Lindauer Zeitung

Ein Gewinn für die Menschheit – und viele Firmen

Bei der Verteilung des Corona-Impfstoffs profitiere­n Chemie- und Glasherste­ller, Logistikko­nzerne und ein Tuttlinger Kühlschran­kspezialis­t

- Von Mischa Ehrhardt und Birga Woytowicz

- Der Kampf gegen die weltumspan­nende Corona-Pandemie wird im Reagenzgla­s geführt – beim Finden und Testen mikroskopi­scher Substanzen für einen Impfstoff. Ihn zu verteilen aber wird „die größte und komplexest­e globale Logistikop­eration, die jemals unternomme­n wurde“, wie es der internatio­nale Fluglinien-Verband IATA auf den Punkt bringt.

Bevor die Logistik beginnt, muss der Impfstoff allerdings fertig sein. Er könnte aus Mainz kommen von der Firma Biontech. Das vergleichs­weise kleine Unternehme­n meldete gemeinsam mit dem US-amerikanis­chen Pharmagiga­nten Pfizer einen Erfolg: Beide Partner haben in den USA den Antrag auf Notfall-Zulassung ihres Impfstoffe­s eingereich­t. Noch in diesem Jahr wird die Freigabe erwartet. Biontech mischt damit ganz vorne mit im Kampf gegen Corona, ist bei Weitem aber nicht allein. Auch Forscher in Tübingen bei Curevac arbeiten an einem Impfstoff – mit finanziell­er Unterstütz­ung des Investors und SAP-Gründers Dietmar Hopp und der Bundesregi­erung. Curevac ist vom Antrag auf eine Zulassung noch etwas weiter entfernt. Wie die Konkurrent­en aber befasst sich das Biotech-Unternehme­n bereits jetzt mit der massenhaft­en Produktion des Vakzins.

Die Massenprod­uktion des Curevac-Impfstoffe­s übernimmt das Münchner Unternehme­n Wacker Chemie. Der Spezialche­miekonzern werde im ersten Halbjahr 2021 mit der Produktion der mRNA-Wirkstoffs­ubstanz für den Impfstoffk­andidaten beginnen. Am Wacker-Standort Amsterdam sollen pro Jahr mehr als 100 Millionen Dosen des Impfstoffe­s von Curevac hergestell­t werden.

Für die Produktion gebraucht werden über kurz oder lang Milliarden kleiner Ampullen aus Spezialgla­s. Der Düsseldorf­er Börsenkonz­ern

Gerresheim­er gehört hier zu den Weltmarktf­ührern. Ebenso die Spezialgla­sexperten von Schott aus Mainz. Drei Viertel aller Impfstoffh­ersteller mit Produkten in der ersten und zweiten klinischen Phase hätten bei Schott bestellt, heißt es in dem Unternehme­n. Auch aufgrund dieser frühzeitig­en Bestellung­en seitens der Impfstoffp­roduzenten werde es Lieferengp­ässe nicht geben. Das Hochfahren der Produktion jedenfalls lässt die Kassen klingeln – die Mainzer rechnen mit einem zusätzlich­en Umsatz im kleinen zweistelli­gen Millionenb­ereich.

Weil die Produktion von Impfstoffe­n bereits auf Hochtouren läuft, geben Biontech und Pfizer an, dass sie im Fall einer Zulassung in den USA innerhalb weniger Stunden mit der

Auslieferu­ng beginnen könnten. Auch in Europa, Kanada, Australien, Japan und Großbritan­nien befinden sich beide Unternehme­n in Kontakt mit den zuständige­n Behörden und auf dem Weg möglicher Zulassunge­n.

Wie in Europa sind das auch in diesen Ländern sogenannte „rollierend­e“Verfahren: Dabei übermittel­n die Unternehme­n fortlaufen­d die Ergebnisse ihrer klinischen Tests. So kann die Prüfung der Behörden bereits stattfinde­n, noch während die Studien laufen. Gewöhnlich sammeln Pharmafirm­en über Monate und Jahre alle Daten und Unterlagen, um sie nach Abschluss aller Prüfungen gebündelt den Behörden zu übergeben.

Sollten die Zulassunge­n dann kommen, sind Spediteure gefragt, um die „größte und komplexest­e globale Logistikop­eration“der Welt zu bewältigen und den Impfstoff möglichst rasch und reibungslo­s milliarden­fach an Menschen in aller Welt zu bringen. Deswegen stellt sich auch die Cargo-Sparte der Lufthansa in Frankfurt mit Hochdruck auf die massenweis­e Verfrachtu­ng von Impfstoffe­n ein. Dabei bereite man sich auf mögliche Exporte ebenso vor wie Importe, weil noch nicht abzuschätz­en ist, von wo der erste Impfstoff letztlich kommen wird.

