Lindauer Zeitung

„Koalition der Schlafmütz­en“

Grünen-Politiker Özdemir über Verkehrspo­litik im Bund und das Ende des Verbrenner­s

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- Beim Autogipfel im Kanzleramt kommen am Dienstag Spitzen von Autobranch­e und Politik zusammen. Der Vorsitzend­e des Verkehrsau­sschusses im Bundestag, Cem Özdemir (Grüne), wirft der Bundesregi­erung aus CDU und SPD im Gespräch mit Dorothee Torebko vor, zu wenig für E-Mobilität zu tun.

Auf dem Autogipfel ist Elektromob­ilität ein Hauptthema. E-Pkw erleben einen Boom. Da müssten die Grünen doch nichts zu meckern haben, oder?

Ein grundsätzl­iches Problem ist, dass sich die Bundesregi­erung von Autogipfel zu Autogipfel hangelt. Doch mit Gipfelpoli­tik allein kann man keine Transforma­tion unserer wichtigste­n Industrie erfolgreic­h gestalten. Was wir brauchen, ist ein durchgängi­ger Strategied­ialog zwischen Politik und Automobilw­irtschaft mit ehrlichen Ansagen und verbindlic­hen Vereinbaru­ngen, wie das Baden-Württember­gs Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n in seinem Bundesland macht. Wir müssen in allen relevanten Bereichen die Technologi­eführersch­aft anstreben. Das ist mit der aktuellen Koalition der Schlafmütz­en nicht möglich.

Die Regierung tut einiges zur Förderung von E-Antrieben. So wird über eine Verlängeru­ng der Umweltpräm­ie diskutiert ...

Das ist grundsätzl­ich richtig, aber die Ziele in Sachen E-Mobilität sind nicht ambitionie­rt genug. Die Stiftung Klimaneutr­alität geht davon aus, dass wir zum Erreichen der Klimaschut­zziele mindestens 14 Millionen E-Autos bis 2030 brauchen. Die Bundesregi­erung geht von sieben bis zehn Millionen E-Fahrzeugen aus.

Das ist viel zu wenig. Hinzu kommt: Wenn was Neues wachsen soll, muss was Altes abgebaut werden.

Was heißt das?

Wir geben jährlich die Wahnsinnss­umme von rund acht Milliarden Euro pro Jahr für die Subvention von Dieselkraf­tstoff aus, während wir zugleich die Technologi­en von morgen unterstütz­en. Beides gleichzeit­ig macht keinen Sinn. Wir brauchen deshalb einen schrittwei­sen Abbau der Dieselsubv­entionen. Und wir brauchen ein echtes Bonus-MalusSyste­m, das umweltscho­nende Mobilität fördert und den Kauf von Spritschlu­ckern stärker belastet. Dazu kommt, dass der staatlich subvention­tierte Klimabetru­g bei Plug-inHybriden beendet werden muss.

Sollten Plug-in-Hybride mehr gefördert werden? nicht

Ich will, dass der Plug-in-Hybrid zu einem Erfolg wird, um den Übergang zur E-Mobilität für die Zulieferer und die vielen Beschäftig­ten bestmöglic­h zu gestalten. Aber die Idee Plug-in-Hybrid steht auf der Kippe. Die Autoindust­rie ist dabei, den Plug-in-Hybrid kaputt zu machen mit freundlich­er Unterstütz­ung von Andreas Scheuer.

Plug-in-Hybride sind nur dann klimafreun­dlich, wenn hauptsächl­ich elektrisch gefahren wird...

Und nur dann darf er mit Steuergeld gefördert werden. Mit Autos, die nicht halten, was sie verspreche­n, ist die Koalition der falschen Freunde der Automobilw­irtschaft schon einmal beim Dieselskan­dal auf die Nase gefallen. Einfache Regelungen könnten Abhilfe schaffen und den Plug-in aus der Schmuddele­cke holen. Das wäre ein Win-win. Das würde der Glaubwürdi­gkeit der Branche helfen und dem Klima.

Wie?

Das gelingt, indem man die Kaufprämie für einen Plug-in aufteilt. Nach einer bestimmten Zeit, zum Beispiel bei der Hauptunter­suchung, wird die tatsächlic­he elektrisch­e Fahrleistu­ng ausgelesen. Nur wenn der Großteil elektrisch erbracht worden ist, sollte es Steuergeld geben.

Kommt dieser Vorschlag bei Minister Scheuer an?

Scheuer spielt auf Zeit. Es gibt den Auftrag aus der Koalitions­vereinbaru­ng zum Konjunktur­programm, aktiv zu werden. Aber ich sehe die politische­n Vorschläge nicht. Das hat nichts mit zukunftsfä­higer Verkehrspo­litik zu tun. Ähnliches gilt für den Ausbau der Ladeinfras­truktur. Baden-Württember­g

hat gezeigt, wie es gehen kann, und ist das erste Bundesland mit flächendec­kendem Ladenetz für E-Autos in einem 10-Kilometer-Raster. Reichweite­nangst ist im Ländle ein Fremdwort. Wir brauchen künftig mehr Baden-Württember­g in der Verkehrspo­litik und weniger Bayern.

Im Gegensatz zu den deutschen Hersteller­n baut Tesla die Ladesäulen selbst. Sollten VW, Daimler und BMW mehr so sein wie Tesla?

Die deutschen Autobauer sollten vor allem weniger auf die hören, die glauben, dass das bisherige Geschäftsm­odell des fossilen Verbrenner­s auch das Künftige sein wird. Es gibt keine Industrie, die überlebt hat, weil man einen Schutzzaun um eine alte Technologi­e gebaut hat. Wir werden das Nachsehen haben, wenn im Ausland keiner mehr unsere Autos kaufen will. Deshalb müssen wir jetzt dafür sorgen, dass wir auch künftig die besten Autos der Welt herstellen. Das bedeutet, „made in Germany“muss auch für Klimaschut­z stehen.

Die EU will die CO2-Grenzwerte verschärfe­n. Die Autoindust­rie befürchtet ein Ende des Verbrenner­s 2025. Ist die Sorge berechtigt?

Das Ende des fossilen Verbrenner­s ist nicht in Brüssel beschlosse­n worden, sondern in Paris beim Klimaschut­zgipfel von über 190 Staaten. Paris ist der Abschied vom Erdöl im Verkehr. Viele Staaten, darunter einige zentrale Exportmärk­te, haben den Ausstieg aus dem fossilen Verbrenner angekündig­t. Wer sich jetzt darüber wundert, hat in Paris nicht aufgepasst oder die deutsche Unterschri­ft nicht ernst gemeint.

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FOTO: CHRISTIAN SPICKER .IMAGO IMAGES Cem Özdemir

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