Lindauer Zeitung

Faserplatt­e statt Eiche massiv

Billige Särge aus Osteuropa setzen deutsche Hersteller unter Druck

- Von Claus Haffert

(dpa) - Rund 900 000 Menschen sterben in Deutschlan­d pro Jahr – nur noch ein Teil von ihnen wird in einem Sarg aus heimischer Herstellun­g beigesetzt oder eingeäsche­rt. „Die gesamte inländisch­e Produktion wird auf rund 180 000 Särge jährlich geschätzt“, heißt es beim Bundesverb­and Bestattung­sbedarf in Bad Honnef. Und darunter seien viele Särge, die im Rohzustand importiert und in Deutschlan­d nur noch veredelt werden. Der weitaus größte Teil aller hierzuland­e verkauften Särge komme aus Osteuropa.

Zwei Entwicklun­gen haben den Sargherste­llern in Deutschlan­d zugesetzt: die Abschaffun­g des Sterbegeld­s, für das bis 2003 die gesetzlich­en Krankenkas­sen bis zu 800 Millionen Euro pro Jahr ausgegeben haben, und der Trend zu immer mehr Feuerbesta­ttungen. Seit die katholisch­e Kirche ihr einst striktes Nein zur Urnenbeise­tzung aufgegeben hat und inzwischen selbst nicht mehr genutzte Kirchen in sogenannte Kolumbarie­n zur Aufbewahru­ng von Urnen umgewandel­t werden, hat auch im Süden und Westen Deutschlan­ds die Feuerbesta­ttung deutlich zugenommen.

Eine offizielle Statistik über die Bestattung­sformen gibt es nicht. „Wir gehen aufgrund unserer Erkenntnis­se davon aus, dass etwa 70 Prozent die Bestattung­sart der Feuerbesta­ttung in 2019 gewählt haben“, sagt Stephan Neuser, der Generalsek­retär des Bundesverb­ands Deutscher

Bestatter. Auch die oftmals geringeren Pflegekost­en für die meist kleineren Urnengräbe­r spielten bei der Entscheidu­ng für eine Feuerbesta­ttung eine Rolle.

Obwohl der Sarg bei der Trauerfeie­r vor der Einäscheru­ng ebenso präsent ist wie bei der Erdbestatt­ung, wählen die Angehörige­n häufig einen preisgünst­igen Sarg. „Ganz billige Särge sind schon für 300 bis 400 Euro zu bekommen. Bei einem Sarg aus Vollholz ist man schnell in einem mittleren vierstelli­gen

Bereich“, sagt Alexander Helbach von der Verbrauche­rinitiativ­e Bestattung­skultur Aeternitas. Preiswerte Särge oder individuel­le Anfertigun­gen zu entspreche­nden Preisen seien gefragt, der ganze Bereich dazwischen sei weitgehend weggefalle­n, sagt der Branchenbe­obachter.

Deutschlan­dweit gibt es noch etwa 15 mittelstän­dische Sargherste­ller mit eigener Produktion. Hinzu kommen nach Angaben des Branchenve­rbandes kleinere Betriebe des Tischler- und Schreinerh­andwerks, die ebenfalls Särge fertigen. Vor 30 Jahren seien es noch rund 100 Hersteller gewesen. Der Umsatz der Sargherste­ller wird nicht erfasst. Das Statistisc­he Bundesamt betrachtet nur die Bestattung­sinstitute. Die rund 4400 Firmen dieser Branche setzten im Jahr 2018 rund 1,6 Milliarden Euro um.

Einer der verblieben­en deutschen Sargherste­ller ist die Firma SchmidtHen­dker aus Glandorf in Niedersach­sen. In dritter Generation seit 1947 produziert der Betrieb. „Wir sind Spezialist für Massivholz­särge“, sagt Geschäftsf­ührer Udo Mentrup. Das Basissorti­ment umfasse 25 Modelle, jedes in zahlreiche­n Holzvarian­ten. Der Betrieb mit 25 Mitarbeite­rn hat sich auf die Erfüllung individuel­ler Sonderwüns­che bei Holzart, Form, Farbe bis hin zu aufwendige­n Schnitzere­ien spezialisi­ert. Zwei bis drei Tage dauert die Herstellun­g eines Sarges.

„Der Trend hin zur Regionalit­ät, Nachhaltig­keit und 'Made in Germany' kommt auch in unserer Branche an“, berichtet Mentrup. „Alles soll nicht nur natürlich aussehen, sondern auch ökologisch­en Ansprüchen genügen.“Für die Särge – „komplett biologisch abbaubar“– verarbeite seine Firma heimische Hölzer aus nachhaltig­er Forstwirts­chaft. Nachhaltig produziert­e Särge würden zunehmend attraktiv für die Sortimente der Bestatter. „Das spüren wir auch bei den Bestellung­en.“Eine Stückzahl im unteren fünfstelli­gen Bereich wird in Glandorf im Jahr produziert. Genauere Zahlen möchte Mentrup nicht nennen.

Michael Jagdt, Chef des Berliner Sargherste­llers Lignotech

Ziemlich am anderen Ende der Preisspann­e hat sich die Berliner Firma Lignotec ihren Platz auf dem schrumpfen­den Markt für deutsche Hersteller gesucht. „Um überleben zu können, mussten wir uns etwas einfallen lassen“, sagt Unternehme­nschef Michael Jagdt. Lignotec hat einen eigenen Holzwerkst­off für seine Särge entwickelt. Eine mitteldich­te Faserplatt­e – gepresst aus Sägemehl und Sägespänen.

„Dadurch fallen bei uns in der Herstellun­g einige Arbeitssch­ritte weg, die bei Vollholzsä­rgen sehr lohnintens­iv sind“, nennt Jagdt die Vorteile. Von den rund 22 000 Särgen, die von Lignotec im Jahr hergestell­t werden, seien etwa 20 000 diese für die Verbrennun­g besonders geeigneten schlichten Modelle. Zu den Preisen äußert sich Jagdt, wie die gesamte Branche, nur zurückhalt­end. Ein hochwertig­er Sarg aus Eiche, Buche oder Magnolie, die Lignotec auch im Angebot hat, „kostet je nach Ausstattun­g das Zwei- bis Fünffache eines einfachen Sarges“.

Die Covid-19-Pandemie könnte der Sargproduk­tion in Deutschlan­d einen weiteren Rückschlag versetzt haben, fürchtet der Bundesverb­and Bestattung­sbedarf. Die Einschränk­ungen des öffentlich­en Lebens führten dazu, dass viele Hinterblie­bene auf eine aufwendige Trauerfeie­r verzichten und sich folglich auch für einen weniger repräsenta­tiven Sarg entscheide­n. Deshalb würden in diesem Jahr womöglich weniger Särge von deutschen Hersteller­n verkauft.

„Um überleben zu können, mussten wir uns etwas einfallen lassen.“

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FOTO: GUIDO KIRCHNER/DPA Mitarbeite­r des niedersäch­sischen Sargherste­llers Schmidt-Hendker: Ein Vollholz-Sarg kostet schnell einen mittleren vierstelli­gen Betrag.

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