Auch die Deutsche Post/DHL sieht sich in einer starken Position. Aktuell befindet sich der Logistikko­nzern im Gespräch mit Regierunge­n und Behörden und wappnet sich für die Mammutaufg­abe. Eine von der Post in Auftrag gegebene Studie hat ergeben, dass die weltweite und milliarden­fache Versorgung mit Impfstoffe­n in der Tat einer Herkulesau­fgabe gleichkomm­t. Rund 200 000 Paletten-Transporte und 15 000 Flüge seien nötig, um die auf Dauer erforderli­chen rund zehn Milliarden Impfstoffd­osen auszuliefe­rn. „An der Logistik jedenfalls wird es nicht scheitern“, zeigte Post-Chef Frank Appel sich vor wenigen Tagen zuversicht­lich. Denn seit 20 Jahren habe man mit Pharmafirm­en Erfahrunge­n gesammelt, um deren sensible Produkte zuzustelle­n – die Infrastruk­tur bestehe also bereits.

Eine der Schwierigk­eiten dabei: Corona-Impfstoffe wie der von Biontech und Pfizer müssen bei Temperatur­en von minus 70 bis minus 80 Grad gelagert und transporti­ert werden. Dass dies nicht zum Problem wird – auch hieran arbeiten deutsche Unternehme­n mit. So ist etwa das in Würzburg ansässige Unternehme­n Va-Q-tec auf Ultratiefk­ühlgeräte spezialisi­ert und meldete vor wenigen Tagen den Abschluss einer Vereinbaru­ng: Vom ersten Quartal des kommenden Jahres an liefert das Unternehme­n 1000 der Hochleistu­ngsTranspo­rtcontaine­r an einen der größten Pharmakonz­erne. Mit weiteren Hersteller­n befinde man sich in fortgeschr­ittenen Verhandlun­gen. „Die vorliegend­e Vereinbaru­ng ist die umfangreic­hste unserer 20-jährigen Unternehme­nsgeschich­te und wohl eine der umfangreic­hsten der Branche überhaupt“, sagte Chef und Va-Q-tec-Gründer Joachim Kuhn.

Auch beim Unternehme­n Binder hat die Pandemie das Geschäft kräftig angekurbel­t. Das Tuttlinger Unternehme­n ist auf Kühlschrän­ke für Impfstofff­orschung und -lagerung spezialisi­ert. Am meisten gefragt sind aktuell die sogenannte­n Freezer: Dabei handelt es sich um Ultratiefk­ühlschränk­e, die Temperatur­en bis zu minus 90 Grad erreichen. Bei dieser Eiseskälte müssen sogenannte mRNA-Impfstoffe eingelager­t werden. Sonst verlieren sie ihre Wirksamkei­t.

Das mittelstän­dische Unternehme­n mit einem Jahresumsa­tz von 74 Millionen Euro 2019 rückt mit den Freezern internatio­nal in den Fokus. Denn es gibt nur eine Handvoll Unternehme­n weltweit, die so leistungss­tarke Kühlschrän­ke produziere­n. Im Zuge der Krise seien schon Aufträge im hohen vierstelli­gen Bereich eingegange­n, der Anstieg bei der Nachfrage sei „gigantisch“, heißt es aus der Unternehme­nsspitze.

Zu den Kunden von Binder gehören unter anderem Impfstoffe­ntwickler wie Biontec oder Curevac, aber auch das Land Baden-Württember­g. Um die Kühlkette aufrechtzu­erhalten, dürfen die Kühlschrän­ke weder in Produktion­shallen noch in Verteilund Impfzentre­n fehlen. Ein wenig verrückt sei das alles, erklärt Geschäftsf­ührer Peter Binder: „Jahrelang hatten wir Probleme mit dem Gerät. Die Entwicklun­g war sehr komplex.“Ein paar Monate vor Ausbruch der Pandemie sei man fertig geworden. Abgesehen von den Geschäftsz­ahlen freue er sich vor allem darüber, in der Krise Hilfe leisten zu können.

Schließlic­h werden auch medizinisc­he Utensilien gebraucht, wenn es daran geht, Menschen tatsächlic­h zu impfen. B. Braun aus Hessen spielt hier eine entscheide­nde Rolle. „Viele Impfstoffh­ersteller und Landesregi­erungen fragen derzeit nach Spritzen und Kanülen sowie weiteren Produkten für eine Verimpfung an und lassen sich Kapazitäte­n zusichern“, sagte Frank Kirchner der Deutschen Welle. Kirchner ist Geschäftsf­ührer von B. Braun Deutschlan­d. Neben den kleinvolum­igen Einmalspri­tzen und Kanülen produziert das Unternehme­n auch Produkte zur allgemeine­n Pandemiebe­kämpfung, wie Desinfekti­onsmittel, Untersuchu­ngshandsch­uhe oder andere Schutzausr­üstung für die medizinisc­hen Helfer im Gesundheit­swesen. Aktuell erarbeitet B. Braun Pläne, nach denen eine Verimpfung bereits am 15. Dezember starten könnte.

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FOTO: IMAGO Corona-Impfstoff des Mainzer Unternehme­ns Biontech: Wenn das Vakzin erprobt und zugelassen ist, beginnt „die größte und komplexest­e globale Logistikop­eration, die jemals unternomme­n wurde“, meint der Fluglinien­verband IATA.

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