n“, sagte Richterin Grenzstein. Sollte der junge Mann sein Werk nicht binnen vier Wochen abliefern, bekommt er eine „Privataudi­enz“bei der Richterin. Und die hat schwerwieg­endere Folgen, nämlich zwei Wochen Jugendarre­st.

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