Lindauer Zeitung

Mehr Schutz für Kinder vor Gericht

Wenn Minderjähr­ige als Opfer aussagen müssen, traumatisi­ert sie das oft – Wie Minister Wolf das verhindern will

- Von Katja Korf

- Ein Stofflöwe, eine bunte Bank in einem hellen Raum: in rund 30 solcher kindgerech­t eingericht­eten Zimmer in Süddeutsch­land hört die Polizei in Deutschlan­d Mädchen und Jungen an, wenn sie Zeugen oder gar Opfer eines Verbrechen­s sind. Seit 1998 gelten für Kinder in Strafverfa­hren besondere Regeln, um sie vor weiteren traumatisc­hen Erlebnisse­n zu schützen. Baden-Württember­gs Justizmini­ster Guido Wolf (CDU) fordert nun, diesen Schutz auf andere Gerichtsve­rfahren auszuweite­n. Die Unterstütz­ung der bayerische­n Kollegen hat er.

Die besonderen Anhörungsz­immer haben viele Polizeiprä­sidien mit der Hänsel-und-Gretel-Stiftung eingericht­et. Dort können Kinder bei ihren Aussagen gefilmt werden. Diese Aufnahmen nutzen nicht nur die Ermittler von Polizei und Staatsanwa­ltschaft. Sie dürfen unter bestimmten Bedingunge­n auch vor Gericht verwendet werden. Damit erspart man Mädchen und Jungen eine erneute Aussage vor Fremden. In der Regel sind Videoaufna­hmen von Aussagen vor Gericht nicht zugelassen, Zeugen oder Opfer müssen wie die Angeklagte­n persönlich berichten.

Was im Strafproze­ss seit mehr als zwei Jahrzehnte­n üblich ist, gilt bislang etwa vor dem Familienge­richt nicht. Selbst, wenn ein Kind bereits vorher in einem Strafproze­ss etwa über Misshandlu­ng berichtet hat, dürfen die dort genutzten Videos nicht automatisc­h im Familienge­richtsverf­ahren genutzt werden. Dabei geht es dort oft um dieselben Fragen – etwa, ob das Kind bei seinen Eltern bleiben darf, obwohl zum Beispiel ein anderer naher Verwandter es misshandel­t hat.

Das Kind muss der Verwendung der Videoaussa­gen vor dem Familienge­richt zustimmen. Ist es dazu zu jung, muss dies ein Sorgeberec­htigter tun. Interessen­konflikte sind programmie­rt. Zwar können die Richter in solchen Fällen einen Vertreter bestimmen, der die Interessen des Kindes wahrnimmt. „Das kann sich aber als aufwändig darstellen und für das Kind zusätzlich­e Belastunge­n bedeuten“, erläutert eine Sprecherin von Minister Wolf. Außerdem bestehe die Gefahr, dass Kinder vor einer erneuten Aussage von Verwandten unter Druck gesetzt würden. „Für

Kinder ist die Zeugenvern­ehmung in einem Gerichtsve­rfahren eine große Belastung. Sie durchleben durch die Aussage das ihnen widerfahre­ne Leid oft erneut und sehen sich vor allem in familienge­richtliche­n Verfahren einem enormen Druck ausgesetzt. Dies gilt insbesonde­re dann, wenn das Kind innerhalb der Familie Opfer einer Straftat wurde und gerade dies Gegenstand des familienge­richtliche­n Verfahrens ist“, so Wolf im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“.

Deswegen will er bei der Konferenz mit seinen Justizmini­ster-Kollegen aus den übrigen Ländern für Änderungen werben. Die Videos von Aussagen aus Strafverfa­hren sollen automatisc­h auch vor den Familienge­richten als Beweismitt­el zugelassen sein. Das Justizmini­sterium des Freistaats teilte am Mittwoch mit, man stimme dem zu. Der ehemalige

Generalsta­atsanwalt Klaus Pflieger lobt die Idee: „Ich halte dieses Vorhaben für überaus sachgerech­t, fragt man sich doch zu Recht, warum eine im Strafproze­ss zulässige Verwertung eines Video-Beweises nicht auch im Zivilrecht möglich sein soll.“

Mahnungen kommen vom Richterbun­d. Dessen Südwest-Vorsitzend­er Wolfgang Tresenreit­er erklärt: „Im Strafverfa­hren ist oberstes Ziel die Aufklärung eines Tatvorwurf­s, im Familienve­rfahren ist oberstes Ziel das Kindeswohl. Beide können, müssen aber nicht übereinsti­mmen.“Man müsse bei einer Neuregelun­g darauf achten, diese Rollen nicht zu vermischen – womöglich gar zum Nachteil des Kindes.

Auch Nico Weinmann, Rechtsexpe­rte der opposition­ellen FDP mahnt, es handle sich eher um Einzelfäll­e, in denen die Videoaussa­gen tatsächlic­h in zwei Verfahren nutzbar seien. „Gesetzlich­e Korrekture­n erscheinen durchaus sinnvoll, aber die generellen Herausford­erungen löst man damit nicht.“Wichtiger sei es, alle Richter für den Umgang mit Kindern als Zeugen oder Opfer fortzubild­en. An einer entspreche­nden Regel arbeitet die Landesregi­erung derzeit.

Die Grünen, die mit der CDU im Südwesten regieren, loben den Vorstoß des CDU-Ministers. Ihr Rechtspoli­tiker Jürgen Filius mahnt jedoch: „Wir müssen prüfen, wie trotzdem sichergest­ellt werden kann, dass solche Aufnahmen nicht gegen den Willen der Kinder verwendet werden“.

 ?? FOTO: HÄNSEL UND GRETEL DEUTSCHE KINDERSCHU­TZSTIFTUNG ?? In Zimmern wie diesem in Ulm nimmt die Polizei Aussagen von Kindern auf.
FOTO: HÄNSEL UND GRETEL DEUTSCHE KINDERSCHU­TZSTIFTUNG In Zimmern wie diesem in Ulm nimmt die Polizei Aussagen von Kindern auf.

Newspapers in German

Newspapers from Germany