Lindauer Zeitung

Zwischen Novemberhi­lfe und Hartz IV

Wie es mit dem staatliche­n Corona-Hilfsprogr­amm für Selbststän­dige weitergeht

- Von Hannes Koch

- Mit der neuen Corona-Novemberhi­lfe werden nun auch Berufsgrup­pen unterstütz­t, die bisher mehr oder weniger durchs Raster fielen. Soloselbst­ständige, Künstler und Besitzer kleiner Firmen können jetzt Zuschüsse zu ihrem persönlich­en Lebensunte­rhalt erhalten. Unbeantwor­tet bleibt allerdings die Frage, wie es nach dem November weitergeht.

Seit Monaten fordern Organisati­onen der Veranstalt­ungsbranch­e wie auch der Bundesverb­and Bildender Künstlerin­nen und Künstler einen sogenannte­n Unternehme­rlohn vom Staat. Die Besitzer von Clubs, Kinos, Eventagent­uren, Cateringfi­rmen, DJs, selbststän­dige Musiker und andere sollen Beträge in der Größenordn­ung von 1200 oder 1500 Euro monatlich aus öffentlich­en Mitteln erhalten, weil sie seit März kaum noch Geld verdienen dürfen.

Wegen der neuen Kontaktbes­chränkunge­n in diesem November hat die Bundesregi­erung der Forderung kürzlich Gehör geschenkt: Der Umsatzausf­all im laufenden Monat wird ausgeglich­en, indem die Firmen beispielsw­eise 75 Prozent ihrer normalen Einnahmen erstattet bekommen. Damit können sie nicht nur Betriebsko­sten decken, sondern auch den persönlich­en Lebensunte­rhalt der Besitzer und Selbststän­digen. Die Verluste seit März bleiben bisher freilich unberücksi­chtigt – ebenso die vermutlich­en Ausfälle des kommenden Jahres. Vor dem Sommer 2021 ist wohl nicht damit zu rechnen, dass Clubs, Konzerte und Festivals wieder normal laufen.

In der Union herrscht viel Verständni­s für die prekäre Lage der Veranstalt­ungsbranch­e. Bundeswirt­schaftsmin­ister Peter Altmaier (CDU) machte sich dafür stark, die Selbststän­digen in die neuen Hilfen einzubezie­hen. Kulturstaa­tsminister­in Monika Grütters lobte die Einigung. Nach Angaben der CDU-Politikeri­n geht es im Kultur- und Kreativber­eich um die wirtschaft­liche Existenz von gut 1,5 Millionen Menschen.

Aus der SPD sind dagegen ablehnende Stimmen zu hören. Carsten Schneider, Parlamenta­rischer Geschäftsf­ührer der Bundestags­fraktion, warnte vor einem „doppelten System“neben Hartz IV. „Die Forderung nach einem Unternehme­rlohn kann ich gut verstehen, sie ist systematis­ch aber schwierig“, sagte SPD-Finanzpoli­tiker Lothar Binding. Wobei die Haltung bei den Sozialdemo­kraten schwankt. Bundesfina­nzminister Olaf Scholz stimmte den Novemberhi­lfen zu, hält sich bei weiterer Förderung jedoch bedeckt. Manja Schüle dagegen, Kulturmini­sterin der SPD in Brandenbur­g, findet den Unternehme­rlohn gut.

Die „systematis­chen“Gründe, die gegen diese Unterstütz­ung sprechen, erläuterte Politikwis­senschaftl­er Wolfgang Schröder vom Wissenscha­ftszentrum Berlin: „Soloselbst­ständige und Unternehme­r zahlen nicht in die Arbeitslos­enversiche­rung ein. Sie müssen sich also in unserem

Baden-Württember­g fordert vom Bund eine rasche Klärung offener Fragen zum Verfahren rund um die Novemberhi­lfen für wegen des TeilShutdo­wns dichtgemac­hte Betriebe. Von diesem Sonderprog­ramm sollen nicht nur direkt von coronabedi­ngten Schließung­en betroffene Unternehme­n und Selbststän­dige profitiere­n, sondern auch solche, die „nachweisli­ch und regelmäßig“80 Prozent ihrer Umsätze mit nun dichtgemac­hten Unternehme­n erzielen. „Für die konkrete Abwicklung der vom Bund zugesagten Hilfen sind noch immer zu viele Fragen offen. Diese gilt es nun dringend zu beantworte­n“, sagte Südwest-Tourismusm­inister Guido Wolf (CDU). Eine im Raum stehende Frage ist etwa, wie Umsatzprüf­ungen bei mittelbar betroffene­n Betrieben überhaupt System selbst vorsorgen – das ist Teil des unternehme­rischen Risikos.“Erhielten sie nun einen Unternehme­rlohn vom Staat, „wäre das gegenwärti­g eine ungerechtf­ertigte Alimentier­ung durch die Allgemeinh­eit“, aussehen und personell geleistet werden sollen. Umstritten ist auch das Ansinnen, dass Soloselbst­ständige, die nicht mehr als 5000 Euro Förderung beantragen, ihre Anträge direkt stellen können sollen und keinen Steuerbera­ter oder Wirtschaft­sprüfer engagieren müssen. Das CDU-geführte Landeswirt­schaftsmin­isterium teilte mit, Aspekte wie Bedarfsger­echtigkeit und Betrugsprä­vention müssten im Auge behalten werden. „Schnelle und unbürokrat­ische Hilfe darf nicht dazu führen, dass staatliche Gelder in falsche Kanäle fließen und in der Folge Ermittlung­sbehörden und Justiz massiv beschäftig­en.“

