Als die Pixel laufen lernten
Mit „Toy Story“begann vor 25 Jahren der Erfolg der computeranimierten Filme
(epd) - Zwei Spielzeugfiguren, Cowboy Woody und Astronaut Buzz Lightyear, werden von Rivalen zu Freunden: So einfach ist die Geschichte von „Toy Story“. Der Film war ein Riesenerfolg – und ein Vorbote der Digitalisierung einer Branche. Es war der erste Film, der komplett am Computer erzeugt wurde: Vor 25 Jahren kam „Toy Story“in die Kinos. Er wurde ein Riesenerfolg. Mit seinen drei Fortsetzungen, die letzte lief erst 2019 über die Leinwände, hat „Toy Story“inzwischen weltweit 2,6 Milliarden Euro nur an den Kinokassen umgesetzt.
Vor allem aber setzte er technisch neue Maßstäbe. „,Toy Story’ war das Ankommen der Computergrafik in der kommerziellen Filmlandschaft“, erklärt Ulrich Wegenast, Künstlerischer Leiter des Internationalen Trickfilmfestivals in Stuttgart. „Alles, was davor kam, waren nur Experimente.“
Beinahe hätte es den Film gar nicht gegeben. Als die Macher ihr Werk in einem frühen Stadium erstmals einem Testpublikum zeigten, fiel er bei den Zuschauern durch. Finanzier Disney stand kurz davor, das komplette Projekt einzustampfen. Dabei war das Studio selbst schuld. Disney-Animationschef Jeffrey Katzenberg hatte Regisseur John Lasseter und sein Team so lange gedrängt, die Geschichte um lebendiges Spielzeug mit sarkastischen Sprüchen hip und cool zu machen, bis keiner mehr die Charaktere leiden konnte.
Nach dem Desaster bei der Testvorführung blieben dem Pixar-Team nur zwei Wochen, um „Toy Story“mit Drehbuchänderungen das Herz zurückzugeben und sich ihre kreative Freiheit zurückzuerobern – so zumindest lautet heute die Legende.
Lasseter, dem 2017 im Zuge der #MeToo-Bewegung zahlreiche Kolleginnen sexuelle Belästigungen vorwarfen, hatte Disney 1983 als Animator verlassen, um für Pixar zu arbeiten. Damals war die Firma noch die Forschungsabteilung für Computergrafik von Star-Wars-Regisseur George Lucas.
„,Toy Story’ war das Ankommen der Computergrafik in der kommerziellen Filmlandschaft.“
Ulrich Wegenast, Künstlerischer Leiter des Internationalen Trickfilmfestivals in Stuttgart.
Die digitalen Kurzfilme aus Lasseters Team begeisterten in den frühen 80er-Jahren vor allem die Welt der Technik-Nerds. Mit dem Fünfminüter „Tin Toy“gewann dann aber 1988 auch erstmals ein Werk aus dem Hause Pixar den Oscar für den besten animierten Kurzfilm. Lasseter hatte seine Bestätigung, dass Computerbilder auch eine Seele haben können.
Aus „Tin Toy“entstand die Idee, einen längeren Film über lebendige Spielzeuge zu machen – und dabei die Schwächen des Rechners, in dessen Bildern alles ein bisschen wie Plastik aussieht, in Stärken zu verwandeln. Tom Hanks und Tim Allen liehen den beiden Hauptfiguren im Original ihre Stimmen.
„Toy Story“sorgte nicht nur dafür, dass ab den 2000er-Jahren fast jeder Film aus dem Computer kam, sondern auch dafür, dass jeder ein Stück vom Kuchen abhaben wollte. Gerade in Europa kam es zu einem regelrechten Wettrüsten in der Produktion. Jeder wollte zeigen: Wir können das auch.
Der Film habe die Animationsbranche verändert, sagt Wegenast: „Eine Weile war es unmöglich, überhaupt noch zweidimensional animierte Filme zu machen.“Erst in den vergangenen fünf bis zehn Jahren habe sich die Lage ein wenig beruhigt, erklärt Wegenast: „Der Effekt von 3D-Computergrafik hat sich abgenutzt. Heute suchen wir oft händeringend Menschen, die noch in 2-D arbeiten können.“Der Computer ist dennoch aus der Animation nicht mehr wegzudenken. Selbst zweidimensional aussehende Filme sind häufig Hybride, in denen beispielsweise die Hintergründe dreidimensional sind.
In den vielen 3-D-Animationsfilmen, die auf dem „Toy Story“-Trittbrett mitfuhren, konnte Jeffrey Katzenberg dann übrigens auch seinen fieseren Humor unterbringen. Er verließ Disney und bescherte der Welt mit seinem neuen Studio DreamWorks Hits wie „Shrek“und Flops wie „Große Haie, kleine Fische“. Insgesamt
sorgte der neue Boom des Trickfilms für eine Bandbreite, wie man sie seit den 70er- Jahren nicht mehr gesehen hatte. Filme wie Wes Andersons „Der fantastische Mister Fox“oder Ari Folmans „Waltz with Bashir“wären ohne ihn schwer denkbar.
Pixar, seit 2006 für einen Kaufpreis von 7,4 Milliarden Dollar fester Teil des Disney-Imperiums, gelangen im Kielwasser des Erfolgs von „Toy Story“eine Reihe von außergewöhnlichen Hits wie „Findet Nemo“und „Oben“, der 2009 sogar die Filmfestspiele von Cannes eröffnete. Selbst als sich das Studio in den 2010er Jahren immer mehr auf Fortsetzungen verlegte, bemühte es sich, seinen Ruf als Schmiede außergewöhnlicher Geschichten zumindest gelegentlich mit Filmen wie „Alles steht Kopf“oder „Coco“zu erhalten.
Und die Digitalisierung, die „Toy Story“in der Produktion von Trickfilmen ankündigte, überrollte die Filmbranche schließlich auch in der Distribution. Der neueste Pixar-Film „Soul“über einen Jazzmusiker, der sich im Leben nach dem Tod zurechtfinden muss, kommt gar nicht mehr ins Kino. Er startet zu Weihnachten exklusiv auf dem Streamingdienst Disney Plus.