Scharfe Töne aus Paris
Macron kritisiert Kramp-Karrenbauer für Gastbeitrag
(dpa) - Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron fordert mehr Eigenständigkeit der Europäer bei Sicherheit und Verteidigung und begibt sich auf Konfrontationskurs mit Deutschland. Der 42-Jährige kritisierte in einem Interview vom Montag mit ungewöhnlicher Offenheit die Äußerungen von Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU), wonach „Illusionen einer europäischen strategischen Unabhängigkeit“enden müssten.
Er teile „ganz und gar nicht“die in einem Gastbeitrag geäußerte Haltung der deutschen Ressortchefin, sagte Macron der Pariser Zeitschrift „Grand Continent“. Weiter sagte er: „Ich halte das für eine Fehlinterpretation der Geschichte.“Mit Blick auf Angela Merkel (CDU) fügte er hinzu: „Zum Glück verfolgt die deutsche Kanzlerin nicht diese Linie, wenn ich es richtig verstanden habe.“Frankreich hat in der Sicherheitspolitik eine besondere Stellung: Nach dem Austritt der Briten aus der EU ist es das einzige Land, das über eigene Atomwaffen verfügt.
Kramp-Karrenbauer hatte unmittelbar vor der US-Präsidentenwahl Anfang November beim Internetportal Politico einen Gastbeitrag mit dem Titel „Europe still needs America“(Etwa: „Europa braucht Amerika immer noch“) veröffentlicht. Die CDUPolitikerin schrieb dort: „Die Europäer werden nicht in der Lage sein, die entscheidende Rolle Amerikas als ein Sicherheitsanbieter zu ersetzen.“
Der Sprecher der Bundesregierung, Steffen Seibert, betonte, man teile mit Frankreich das Streben nach mehr eigenständigem Handeln Europas.
Gleichzeitig sprach er davon, wie wichtig das Verhältnis Europas und Deutschlands zu den USA sei. Man sei überzeugt, dass Deutschland und Europa „die großen Herausforderungen unserer Zeit mit den USA gemeinsam angehen müssen, wenn wir ihnen wirksam begegnen wollen“, so Seibert am Montag.
Macron und Außenminister JeanYves Le Drian empfingen am Montag US-Außenminister Mike Pompeo im Élyséepalast. Kreise des französischen Präsidialamts sprachen von einem „Höflichkeitsbesuch“. Der Chefdiplomat aus Washington begann eine Reise durch Europa und den Nahen Osten. Pompeo hatte in der vergangenen Woche die Wahlniederlage von Präsident Donald Trump gegen seinen demokratischen Herausforderer Joe Biden nicht eingestanden. Macron beglückwünschte hingegen Biden und telefonierte mit dem 77-Jährigen, wie Élyséekreise berichtet hatten.
Die Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion für Europapolitik, Franziska Brantner, nannte Macrons Kritik völlig berechtigt. „Wir dürfen uns nicht von vornherein jede Souveränität absprechen, sondern müssen an ihr aktiv arbeiten. Genau das fordern auch die USA von uns“, sagte Brantner in Berlin. Die Bundesregierung solle mit Frankreich Motor für eine europäische Entwicklung sein, anstatt weiter zu bremsen.
Macron sagte der Zeitschrift „Grand Continent“, die USA würden die Europäer nur als Verbündete akzeptieren, „wenn wir uns selber ernst nehmen, und wenn wir in unserer eigenen Verteidigung souverän sind“.