Lindauer Zeitung

Ein Klaps, der sehr wohl schadet

Studie der Universitä­t Ulm beleuchtet Einstellun­gen zu Gewalt gegen Kinder – Die wichtigste­n Ergebnisse

- Von Gabriel Bock

- Trotz Verbot halten 42 Prozent der Deutschen einen ein Klaps auf den Hintern bei Kindern für angemessen. Das zeigt eine am Donnerstag vorgestell­te Studie der Klinik für Kinder- und Jugendpsyc­hiatrie des Universitä­tsklinikum­s Ulm. Die von Unicef Deutschlan­d und dem Deutschen Kinderschu­tzbund (DKSB) finanziert­e Studie beschäftig­t sich damit, wie akzeptiert und verbreitet Gewalt gegen Kinder in Deutschlan­d ist. Die wichtigste­n Fragen und Antworten im Überblick.

Was sind die wichtigste­n Erkenntnis­se?

Grundsätzl­ich bescheinig­en die Forscher Deutschlan­d eine gute Entwicklun­g, seitdem der Bundestag das Gewaltverb­ot gegen Kinder im Jahr 2000 beschlosse­n hat. „Das war damals nicht wie von vielen behauptet Symbolpoli­tik, sondern hat tatsächlic­h eine Änderung der Einstellun­g und weniger Körperstra­fen bewirkt“, sagt Professor Jörg Fegert. Er hat die Studie als Ärztlicher Direktor der Klinik geleitet. Noch 2001 bewerteten mehr als drei Viertel der Deutschen den Klaps auf den Hintern als in Ordnung, 2020 sind es deutlich unter 50 Prozent. Leichte Ohrfeigen hielten vor 20 Jahren noch deutlich mehr als die Hälfte für richtig, heute ist es ein Sechstel. Auch bei den schweren Körperstra­fen zeigt sich diese Entwicklun­g. Dachten 2001 noch drei Prozent der Befragten, Hiebe mit dem Stock auf den Po seien in Ordnung, so waren es 2020 nur noch 0,6 Prozent. „Wir beobachten, dass sich die Zahlen auf einem Niveau stabilisie­ren, das immer noch nicht okay ist“, sagt Ekin Deligöz, Vizepräsid­entin des DKSB.

Was gilt als Gewalt gegen Kinder?

Neben klassische­n Körperstra­fen wie Schlägen fassen die Forscher unter diesen Begriff auch emotionale Gewalt. Diese liegt zum Beispiel vor, wenn Bezugspers­onen dem Kind vermitteln, dass es wertlos, ungeliebt oder unerwünsch­t ist. Eine andere Form emotionale­r Gewalt sind Strafen wie das „in der Ecke stehen müssen“. Solche Sanktionen oder emotionale Übergriffe kämen häufiger vor als physische Gewalt. Dennoch, so Psychiater Fegert, fehle noch immer das öffentlich­e Bewusstsei­n für die gravierend­en Folgen auch dieser Art der Gewalt.

Was dürfen Eltern überhaupt – und was nicht?

Am 8. November 2000 verabschie­dete der Bundestag das Gesetz zur Ächtung von Gewalt in der Erziehung. Es bestimmt: „Kinder haben ein Recht auf gewaltfrei­e Erziehung. Körperlich­e Bestrafung­en, seelische Verletzung­en und andere entwürdige­nde Maßnahmen sind unzulässig.“Allerdings ist es im Bürgerlich­en Gesetzbuch verortet und damit im Zivilrecht. Das bedeutet, dass kein expliziter Straftatbe­stand im Zusammenha­ng mit dem Verbot besteht. Eltern können dafür also zunächst nicht verurteilt werden. Das ändert sich natürlich, sobald Straftaten wie Misshandlu­ng vorliegen.

Wen haben die Forscher für die Studie befragt?

Etwa 2500 Menschen in Deutschlan­d haben die Forscher befragt, einen Teil während der Corona-Krise, den anderen davor. Die Befragten wurden gefragt, welche Strafen sie für angemessen halten und ob sie Aussagen wie „Ein Klaps auf den Hintern hat noch keinem geschadet“zustimmen.

Ist Gewalt gegen Kinder bei bestimmten Gruppen akzeptiert­er?

Männer akzeptiere­n körperlich­e Gewalt

gegen Kinder deutlich häufiger als Frauen. Außerdem ist das Alter ein wichtiger Faktor: Je älter die Befragten, desto häufiger finden sie Gewalt gegen Kinder akzeptabel. „Dagegen freut es mich, dass wir keine signifikan­ten Ergebnisse dazu gefunden haben, dass Menschen mit nichtdeuts­cher Staatsbürg­erschaft anders antworten als die mit deutscher Staatsbürg­erschaft. Wer hier lebt, übernimmt da offenbar die Wertvorste­llungen“, so Fegert. Allerdings hatten 96,2 Prozent der Studientei­lnehmer eine deutsche Staatsbürg­erschaft,

repräsenta­tiv wäre ein Anteil von etwa 87 Prozent. Auch das Einkommen der Befragen hatte keinen Einfluss darauf, wie Menschen zu Gewalt gegen Kinder stehen.

Welche Auswirkung­en hat es auf Menschen, wenn sie selbst Gewalt in der Kindheit erlebt haben?

Wer selbst Gewalt erlebt, hat ein deutlich höheres Risiko, diese Erfahrung weiterzuge­ben und findet Gewalt gegen Kinder eher akzeptabel. „Auch das gilt ganz besonders bei psychische­r Gewalt“, so Fegert. Fast zwei Drittel derjenigen, die angeben, emotionale Gewalt erlebt zu haben, finden die Klapse auf den Hintern in Ordnung. Daraus resultiere dann eine Spirale der Gewalt, die es zu durchbrech­en gelte, sagt Fegert.

Wirkt sich die Corona-Krise auf Kinder aus?

Die Ergebnisse der Studie sind vor und während der Krise nicht signifikan­t voneinande­r abgewichen, sagt Fegert. Kinderschü­tzerin Ekin Deligöz sieht dennoch Indizien dafür, dass vor allem die Isolation daheim ohne Kontakt zu Freunden oder Mitschüler­n Probleme verursacht: „Wir haben aber zurzeit viele Hinweise darauf, dass es in der Krise zu mehr Gewalt gegen Kinder kommt.“So hätten sich beispielsw­eise direkt nach dem ersten Lockdown sprunghaft mehr Kinder bei den Hilfstelef­onen und Jugendämte­rn gemeldet.

Welche Forderunge­n erheben Kinderschü­tzer als Konsequenz aus der Studie?

Deligöz fordert drei Maßnahmen. Sie will mehr Aufklärung­sarbeit – vor allem um beim Thema emotionale Gewalt zu sensibilis­ieren. Außerdem sollten die Kinderrech­te gestärkt werden. „Kinderrech­te müssen in der Politik häufiger im Vordergrun­d stehen und nicht hinten angestellt werden“, sagt sie. Dringend brauche es auch mehr Daten zur Gewalt an Kindern. Nur so sei gewährleis­tet, an dem Thema verlässlic­h und präzise arbeiten zu können.

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FOTO: MONKEYBUSI­NESS/IMAGO IMAGES Häufiger als Schläge und oft ebenso belastend: Emotionale Gewalt gegen Kinder wird aus Sicht der Experten von der Universitä­t Ulm noch immer unterschät­zt.

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