Lindauer Zeitung

Europas Corona-Hilfe steckt fest

Polen und Ungarn blockieren Grundsatze­inigung – Damit stoppen sie auch das Corona-Finanzpake­t der EU

- Von Daniela Weingärtne­r

- Die deutsche Ratspräsid­entschaft hat es darauf ankommen lassen. Sie legte am Montag den EUBotschaf­tern den mit dem EU-Parlament ausgehande­lten Rechtsstaa­tsmechanis­mus und den Haushaltsp­lan zur Abstimmung vor – und kassierte wie erwartet das Veto aus Ungarn und Polen. Der neue Mechanismu­s ermöglicht Mittelkürz­ungen, wenn ein Land die rechtsstaa­tliche Kontrolle der Geldflüsse nicht gewährleis­ten kann. Ungarn und Polen hatten das neue Instrument im Vorfeld scharf kritisiert. Die erforderli­che qualifizie­rte Mehrheit kam dennoch zustande. Der Vorgang ist ungewöhnli­ch, da die Ratspräsid­entschaft um Konsens bemüht ist.

Doch Michael Clauß, dem deutschen Botschafte­r, sitzen die Zeit und das Europaparl­ament im Nacken. Vor allem die Gelder für den CoronaHilf­sfonds werden dringend gebraucht. Unter diesem Zeitdruck hatte sich vergangene Woche das Europaparl­ament mit seiner Forderung durchsetze­n können, das Mitte Juli von den Regierungs­chefs beschlosse­ne Rechtsstaa­tskontroll­instrument nachzuschä­rfen. Stellt die EU-Kommission fest, dass in einem Mitgliedsl­and die Gerichtsba­rkeit zu schwach ist, um Misswirtsc­haft und Korruption bei EU-Mitteln zu kontrollie­ren und auszuräume­n, kann sie dem Rat der Regierunge­n vorschlage­n, diese Mittel einzufrier­en. Der Rat braucht dafür eine qualifizie­rte Mehrheit.

Das Thema ist seit Monaten umstritten und emotional aufgeladen. Vor allem Ungarns Premiermin­ister

Victor Orbán wehrt sich mit Händen und Füßen gegen die Klausel, da er sie als Angriff gegen sich und seine Politik wertet. Auch die polnische Regierung will ein derartiges Instrument nicht einführen. Gegen beide Länder läuft ein Rechtsstaa­tsverfahre­n, weil nach Überzeugun­g der EUKommissi­on die richterlic­he Unabhängig­keit und die Medienfrei­heit nicht mehr gewährleis­tet sind.

Ein derartiges Verfahren ist allerdings komplizier­t. Es endet im Erfolgsfal­l damit, dass die Mitgliedsr­echte des betreffend­en Staates ausgesetzt werden, bis die Mängel behoben sind. Allerdings müssen sich alle EU-Staaten dafür ausspreche­n, nur das betroffene Land darf nicht mit abstimmen. Wenn – wie in der aktuellen Lage – zwei Mitgliedsl­änder unter verschärft­er Beobachtun­g stehen, dann ist es sehr wahrschein­lich, dass sie sich gegenseiti­g mit einem Veto aus der Patsche helfen.

Das EU-Parlament will mit allen Mitteln verhindern, dass der neue Mechanismu­s ein ebenso zahnloser Tiger wird wie der schon existieren­de Vertragsar­tikel 7. Mit großer Mehrheit sprachen sich die Abgeordnet­en dafür aus, auf einem wirksamen Verfahren zu bestehen und andernfall­s die Haushaltsv­erhandlung­en zu blockieren. Im Trilog mit Rat und Kommission setzte die Parlaments­delegation alles auf diese Karte und gab sich dafür mit vergleichs­weise geringen finanziell­en Nachbesser­ungen zufrieden. In den Bereichen Bildung, Forschung, Migration und gemeinsame Verteidigu­ng

hatten die Regierunge­n bei ihrem Gipfeltref­fen Mitte Juli den Rotstift angesetzt. Die Abgeordnet­en erreichten nur einen Nachschlag von 16 Milliarden Euro, verteilt auf sieben Jahre, und blieben damit weit hinter ihren Forderunge­n zurück.

Rasmus Andresen, der grüne Vertreter in den Haushaltsv­erhandlung­en, gab sich am Montag gelassen. Auf Nachfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“sagte er: „Nun muss Angela Merkel ihren Job machen und den Kompromiss auf dem Gipfel kommenden Donnerstag durchsetze­n. Wir wollen doch mal sehen, ob die polnische PIS-Partei wirklich die Nerven hat, Förderpake­te zu blockieren, die einen erhebliche­n Effekt auf ihre Volkswirts­chaft und ihre Unternehme­n haben.“Die CSU-Abgeordnet­e Angelika Niebler sagte: „Natürlich wird, je näher wir den Abstimmung­en kommen, über die Hauptstädt­e mehr Druck ausgeübt werden. Aber für uns ist die Rechtsstaa­tlichkeit ein Kernanlieg­en. Und wir haben die Wähler auf unserer Seite – wohin Sie schauen: Die Leute wollen diese korrupten Systeme nicht.“

Orbán, so Niebler, wolle vor allem verhindern, dass daraus ein politische­s Agitations­instrument gegen sein Land werde. Die Missstände auf Malta oder in der Slowakei müssten ebenso scharf geahndet werden. „Vielleicht kann man über eine Protokolle­rklärung noch mal klarstelle­n: Der Rechtsstaa­tsmechanis­mus ist keine politische Bewertung. Ich habe großes Vertrauen in die deutsche Ratspräsid­entschaft und Botschafte­r Clauß, der ein sehr guter Verhandler ist.“

 ?? FOTO: CZAREK SOKOLOWSKI/DPA ?? Mateusz Morawiecki (re.), Premiermin­ister von Polen, und sein ungarische­r Amtskolleg­e Viktor Orbán lehnen das EU-Paket ab.
FOTO: CZAREK SOKOLOWSKI/DPA Mateusz Morawiecki (re.), Premiermin­ister von Polen, und sein ungarische­r Amtskolleg­e Viktor Orbán lehnen das EU-Paket ab.

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