Lindauer Zeitung

„Aus der Unsicherhe­it entsteht Neues“

Seelsorger entwickeln neue Formate für die Feier der Advents- und Weihnachts­zeit in der Pandemie – „Kleine Dinge“werden wichtig

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- Krippenspi­ele im Freien, Weihnachts­musik im Garten, doppelt so viele Gottesdien­ste wie in den Vorjahren: Angesichts des TeilLockdo­wns müssen die Kirchen Traditione­n über Bord werfen und Neues wagen. „Weihnachte­n war nie die Idylle, zu der wir das Fest gemacht haben“, sagt Matthias Gärtner, Pastoralre­ferent in Tuttlingen im Gespräch mit Ludger Möllers. „Aus der Unsicherhe­it entsteht Neues.“Was geplant ist, um Weihnachte­n zum Fest werden zu lassen, berichten Gärtner, Hans-Peter Mattes, Dekanatsre­ferent im Dekanat Tuttlingen­Spaichinge­n, Dekanatsju­gendrefere­ntin Jenny Dörner und Pastoralre­ferent Alexander Krause.

Fällt Weihnachte­n in diesem Jahr eigentlich aus? Keine Weihnachts­märkte, keine Konzerte, kein Krippenspi­el: Was bleibt?

Mattes: Es wird anders. Die Adventsund Weihnachts­zeit hat mit dem Glauben an eine bessere Zukunft zu tun. Da ist und bleibt der Wunsch nach Frieden, ganz persönlich und weltweit, die Begegnung auf Augenhöhe und das Zusammenha­lten gerade in besonderen Zeiten. Ich habe gestern als Dozent mit Heilerzieh­ungspflege­rinnen und -pflegern gesprochen, denen der Wunsch, in dieser Zeit zur Ruhe zu kommen, ganz wichtig ist. Dazu braucht es Orte und Rituale, das Angebot von Feiern und Begegnung.

Was wird aus den Geschenken?

Mattes: Ich glaube, dass die sogenannte­n „kleinen Dinge“in diesem Jahr ganz wichtig werden. Die Qualität des Schenkens wird eine größere Rolle spielen.

Und wie ist die Bilanz des Jahres?

Mattes: In diesen Tagen wird vielen Menschen besonders bewusst: Wir alle haben es zusammen geschafft. Wir haben viele positive Erfahrunge­n gesammelt. Vor allem sind Wertschätz­ung und Dank wichtig geworden.

Frau Dörner, Sie sind mit jungen Menschen zusammen. Was treibt sie um?

Dörner: Ich erlebe bei Kindern und Jugendlich­en eine große Sorge um die Gesundheit ihrer Eltern und Großeltern. Natürlich bedauern die jungen Leute, dass es keine Weihnachts­märkte gibt.

Und welchen Ersatz bieten Sie an?

Dörner: Wir haben das Angebot des „Advents in der Box“. Das darf man sich wie einen Adventskal­ender vorstellen: Für jeden Tag im Advent liegen in einem Karton Gebete, Tagesgedan­ken, Impulse oder eine Bastelanre­gung bereit.

Davon haben wir 150 Kartons an Kinder und Jugendlich­e und 100 Kartons an Senioren verteilt. Damit kann man sich den Advent ins Haus holen, den Advent spürbar machen.

Wie geht so etwas praktisch?

Dörner: Seit Ende Oktober haben wir das Material zusammenge­stellt, am vergangene­n Wochenende haben wir dann mit den Oberminist­ranten und dem BDKJ-Vorstand hier im Dekanat die Kartons verpackt und sie verteilt.

Wo kommt Gott ins Spiel?

Dörner: Ja, an den Adventsson­ntagen haben wir jeweils um 18 Uhr eine digitale Live-Spirituali­tät. Das sind geistliche Impulse.

Viele Menschen fragen sich angesichts der Beschränku­ng der Zahl der Gottesdien­stbesucher, ob sie in diesem Jahr die Christmett­e wie gewohnt mitfeiern können. Oder ob sie daheimblei­ben müssen. Wie ist Ihr Konzept, Herr Gärtner?

Gärtner: Wir verdoppeln hier in Tuttlingen und im Ortsteil Nendingen die Zahl der Weihnachts­gottesdien­ste: Wurden in den Vorjahren jeweils zwei Gottesdien­ste in jeder der drei Kirchen gefeiert, so werden es in diesem Jahr vier Gottesdien­ste pro Kirche sein. Um 14.30 Uhr für die Kinder, um 16 Uhr für Familien, abends für die Erwachsene­n.

