Das Ende der Ausgrenzung
Weingartener Kirchengemeinderat öffnet den Blutritt für Frauen – Gruppen sollen selbst entscheiden dürfen
- Nach jahrelangen öffentlichen Diskussionen öffnet sich der Blutritt in Weingarten für Frauen. Bereits am kommenden Blutfreitag im Jahr 2021 soll jede Gruppe selbst bestimmen dürfen, wer an der größten Reiterprozession Europas teilnimmt. Das hat der Kirchengemeinderat in Weingarten entschieden. Dabei sollen die Verehrung des Heiligen Blutes sowie das eigene Gebet auch weiterhin im Mittelpunkt des christlichen Hochtages stehen. Allerdings gäben Theologie und Gesellschaft eine grundsätzliche Abschottung, einen Ausschluss von Frauen heutzutage einfach nicht mehr her, sagt Dekan Ekkehard Schmid. Die Öffnung sei auch eine Chance für die Neuausrichtung der Kirche, vielleicht sogar ein
Modell für weitere Reformen. „Das kommt der differenzierten Wirklichkeit nahe. Wir wollen das nun einfach ermöglichen“, sagt
Schmid. „Das ist sicher im Sinne Jesu Christi.“
Dabei kommt diese Entscheidung nicht überraschend. Hinter den Kulissen wurde bereits seit Jahren an einer Neuausrichtung des Blutrittes gearbeitet. Schließlich war das Thema Gleichberechtigung zuletzt immer stärker in den Fokus der Öffentlichkeit gelangt und die Frage aufgeworfen worden, wie zeitgemäß eine reine Männerwallfahrt – einzig Ministrantinnen war die Teilnahme bisher erlaubt – im 21. Jahrhundert noch ist. In den vergangenen Monaten wurde das Thema dann verstärkt von dem im März neu gewählten Kirchengemeinderat behandelt.
Denn genau diesem Kirchengremium vor Ort oblag als Hauptveranstalter die finale Entscheidung über eine mögliche Öffnung. Nach reiflicher Abwägung und ausführlichen Gesprächen mit der Blutfreitagsgemeinschaft, der Weingartener Blutreitergruppe und den Festordnern sei man im vergangenen halben Jahr mehrheitlich zu der Entscheidung gekommen, dass jetzt der richtige Zeitpunkt für diesen
Schritt sei, so Schmid: „Für uns war das stille Jahr 2020 ein Jahr, in dem die Zeit war, diese Grundsatzfragen zu beraten. Das hat uns die Ruhe gegeben, uns das genau anzuschauen.“Schließlich war der Blutritt in diesem Jahr coronabedingt abgesagt worden. Nur Dekan Ekkehard Schmid zog mit zwei weiteren Reitern über Feld und Flur und wurde dabei von einigen Gläubigen zu Fuß begleitet.
Die seit Jahren rückläufigen Reiterzahlen – im Jahr 2019 waren es noch 2127 Reiter, zu Hochzeiten waren es 3000 Teilnehmer – hätten bei der Entscheidung keine Rolle gespielt, versichert der Dekan. Und auch die Absage der deutschen Unesco-Kommission für die Bewerbung des Blutfreitags um das immaterielle Kulturerbe sei nicht ausschlaggebend gewesen. Im Frühjahr dieses Jahres hatte die Kommission gerade die fehlende Bereitschaft zur Öffnung als maßgeblichen Kritikpunkt genannt und die als aussichtsreich geltende Bewerbung zurückgewiesen. Damit stieg auch der öffentliche Druck weiter an.
Das habe die Entwicklung aber nicht beeinflusst oder gar beschleunigt, erklärt Schmid. Viel wichtiger ist ihm, dass die Entscheidung mit großer Mehrheit und keiner Gegenstimme getroffen wurde. Nur einige wenige Kirchengemeinderäte enthielten sich ihrer Stimme. So auch Markus Göttner, der gleichzeitig auch Gruppenführer der Weingartener Blutreitergruppe ist. „Die Entscheidung ist so gefallen und der werde ich mich fügen“, sagt er und spricht von „gemischten Gefühlen“.
Ob seine Gruppe in Zukunft Frauen mitreiten lässt, könne er aktuell noch nicht sagen. Das werde sich erst im Frühjahr klären – und wird hochinteressant sein. Schließlich habe es in der Vergangenheit immer Tendenzen in beide Richtungen gegeben, sagt Göttner. Daher müssten erst viele Gespräche geführt werden, bevor er sich diesbezüglich öffentlich äußern könne. Gerade diese Faktoren von Zeit und Dialog unterstreicht auch Schmid. Ganz bewusst habe man die Entscheidung sagt Dekan Ekkehard Schmid.
daher nun ein halbes Jahr vor dem Blutfreitag 2021 – am 14. Mai – verkündet. „Wir wollen keinen Blutreiter verlieren und einen guten Umgang finden“, sagt der Dekan, der seit zehn Jahren die Heilig-Blut-Reliquie trägt und damit immer den Mittelpunkt der Prozession bildet.
Eigentlich hätte er diese Entscheidung den einzelnen Blutreitergruppen bei Regionalversammlungen gerne persönlich mitgeteilt, um auf Fragen und Sorgen einzugehen. Doch durch den TeilLockdown im November sei das nicht möglich gewesen, weswegen alle Gruppen nun schriftlich über diesen großen Schritt informiert wurden.
