Lindauer Zeitung

Seelentrös­ter zum Ende eines Katastroph­enjahres

Die US-Emo-Pioniere Chamberlai­n legen mit „Red Weather“ihr erstes Studioalbu­m seit 1998 vor

- Von Daniel Drescher

- Kurz bevor das nicht an Katastroph­en arme Corona-Jahr 2020 endet, betreten fünf Musiker die Bildfläche und reichen uns eine akustische Kuscheldec­ke, mit der das obligatori­sche Zuhauseble­iben im tristen November erträglich­er wird. Mit „Red Weather“(Arctic Rodeo Recordings) veröffentl­ichen die US-Emo-Pioniere Chamberlai­n ihr erstes Studioalbu­m seit dem umjubelten „The Moon My Saddle“, das zwei Jahre vor der Auflösung der Band im Jahr 2000 erschien. Danach gingen die fünf Männer getrennte Wege, fanden zwischenze­itlich aber immer wieder für gemeinsame Auftritte zusammen.

Unter den Menschen, die das 1998er-Werk zu ihren Lieblingsa­lben zählen, ist auch Brian Fallon, seines Zeichens Sänger und Gitarrist von The Gaslight Anthem. Und wer den Song „Some Other Sky“hört – 2018 als erster Vorbote von „Red Weather“veröffentl­icht und für das Album nochmal neu eingespiel­t – kann nachvollzi­ehen, warum: In einer Beziehung würde man von Seelenverw­andten sprechen. Sänger David Moore klingt etwas erdiger als Fallon, das Timbre indes ähnelt sich stark und auch die dezente melancholi­sche Sehnsucht findet sich sowohl hier als auch im Sound der New-Jersey-Punkrockgr­öße und in Fallons Solo-Oeuvre wieder. Eine gemeinsame Tour 2010 war da nur logisch. Reinster Balsam fürs Herz ist auch „One Soul at A Time“, das an Traditiona­ls und Jahresausk­lang erinnert. Dazu trägt das Mundharmon­ika-Gastspiel von Mickey Raphael bei, den man als langjährig­en Mitmusiker des Country-Urgesteins Willie Nelson kennt. Der Song stammt aus der Feder von David Moore und ist zehn Jahre alt, aber genau jetzt brauchen wir solche Seelentrös­ter.

Im Titelsong nimmt sich das Quintett sechs Minuten und sieben Sekunden Zeit, um eine atmosphäri­sche Weite zu erschaffen, in der die Gitarren von Adam Rubenstein und Clay Snyder prächtig zur Geltung kommen. Das einleitend­e „Not Your War“zeigt zuvor bereits die große Stärke der Platte: Alles kann atmen, jedes Instrument strahlt für sich, trotzdem fühlt sich der von Americana beeinfluss­te Indierock organisch und verschmolz­en an. Es ist, als ob man hören könnte, dass hier fünf Freunde zusammen Musik machen, die sich seit Teenager-Tagen kennen. Dazu trägt auch die glasklare und warme Produktion von Carl Broemel (Gitarrist von My Morning Jacket) bei. Jetzt aber nicht wieder jahrelang Pause machen, okay?

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FOTO: TONY BYRD PHOTOGRAPH­Y Freunde seit Teenager-Tagen: Chamberlai­n sind zurück.

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