Im Krisenmodus
Die besten deutschen Leichtathleten haben das Nicht-Olympiajahr unterschiedlich genutzt
(dpa) - Hindernisläuferin Gesa Felicitas Krause trainiert schon wieder in Kenia, ZehnkampfWeltmeister Niklas Kaul will von Januar an richtig Gas geben, und Speerwerfer Johannes Vetter blickt Tokio 2021 sehnsüchtig entgegen. Die Stars der deutschen Leichtathletik erleben die Corona-Krise aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Die Hoffnung auf Olympia eint alle. Eine Bestandsaufnahme gut acht Monate vor dem geplanten Beginn der Spiele:
Der Glückliche:
Es war für Niklas Kaul Glück im Unglück. Der Zehnkampfweltmeister musste sich neun Monate nach seinem WM-Triumph in Doha einer Ellenbogenoperation unterziehen. Die Verlegung der Olympischen Spiele in Tokio ins nächste Jahr kam für den 22-Jährigen deshalb sehr gelegen. Kaul plagte sich zwar schon seit 2017 mit Problemen herum, nahm aber an, dass es nur ein Tennisarm sei. Weit gefehlt: Die Ärzte stellten fest, dass das Innenband im Ellenbogen angerissen war. „Als Olympia abgesagt wurde, war der richtige Zeitpunkt für die OP gekommen“, sagte Kaul. „Ich bin ganz froh, dass sich das Zeitfenster so ergeben hat. Das eine Jahr hilft mir mehr, als es mir schadet.“Der „Sportler des Jahres“will Anfang Januar wieder richtig ins Training einsteigen und Kurs auf Tokio nehmen. „Ich habe noch nicht das Maximum erreicht“, sagt der Mainzer. „Da geht noch mehr.“
Die Souveräne:
Weitsprungweltmeisterin Malaika Mihambo bestritt im Sommer nur Wettkämpfe aus einem verkürzten Anlauf heraus und kam trotzdem auf bemerkenswerte Weiten – bis auf 7,03 Meter in Dessau. Die „Sportlerin des Jahres“von der LG Kurpfalz musste ihre Pläne, künftig in den USA beim früheren Superstar Carl Lewis zu trainieren, zwar auf Eis legen, arrangierte sich aber schnell mit den ungewohnten Bedingungen. Mihambo nutzte die Zeit auch für ein weiteres soziales Engagement: Die 26-Jährige gründete zum 1. Juli „Malaikas Herzsprung“– einen Verein, der es Kindern und deren Familien ermöglicht, Leichtathletik zu treiben. Derzeit trainiert sie mit Bundestrainer Uli Knapp, oft bei ihm in Saarbrücken oder auch bei ihr in Oftersheim. An eine eventuelle Absage der Olympischen Spiele 2021 will sie nicht denken: „Ich versuche Dinge, die ich nicht steuern kann und auf die ich nur sehr wenig Einfluss habe, nicht so nah an mich heranzulassen.“
Die Zwillingsmutter:
Zur Zeit bleibt die Kita von Christina Schwanitz’ dreieinhalbjährigen Zwillingen wegen Corona-Fällen geschlossen. Fünf Wochen lang konnte die 34-Jährige „super“trainieren, jetzt sind erst einmal Kinderbetreuung und Krafttraining
im hauseigenen Fitnessraum angesagt. Die Kugelstoßweltmeisterin von 2015 und WM-Dritte von 2019 hat im Sommer wegen eines Bandscheibenvorfalls keinen Wettkampf bestritten, inzwischen aber nur noch minimale Einschränkungen. Als Bundeswehrsoldatin fühlt sich die Sportlerin vom LV 90 Erzgebirge (noch) abgesichert, hat aber alle drei Sponsoren verloren. Wann sie wieder in den Ring steigen kann? „Ich habe mich jetzt mal auf Februar, März eingeschossen“, sagt Christina Schwanitz mit Blick auf mögliche Hallenwettkämpfe. Olympia bleibt ihr großes Ziel. Ein Karriereende ist auch in schwierigen Zeiten kein Thema – „weil ich noch immer Spaß am Training habe und leistungsfähig bin“.
Der Marathonmediziner:
Das Laufen und die Medizin sind immer Passion für Arne Gabius gewesen. Doch nicht zuletzt das Corona-Jahr hat den deutschen Marathonrekordhalter zum Nachdenken bewegt: Im März 2021 wird er 40, Gabius will sich dann mehr der Familie widmen und seine Arztkarriere vorantreiben. „Auf das nächste Jahr habe ich noch große Lust, aber dann war es das auch, dann ist gut, dann ist Schluss – sonst kann ich meinen Allgemeinmedizin-Facharzt
im Rentenalter machen“, sagt Gabius, der zur Zeit am Klinikum Ludwigsburg als Assistenzarzt in der Kardiologie tätig ist. Er will später mal als Hausarzt arbeiten. Um sich im Sommer noch seinen Olympiatraum zu erfüllen, muss Arne Gabius die Anfang Oktober im Londoner Dauerregen verpasste Normzeit im Frühjahr noch einmal angreifen. Seine drei Sponsoren halten ihm die Treue. „Natürlich“, so der Wahlstuttgarter, „hab’ ich Verluste. Aber das ist bei mir nicht existenzbedrohend.“
Die Kämpferin:
Nach kräftezehrenden Trainingslagern hatte Gesa Felicitas Krause bei den deutschen Meisterschaften in Braunschweig überraschend erschöpft und geschlagen aufgegeben. Die Europameisterin und zweimalige WM-Dritte über 3000 Meter Hindernis brach daraufhin ihre Saison ab: „Ich habe mir zum ersten Mal eingestanden, dass mein Körper eine Pause braucht“, sagte die 28-Jährige vom Verein Silvesterlauf Trier. Diese Pause genoss Krause in ihrem neuen Haus bei Dillenburg – und im Urlaub auf Mykonos, Santorin und Milos sowie mit dem Roller an der Amalfiküste. „Erst einmal alle Kraft auf Tokio fokussieren und danach immer noch nicht stehenbleiben. Ich will auch noch den nächsten Olympiazyklus bis zu den Spielen 2024 als Läuferin bestreiten“, verriet Krause im „Zeit“-Interview. Also ist die Ausdauerspezialistin dieser Tage zum 20. Mal in ihrer Karriere ins Höhentrainingslager nach Kenia geflogen.
Der Außergewöhnliche:
In der Zeit der Corona-Krise gehörte Johannes Vetter zu den wenigen Leichtathleten auf der Welt, die ihre Leistungsgrenze nach oben verschieben konnten. Der Weltmeister von 2017 katapultierte seinen Speer Anfang September im polnischen Chorzow auf 97,76 Meter und verfehlte damit den 24 Jahre alten Weltrekord von Jan Zelezny (Tschechien) um nur 72 Zentimeter. „Ich bin superfit durch die Saison gekommen“, erklärte der zuletzt oft von Verletzungen geplagte 27-Jährige von der LG Offenburg seinen großen Wurf. Der deutsche Rekordhalter hofft nun, sein Leistungsvermögen auch in Tokio voll abrufen zu können: „Die obere Priorität ist, gesund zu bleiben und Olympiagold anzugreifen.“Sollten die Spiele wegen Corona nicht stattfinden können, befürchtet Johannes Vetter Schlimmstes: „Die ganze olympische Sportwelt würde mit so einer Absage zusammenbrechen.“