Wissen, was die Leute umtreibt
Erich Kurzemann erzählt von der Herausforderung, drei Kirchdörfer unter einen Hut zu bringen.
- Kaum einer dürfte die Niederstaufener besser kennen als er: Erich Kurzemann lebt seit seiner Geburt in der Gemeinde, und er ist der Löwenwirt. Seit Frühjahr dieses Jahres ist er zudem für die Freie Bürgerschaft (FB) Sigmarszell Mitglied im neu aufgestellten Gemeinderat.
Erich Kurzemann ist 62 Jahre alt. Er hat drei erwachsene Kinder und betreibt mitten im Ortskern eine kleine Biolandwirtschaft und den Gasthof zum Löwen, in dem er auch hofeigene Produkte verarbeitet – beides Familienbetriebe, die er von seinen Eltern übernommen hat.
Erich Kurzemann ist seit einem halben Jahr verwitwet. „Das tut noch sehr weh“, sagt er, „aber die Welt dreht sich weiter, und ich muss nach vorn schauen.“Dass er sich trotz seines noch so nahen Schicksalsschlags seit dem Frühjahr im Gemeinderat engagiert, habe viel mit seiner Liebe zu seinem Heimatdorf zu tun. „Niederstaufen liegt mir sehr am Herzen. Als Wirt bekomme ich quasi aus erster Hand sehr viel mit, was sich im Dorf tut, oder tun müsste. Am Stammtisch wird viel diskutiert und geredet.“Weil er eines seiner Enkelkinder ab und zu in den Kindergarten bringe und gerne mit den Erzieherinnen spricht, bekomme er auch hier ganz neue Einblicke in die Notwendigkeiten der Kindergärten.
Die Leute vertrauen ihm allgemein viel an. Das ist Erich Kurzemann gewohnt, denn als Wirt sei er oft so etwas wie ein Beichtvater für seine Gäste. Er kenne beinahe jeden und weiß, was die Leute umtreibt, was für die Arbeit im Gemeinderat ein großer Vorteil sei.
Erich Kurzemann hätte gern schon früher für den Gemeinderat kandidiert, weil sein Interesse am Geschick seiner Heimat immer schon groß war. Aber bislang habe ihm immer die Zeit gefehlt. Mitglieder der FB seien vor dem letzten Wahlkampf auf ihn zugekommen, und er habe sich gedacht, dass nun der passende Augenblick gekommen sei, nicht nur zuzuhören und zu reden, sondern nun die Initiative zu ergreifen und zu handeln, Entscheidungen mitzutragen. Im Gemeinderat wurde er in den Ausschuss für Touristik und Soziales und in den Abwasserverband gewählt.
Neben seiner Tätigkeit als Dorfwirt war Kurzemann durch seine Mitgliedschaft in vielen Vereinen immer aktiver Teil der Gemeinde. Er gehörte der Feuerwehr und dem Musikverein an. Im Kirchenchor singt er nach wie vor (ist zudem einer der Sänger des Männerchors Röthenbach), und er ist der Vorsitzende der Reitergruppe Niederstaufen.
Nach seiner Lebensphilosophie gefragt, lacht Kurzemann. „Das ist jetzt gar nicht so einfach zu beantworten. Darüber habe ich mir noch nie Gedanken gemacht. Aber: Aus meinem Leben das Beste machen – egal, was es mir manchmal so serviert. Immer vorwärts blicken. Immer weiter machen. Das passt vielleicht.“
Im ersten halben Jahr im Gemeinderat habe er schon bemerkt, dass in der Gemeindepolitik alles ein bisschen langsamer geht. „Ich bekomme mit der Zeit schon mit, wie der Hase läuft“, sagt er verschmitzt und erklärt, dass er alles gern etwas schneller hätte. „Wir haben natürlich eine besondere Konstellation, weil es bei uns um drei Kirchdörfer, mit völlig unterschiedlichen Bedürfnissen und Interessen geht. Bösenreutin mit Schlachters orientieren sich mehr Richtung Lindau, Niederstaufen und Sigmarszell ordnen sich mehr ins Allgäu ein. Viele Einrichtungen gibt es mehrmals. Da wird viel diskutiert. Wir haben drei von jeder Sorte und müssen alles gerecht verteilen“, sagt Kurzemann. Als Vater von drei Kindern sei er darin ja geübt meint er scherzhaft.
Er gibt aber zu, dass er schon ein wenig enttäuscht sei, dass bislang relativ wenig dabei rausgekommen sei. „Wir haben mit den Kindergärten, anstehenden Sanierungen maroder Nebenstraßen, neuen Baugebieten und dem neuen Feuerwehrhaus für Niederstaufen einige interessante und brisante Themen, für die ich mir bereits Entscheidungen gewünscht hätte, aber bislang ist noch nicht so richtig etwas vorwärtsgegangen.“Trotzdem lobt er: „Drei Dörfer, zwei Fraktionen – wir funktionieren wirklich gut zusammen. Wir tauschen uns aus, es ist ein schönes Miteinander. Die Stimmung ist angenehm. Und wir sind uns in den meisten Themen einig.“Bei der Arbeit im Gemeinderat sei nicht zu spüren, dass Mitglieder zweier Fraktionen am Tisch sitzen. Es gebe keinen Fraktionszwang, jeder sei seiner eigenen Meinung und seinem Gewissen verpflichtet.
„Mich sprechen die Leute immer wegen der Baugebiete an“, erzählt er. Er sei selbst betroffen, weil zwei interessante und schöne Baugebiete ihm gehören. „Aber die Gemeinde und ich, wir werden da nicht so richtig warm miteinander.“Er habe keinen Druck, die Grundstücke zu verkaufen, sagt er, und dass es für ihn schon ein Dilemma sei, weil ihm natürlich die Dorfentwicklung wichtig sei, er sich aber vor allem seinen Kindern verpflichtet fühle. „Wenn das Land mal weg ist, ist es weg.“
Froh und stolz sei er, dass der Waldkindergarten auf einem sehr guten Weg ist. „Der ist wirklich eine schöne Sache.“Nach seiner ersten Amtszeit möchte er gern Erfolge sehen können. „Ich möchte stolz sein dürfen, auf das, was wir bewirkt und bewegt haben. Ich möchte sagen können, dass vielleicht nicht immer alles einfach war, aber dass es uns gelungen ist, Sigmarszell auf einem guten Weg und für die nächsten Generationen voranzubringen.“