Besonders wichtig ist es Schmid zu betonen, dass die Gruppen auch künftig völlig frei entscheiden können, ob sie sich öffnen oder nicht. Man habe das nicht von oben diktieren wollen, gerade weil der Blutfreitag stets den Wert des Miteinanders symbolisiert habe. „Wir sind nicht diejenigen, die bestimmen, wie die Gruppen aussehen. Wir wollen aber nicht die Verhinderer, sondern die Ermöglicher sein“, sagt
Schmid und spricht von einem „guten Kompromiss“.
Und auch wenn diese Entscheidung nun vom Kirchengemeinderat getroffen wurde, war es allen Verantwortlichen stets ein Anliegen zu betonen, dass die Öffnung von den Blutreitergruppen selbst kommen müsse. Und genau diese Möglichkeit hat nun jede Gruppe. Darauf hatte auch Dekan Ekkehard Schmid verwiesen, als er im Mai 2018 in der „Schwäbischen Zeitung“erstmals öffentlich über eine mögliche Öffnung für Frauen gesprochen hatte.
Allerdings will er seine eigene Rolle bei dem Prozess nicht überbewerten. Er habe die Öffnung nicht aktiv vorangetrieben, aber dafür gesorgt, dass das Thema „nicht unter den Tisch fällt“. Vielmehr hebt er den theologischen Aspekt dieser Entscheidung hervor. Es sei zum jetzigen Zeitpunkt ein Beitrag zum Fortschritt der Kirche. „Es ist wichtig, ein Zeichen nach vorne zu setzen“, sagt Schmid. „Das Zeichen liegt in der Spiritualität der Heilig-Blut-Reliquie. Daher war mir das ein Anliegen.“
Auch Gebhard Fürst, Bischof der Diözese Rottenburg-Stuttgart, hatte beim Blutritt 2019 im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“erklärt, dass er sich die Teilnahme von Frauen sehr gut vorstellen könne, gleichzeitig aber betont: „Ich will da keine Direktive nach außen geben. Die verschiedenen Blutreitergruppen müssen das miteinander ausmachen.“Und auch das unterstreicht Schmid: Der Bischof habe keinen Einfluss auf die aktuelle Entscheidung genommen. Das habe die Kirchengemeinde vor Ort für sich entschieden.
Zur aktuellen Entwicklung gab Fürst aufgrund einer Vielzahl an Terminen am Mittwoch noch kein Statement ab. Allerdings meldete sich Weihbischof Matthäus Karrer, der in diesem Jahr die Festpredigt an Christi Himmelfahrt gehalten und dabei ausdrücklich zur Öffnung des Blutfreitages aufgerufen hatte, auf Nachfrage zu Wort: „Ich freue mich sehr über diese Entscheidung, die für mich einen wichtigen Bestandteil für die Weiterentwicklung der Blutfreitagswallfahrt darstellt.“
Und auch Weingartens Oberbürgermeister Markus Ewald fand lobende Worte: „Die Öffnung des Blutritts für Frauen ist aus meiner Sicht ein zeitgemäßer Schritt, zu dem ich die katholische Kirche nur beglückwünschen kann. Es ist ein deutliches Signal für Gleichberechtigung, Vielfalt und Toleranz weit über den Blutritt hinaus.“
Dass dieses Signal sicherlich nicht bei allen Blutreitern gut ankommt, weiß auch Dekan Schmid: „Es ist ganz klar, dass es auch Widerspruch und Unverständnis geben wird.“Wichtig sei dann, mit den Menschen ins Gespräch zu kommen und deren Meinung zu respektieren. Er setzt darauf, dass das Heilige Blut und die Botschaft Jesu Christi am Kreuz verbindend wirken. Außerdem soll an der traditionellen Kleiderordnung festgehalten werden, um Gemeinschaft und Gleichberechtigung auch optisch zu transportieren. So sollen auch die künftigen Blutreiterinnen mit Frack und Zylinder am Blutfreitag teilnehmen.
Das Kloster Weingarten mit seiner prächtigen Basilika gilt als einer der bedeutendsten Wallfahrtsorte Deutschlands.
Die Heilig-Blut-Reliquie, die dort bewahrt wird, steht seit Jahrhunderten im Zentrum der Verehrung durch die Gläubigen.
Vor 926 Jahren, am 12. März 1094, wurden dem Kloster durch Judith von Flandern zahlreiche Geschenke gemacht, darunter die Reliquie.
Wie die Reliquie nach Weingarten kam, ist historisch gesichert, über ihren Weg zuvor berichtet die Überlieferung, die wohl auch ein Stück Legende ist: So soll ein römischer Soldat namens Longinus, nachdem er den Leichnam Jesu Christi mit einer Lanze durchbohrt hatte, einige Blutstropfen aufgefangen haben. Der Legionär, der später Christ wurde, brachte die kostbare Reliquie nach Mantua, wo er sie vergrub. Dort wurde das Gefäß 1048 wiederentdeckt und die Reliquie unter dem Kaiser, dem Papst und der Stadt aufgeteilt.
Der Anteil Kaiser Heinrichs III. gelangte an Balduin von Flandern und wurde von dessen Erbtochter Judith dem Weingartener Kloster geschenkt.
Seit etwa 1200 wuchs die Verehrung der Weingartener Reliquie ständig, das Kloster mit seiner Basilika wurde reich und gewann an Ansehen.
Von den zahlreichen Prozessionen ist der Blutritt am Blutfreitag, dem ersten Freitag nach Christi Himmelfahrt, immer stärker in den Vordergrund getreten. Ihn gibt es seit etwa 500 Jahren. (dpa)
„Wir wollen aber nicht die Verhinderer, sondern die Ermöglicher sein“,