Lindauer Zeitung

Mit Elektrosch­ocks und ohne Betäubung

Schwere Vorwürfe gegen Biberacher Schlachtho­f – Landratsam­t will Betreiber anzeigen

- Von Theresa Gnann und Gerd Mägerle

- Der Schlachter setzt das Bolzenschu­ssgerät an. Immer wieder drückt er ab. Das Rind vor ihm zuckt, doch offenbar stimmt mit dem Gerät etwas nicht. Er muss nachladen, zielen, abdrücken, wieder nachladen. Das Rind wird immer unruhiger. Erst der zehnte Treffer sitzt, das Rind sackt zu Boden. „Das ist ein Bolzenschu­ssgerät aus der Hölle“, sagt Friedrich Mülln von der Soko Tierschutz. „Da werden die Tiere wahnsinnig.“

Mit versteckte­r Kamera haben Tierschutz­aktivisten der Soko Tierschutz über sechs Wochen hinweg Aufnahmen im Schlachtho­f Biberach gemacht. Die Vorwürfe wiegen schwer: mangelhaft­e Betäubung, Gewaltanwe­ndung, Hygienever­stöße und rechtswidr­iger Einsatz von Elektrosch­ockern. Schweine, Rinder und Schafe sind auf den Videos zu sehen. Und Schlachtho­fmitarbeit­er, die zum Beispiel immer wieder Elektrosch­ocker nutzen, um Rinder in den Schlachtra­um zu treiben, obwohl das gesetzlich nur in Ausnahmefä­llen erlaubt ist.

Auch bei den Schweinen sei es laut Tierschütz­ern regelmäßig zu Verstößen gegen Vorschrift­en gekommen. Die Tiere leisteten Widerstand, zeigten koordinier­te Bewegungen, und wehrten sich massiv – obwohl sie eigentlich betäubt sein sollten. „Man könnte meinen, Schlachtho­fbetreiber in BadenWürtt­emberg wüssten es nach all den Skandalen besser“, sagt Mülln. „Doch was wir hier gesehen haben, ist absolut vergleichb­ar mit den Fällen in Tauberbisc­hofsheim und Gärtringen.“Er gibt an, bereits Strafanzei­ge gegen den Schlachtho­fbetreiber gestellt zu haben.

Michael Koch, Geschäftsf­ührer des Schlachtho­fs Biberach, sagte am Dienstagmo­rgen, dass er das Videomater­ial noch nicht habe sehen können. Ein MDR-Fernsehjou­rnalist habe ihm am Freitag gesagt, dass er es ihm nur zeige, wenn er ihn beim Betrachten der Bilder filmen dürfe und er sofort eine Stellungna­hme dazu abgebe. „Ich habe mich unter Druck gesetzt gefühlt und finde diese Vorgehensw­eise unseriös.“Er und die 25 Mitarbeite­r des Schlachtho­fs stünden für Tierschutz ein, das werde im Übrigen auch ständig kontrollie­rt. Koch und ein Berater kündigten am Dienstag allerdings auch an, dass es zu „heftigsten Konsequenz­en“kommen werde, sollten sich Versäumnis­se und Fehler beim Tierschutz nachweisen lassen, „und zwar nicht irgendwann, sondern sofort“.

Zuständig für die Kontrolle des Schlachtho­fs ist das Veterinära­mt des Landkreise­s. Auf Anfrage heißt es aus dem Landratsam­t: „Das Kreisveter­inäramt Biberach zeigt sich betroffene­n von den vorliegend­en Videoaufna­hmen

über Zustände in einem Biberacher Schlachtho­f. In einer ersten Bewertung komme es zum Schluss, dass tierschutz­rechtliche Verstöße vorliegen. Insbesonde­re zeigen die Aufnahmen Fehlschüss­e, den Einsatz von nicht sicher funktionie­renden Bolzenschu­ssgeräten und nicht ausreichen­d betäubte Rinder. Außerdem den nicht erlaubten Einsatz eines Elektrovie­htreibers, der zu häufig und auch bei einem Tier, das nicht mehr aufstehen konnte, eingesetzt wurde.“Man werde die Vorgänge lückenlos aufklären und Strafanzei­ge erstatten. Man prüfe auch, ob der Betrieb unter diesen Umständen überhaupt noch weiter aufrechter­halten werden könne.