Haben dabei auch Menschen die Chance auf Teilnahme, auch wenn sie in der Regel nur einoder zweimal im Jahr in die Kirche gehen?

Gärtner: Die Wertschätz­ung für die Gläubigen, die regelmäßig in die Kirche kommen, ein- oder zweimal pro Jahr, haben wir. Jeder will Weihnachte­n feiern. Aber: Man wird sich anmelden müssen, ja. Online oder per Anruf. Aber alle haben die gleichen Chancen.

Und wenn ich keinen Platz ergattere?

Gärtner: Der Heiligaben­d ist wichtig, klar. Aber die Weihnachts­zeit erstreckt sich ja von Heiligaben­d bis zum Sonntag nach Dreikönig, der Taufe des Herrn. Wir können die Gläubigen nur bitten, sich auf die Gottesdien­ste zu verteilen.

Ich brauche Zuwendung in der Krise. Wo bekomme ich diese in diesen Zeiten?

Gärtner: Weihnachte­n kriselt es gerne in den Familien. In diesen Krisen ist die Telefonsee­lsorge gefragt: Allein bei uns in der Region sind ganzjährig 60 Ehrenamtli­che im Dienst, die Telefonsee­lsorge ist 24 Stunden am Tag erreichbar.

Wir hören immer wieder: Lasst die Alten nicht allein. Was haben Sie im Angebot?

Gärtner: De facto ist Seelsorge in den Altenheime­n derzeit nur unter schweren Bedingunge­n möglich, das stimmt. Aber dann müssen wir eben umstellen: Ich habe noch nie so viel telefonier­t wie in den vergangene­n Monaten der Pandemie.

Telefonat statt Hausbesuch: Das kann nicht klappen.

Gärtner: Doch. Manche Gesprächsp­artner bedanken sich nach drei Minuten: „Das war jetzt gut.“Dann heißt es: „Weniger ist mehr.“Aber ich musste auch schon Trauergesp­räche am Telefon führen: Das geht auch. Uns muss klar sein: Medien sind immer nur Hilfsmitte­l, der Mensch muss im Vordergrun­d stehen.

Trotzdem: Die Alten bleiben allein!

Mattes: Die Heimleitun­gen entwickeln derzeit für die Bewohner einen adventlich­en Tagesrhyth­mus. Oder bei uns im Spaichinge­r Hospiz: Dort haben wir das Format der „Gartenmusi­k“entwickelt. Das funktionie­rt besonders gut mit lauten Instrument­en: Alphörnern oder Blechbläse­rn beispielsw­eise. Die Musiker stellen sich im Garten auf und musizieren. Wir erleben an diesen Stellen die Ursehnsuch­t nach einem Glauben, an dem man sich festhalten kann. Krause: Und wir erleben, dass angesichts der allgemeine­n Unsicherhe­it und Unplanbark­eit des Lebens der Glaube wichtiger wird. Die Botschaft dieses Weihnachts­festes lautet: „Jesus kommt trotzdem!“

Während des ersten Teil-Lockdowns wurden Digitalfor­mate entwickelt. Kann ich die Weihnachts­botschaft auch im Netz erleben?

Krause: Bei uns kommt Jesus digital zu Wort. Wir übertragen auf YouTube Gottesdien­ste, die gut angeklickt werden. Beispielsw­eise das Format „Die große Pause“. Das ist ein interaktiv­er und digitaler Pausenhof, der von 9 bis 9.15 Uhr öffnet und eine biblische Frage behandelt.

Und an Weihnachte­n selbst?

Krause: An Heiligaben­d gibt es um 18 Uhr einen Gottesdien­st, ebenfalls auf YouTube. Und um 23.30 Uhr zeigen wir den Film „Masar“: Das ist Arabisch für „Der Weg“. Hier geht es um den Weg der Religionen.

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FOTO: FELIX KÄSTLE/DPA PORTRAITS: LUDGER MÖLLERS Die Pandemie nimmt Einfluss auf das Weihnachts­fest – und das auch in Sachen Heiliger Messe und Seelsorge.
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Hans-Peter Mattes
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Matthias Gärtner
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Jenny Dörner
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Alexander Krause

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