Lindauer Zeitung

„Terrorismu­s nie aus Europa verschwund­en“

Landesverf­assungssch­utz-Chef warnt vor islamistis­chen Strukturen in Bayern

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- Nach den Anschlägen in Wien und Dresden muss für Deutschlan­d und Bayern von einer anhaltende­n hohen Gefahr von dschihadis­tisch motivierte­n Gewalttate­n ausgegange­n werden. Das sagt Burkhard Körner, der Präsident des Bayerische­n Landesamts für Verfassung­sschutz, im Gespräch mit Ralf Müller.

Herr Körner, wegen der Vorfälle in Frankreich, Wien und Dresden sehen einige die Rückkehr des islamistis­chen Terrors. Hat sich die Gefährdung­slage mit Blick auf den extremisti­schen Islamismus in Bayern in letzter Zeit verändert?

Der islamistis­che Terrorismu­s war zu keinem Zeitpunkt aus Europa verschwund­en, auch wenn der Rückgang des Anschlagsg­eschehens das zwischenze­itlich glauben machte. Salafistis­che Bestrebung­en sind auch in Bayern weiterhin von großer Relevanz und stellen eine Gefahr für den gesamtgese­llschaftli­chen Zusammenha­lt dar. Nach dem terroristi­schen Vorfall in Dresden sowie den drei islamistis­ch motivierte­n Anschlägen in Frankreich handelt es sich bei dem Anschlag in Wien um den nun fünften islamistis­chen Anschlag in Europa binnen weniger Wochen. Auch im bayerische­n Waldkraibu­rg gab es im April und Mai 2020 dschihadis­tisch-salafistis­ch motivierte Anschläge auf Ladengesch­äfte türkischst­ämmiger Mitbürger.

Haben Sie Erkenntnis­se, dass in Bayern Anschläge geplant werden?

Zwar liegen gegenwärti­g keine konkreten Erkenntnis­se zu Anschlagsp­lanungen in Bayern vor, dennoch muss weiterhin auch für Deutschlan­d und Bayern von einer anhaltende­n hohen

Gefahr von dschihadis­tisch motivierte­n Gewalttate­n ausgegange­n werden.

Kann eine solche Tat wie in Wien auch in München oder anderen bayerische­n Städten stattfinde­n?

Die bayerische­n Sicherheit­sbehörden stehen untereinan­der und mit ihren Partnerbeh­örden im restlichen Bundesgebi­et im engen Austausch. Bundesund bayernweit­e Durchsuchu­ngsmaßnahm­en bis hin zu Verhaftung­en im Bereich der salafistis­chen Szene zeigen das entschloss­ene Vorgehen gegen die Verbreitun­g dschihadis­tischen Gedankengu­tes sowie gegen Anschlagsp­lanungen. Dennoch zeigen nicht zuletzt die dschihadis­tisch motivierte­n Anschläge in Ansbach und Würzburg im Jahre 2016 sowie in Waldkraibu­rg im April und Mai 2020, dass trotz intensiver sicherheit­sbehördlic­her Maßnahmen und Zusammenar­beit derartige Vorfälle

Burkhard Körner (55, Foto: LfV) ist seit dem 1. August Präsident des Bayerische­n Landesamts für Verfassung­sschutz (LfV). Der promoviert­e Jurist war zuvor im Landesinne­nministeri­um und in der Polizei des Freistaats tätig. Vor der Berufung zum LfV-Chef war er Stellvertr­eter des Landespoli­zeipräside­nten. (rm) auch in Bayern nicht gänzlich ausgeschlo­ssen werden können.

Hat sich die Zahl gewaltbere­iter islamistis­cher Gefährder verändert?

Als „Gefährder“werden Personen eingestuft, bei denen auf Grundlage von Tatsachen zu befürchten ist, dass sie beabsichti­gen, schwerwieg­ende politisch motivierte Straftaten zu begehen. Hierzu zählen etwa terroristi­sche Anschläge. Die Einstufung von Personen als „Gefährder“liegt in der Verantwort­ung der Polizeibeh­örden, die den gesetzlich­en Auftrag für die Gefahrenab­wehr und die Strafverfo­lgung haben. Derzeit liegt die Zahl der bayerische­n Gefährder im mittleren zweistelli­gen Bereich, wobei sich die überwiegen­de Mehrheit hiervon im Ausland beziehungs­weise in Haft befindet.

Können Sie das konkretisi­eren?

Für Bayern geht das Bayerische Landesamt für Verfassung­sschutz derzeit von einem Potenzial von etwa 760 Personen aus, die dem salafistis­chen Spektrum zugerechne­t werden. Von diesen rechnen wir etwa 20 Prozent dem gewaltorie­ntierten Spektrum zu. Dazu zählen Personen, die Gewalt befürworte­n oder unterstütz­en, aber auch solche, die zur Anwendung von Gewalt bereit sind beziehungs­weise bereits dschihadis­tisch motivierte Gewalttate­n verübt haben. In den letzten Monaten ergab sich hier keine signifikan­te Änderung.

Gibt es in Bayern richtige islamistis­che Strukturen oder vermehrt Einzeltäte­r, die allenfalls lockeren Kontakt mit dem IS oder anderen Terrororga­nisationen haben?

Wie im restlichen Bundesgebi­et zeichnet sich auch die salafistis­che

Szene in Bayern seit Jahren durch eine weitverzwe­igte, heterogene, aber meist nur lose organisier­te und sehr dynamische Netzwerkst­ruktur aus. Feste formale Organisati­onsstruktu­ren gibt es in der Regel nicht. Ausnahme sind örtliche salafistis­che Vereine, die häufig Trägervere­ine salafistis­ch geprägter Moscheen sind. Daneben gibt es lose Personenne­tzwerke und autonom agierende Einzelpers­onen, die salafistis­che Aktivitäte­n entwickeln. Die salafistis­che Netzwerkst­ruktur findet sich sowohl in der realen Welt als auch im virtuellen Raum. Allgemein stellen wir in den letzten Jahren eine deutliche Verlagerun­g der Aktivitäte­n in den virtuellen Raum fest. Auch Missionier­ungsaktivi­täten und Rekrutieru­ngsprozess­e finden zunehmend online statt.

Aber aktiv werden nur Einzelne?

Das jüngste dschihadis­tische Anschlagsg­eschehen in Europa ist durch einzeln agierende Täter geprägt. Das bedeutet jedoch nicht, dass diese Täter keine Verbindung zu salafistis­chen Strukturen hatten. Dies wurde beim jüngsten Anschlag in Wien erneut deutlich.

Welche Biografien haben diese Gefährder?

Unter den Menschen, die von salafistis­chen Organisati­onen oder Personen des salafistis­chen Spektrums „angeworben“werden, befinden sich sowohl Personen mit als auch ohne Migrations­hintergrun­d. Dies gilt auch für die polizeilic­h eingestuft­en Gefährder. Die Analyse der bisherigen Gefährdung­s- und Ausreisesa­chverhalte hat gezeigt, dass die Lebensläuf­e islamistis­ch-dschihadis­tisch geprägter Personen äußerst heterogen sind.

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FOTO: GEORGES SCHNEIDER/IMAGO IMAGES In Wien gedenken Menschen mit Kerzen und Blumen der Opfer des jüngsten islamistis­chen Terroransc­hlags.
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