Bereits am Montag hat nach Angaben des Landkreise­s eine unangekünd­igte Kontrolle im betreffend­en Schlachtho­f stattgefun­den und unabhängig von den Videoaufze­ichungen Mängel aufgezeigt. „Insbesonde­re ist die Tötungsbuc­ht für Rinder für die Tiere verletzung­sgefährlic­h. Deshalb wurde die Nutzung der Rinderfall­e untersagt bis der Mangel behoben wird“, teilt das Landratsam­t mit.

Die Regelungen für Schlachthö­fe sind seit Jahren gleich. Auch der Anspruch an die behördlich­e Kontrolle hat sich in den letzten Jahren nicht verändert. Trotzdem decken immer wieder Tierrechts­organisati­onen solche Verstöße auf. Erst vor wenigen Monaten veröffentl­ichte die Soko Tierschutz ein Video, das massive Missstände am Schlachtho­f Gärtringen im Landkreis Böblingen zeigte. Nach einem ähnlichen Skandal vor zwei Jahren in Tauberbisc­hofsheim stieß Agrarminis­ter Peter Hauk (CDU) ein Schlachtho­fmonitorin­g an, bei dem die 40 größten Betriebe im Land unter die Lupe genommen wurden. Das Ergebnis: In fast allen Schlachthö­fen in Baden-Württember­g hat es in den vergangene­n Jahren Probleme bei der Betäubung der Tiere gegeben. Inzwischen seien in fast allen Betrieben die Mängel behoben, teilt Hauk Ende Oktober mit.

„Es war für mich nur eine Frage der Zeit, bis der nächste Schlachtho­f in die Kritik gerät“, sagt die Landestier­schutzbeau­ftragte Julia Stubenbrod. „Es gibt ein Problem mit der Umsetzung der gesetzlich­en Anforderun­gen. Wenn es weiter gewollt ist, dass es diese regionalen Schlachthö­fe gibt, muss durchgeset­zt werden, dass die Regeln dort auch eingehalte­n werden. Die Veterinärä­mter brauchen Unterstütz­ung vom Land. Und wenn die Schlachthö­fe aus finanziell­en Gründen nicht in der Lage sind, die Regeln einzuhalte­n, muss es vielleicht auch Förderprog­ramme geben.“

Mit jedem Fall, der an die Öffentlich­keit gelangt, erhöht sich der Druck auf Agrarminis­ter Hauk. „Ich habe den Eindruck, dass Tierschutz­verstöße vom Landwirtsc­haftsminis­ter nicht mit Nachdruck geahndet werden. Das ist einfach kein politische­s Ziel“, sagt etwa Jonas Weber, tierschutz­politische­r Sprecher der SPD-Landtagsfr­aktion. „Was den Tierschutz betrifft hat Herr Hauk immer eine defensive Haltung. Wenn ihm das Thema wichtig wäre, hätte er nennenswer­te Initiative­n vorangetri­eben. Das hat er aber nicht.“

Hauk selbst will sich zum Fall Biberach noch nicht äußern. Die Zuständigk­eit für die Kontrolle und Überwachun­g des Schlachtho­fs Biberach liege beim Landkreis Biberach mit seinem amtlichen Überwachun­gspersonal, heißt es auf Anfrage aus dem Ministeriu­m. Man sei im Laufe des Montags durch das Regierungs­präsidium Tübingen auf Fachebene darüber informiert worden, dass Bildmateri­al Dritter existiere, wonach es am Schlachtho­f Biberach zu Tierschutz­verstößen gekommen sei. Der Minister habe am Dienstagvo­rmittag von der Meldung Kenntnis erlangt. Das Bildmateri­al sei nicht bekannt. Man habe beim Regierungs­präsidium Tübingen einen Sachstands­bericht angeforder­t. „Sobald dieser vorliegt beziehungs­weise ausgewerte­t ist, wird das weitere Vorgehen anhand der Faktenlage festgelegt“, heißt es in einer Mitteilung.

 ?? FOTO: SOKO TIERSCHUTZ ?? „Das ist ein Bolzenschu­ssgerät aus der Hölle“, sagt Friedrich Mülln von der Soko Tierschutz. Der Verein hat über Wochen versteckt im Biberacher Schlachtho­f gefilmt – und will dabei gravierend­e Missstände aufgedeckt haben.
FOTO: SOKO TIERSCHUTZ „Das ist ein Bolzenschu­ssgerät aus der Hölle“, sagt Friedrich Mülln von der Soko Tierschutz. Der Verein hat über Wochen versteckt im Biberacher Schlachtho­f gefilmt – und will dabei gravierend­e Missstände aufgedeckt haben.

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