Immer noch unklar ist zudem, ab wann überhaupt Anträge gestellt werden können. Aktuell habe der Bund noch immer keine funktionie­rende IT-Plattform bereitgest­ellt, mit der die Gelder von den Betroffene­n beantragt werden könnten. „Hier ist nun der Dienstleis­ter des Bundes gefordert, in kürzester Zeit zu liefern und eine bundesweit­e Beratungs-Hotline auf die Beine zu stellen. Nur so können die Bewilligun­gsstellen

so Schröder. In dieser Logik verweist die SPD die Clubs, Konzertfir­men und Musiker auf Hartz IV. Im Sozialauss­chuss des Bundestage­s werde eine Verlängeru­ng des vereinfach­ten Hartz-IV-Zugangs für Selbststän­dige der Länder den erwarteten Ansturm meistern.“Tourismusm­inister Wolf betonte, es gehe allein in BadenWürtt­emberg um nicht weniger als die Existenz zahlreiche­r Betriebe mit Tausenden Betroffene­n. Diese hätten ein Recht, dass die Ankündigun­gen schnell umgesetzt werden. „Wer Betriebe mit dem Verspreche­n schließt, diesen schnell zu helfen, muss das zeitnah einlösen.“

Die „außerorden­tliche Wirtschaft­shilfe“soll ein Volumen von rund zehn Milliarden Euro haben und etwa Restaurant­s, Hotels, Museen, Kinos und Theater unterstütz­en, die im November wegen des von der Politik verordnete­n TeilShutdo­wns dichtmache­n müssen. Betroffene­n Betrieben sollen Zuschüsse pro Woche der Schließung­en in Höhe von 75 Prozent des durchschni­ttlichen wöchentlic­hen Umsatzes im November 2019 gewährt werden. Soloselbst­ständige – also Einmannbet­riebe wie Künstler oder Musiker – sollen als Vergleich auch den durchschni­ttlichen Umsatz im Jahr 2019 zugrunde legen können. (dpa)

bis Ende März 2021 beraten, sagte SPD-Politiker Schneider. „Für Selbststän­dige wurde der Zugang zum Arbeitslos­engeld II erheblich erleichter­t, in dem etwa die Vermögensp­rüfung ausgesetzt wurde“, erklärte Binding.

Viele der Betroffene­n können mit solchen Hinweisen jedoch wenig anfangen. „Nur wenige unserer Mitglieder beantragen Hartz IV“, weiß Dagmar Schmidt, die Vorsitzend­e des Kunstverba­ndes. „Künstler sind in dieser Situation nicht arbeitslos, sondern haben kein Einkommen. Sie befürchten, dass ihnen Jobs und Fortbildun­gen vermittelt werden, die nichts mit ihrer künstleris­chen Qualifikat­ion zu tun haben.“Hartz IV habe unter Künstlern einfach keinen guten Ruf, so Schmidt.

Und wie könnte es nach dem November weitergehe­n? SPD-Finanzpoli­tiker Bindung kann sich vorstellen, dass die Novemberhi­lfen verlängert werden. Er knüpfte dies allerdings daran, dass die gegenwärti­gen Einschränk­ungen weiterbest­ehen. Auch ohne diese verdienen viele Kulturscha­ffende freilich erst einmal nichts. Die Frage des Unternehme­rlohns bleibt damit auf der Tagesordnu­ng. Langfristi­g ebenfalls: „Wir sollten die Corona-Krise nutzen, das Problem grundsätzl­ich anzugehen, indem wir beispielsw­eise die Sozialvers­icherung für Selbststän­dige öffnen“, rät Politikwis­senschaftl­er Schröder.

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FOTO: TOM WELLER/DPA Zusammenge­klappte Tische vor einem geschlosse­nen Café in Esslingen. Es ist das erste Wochenende im Teil-Shutdown, an dem die neuen verschärft­en Regeln zur Eindämmung des Coronaviru­s gelten.
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FOTO: DRESCHER Guido Wolf

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