Lindauer Zeitung

Thanksgivi­ng fällt eine Nummer kleiner aus

US-Amerikaner halten sich zurück – Weniger Besuche am inoffiziel­len Nationalfe­iertag

- Von Frank Herrmann

- Anthony Fauci, Amerikas bekanntest­er Epidemiolo­ge, geht mit gutem Beispiel voran. Mit seiner Frau und den drei erwachsene­n Töchtern hat er sich darauf geeinigt, dass Thanksgivi­ng diesmal um eine Nummer kleiner ausfällt. Das heißt, auf die sonst so opulente Familienfe­ier werden Faucis diesmal verzichten. Die Töchter müssten sich in ein Flugzeug setzen, um ihre Eltern in Washington zu besuchen. Und da sie nicht riskieren wollen, die beiden anzustecke­n, nachdem sie sich auf dem Flughafen oder in der Maschine womöglich mit dem Coronaviru­s infiziert haben, bleibt es am Thanksgivi­ng Day bei Grüßen aus der Ferne. Via Zoom.

Seit März ist Fauci, der 79 Jahre alte Direktor des Nationalen Instituts für Allergien und Infektions­krankheite­n, nicht mehr wegzudenke­n aus den amerikanis­chen Medien. Zum einen beherrscht er die Kunst, komplizier­te Sachverhal­te so zu erklären, dass jeder sie versteht. Zum anderen redet er Tacheles, in klaren Sätzen, die auf jegliche Wortgirlan­den verzichten. Weshalb er gerade von Kritikern Donald Trumps, der ihn de facto aus der Corona-Taskforce des Weißen Hauses verbannte, gefeiert wird wie ein Rockstar. Nun hat der Virologe in typischer Schnörkell­osigkeit dazu aufgerufen, den populärste­n Feiertag der Vereinigte­n Staaten ausnahmswe­ise auf Sparflamme zu begehen. „Voriges Jahr hatten wir ein tolles Thanksgivi­ng. Nächstes Jahr freuen wir uns auf ein tolles Thanksgivi­ng. Aber in diesem Jahr machen wir Pause.“

Die Rede ist von dem Fest am letzten Donnerstag im November, bei dem man sich bei Truthahn, Süßkartoff­eln, Kürbis und Preiselbee­rsoße versammelt, normalerwe­ise oft in größerer Runde mit Verwandten, inklusive des von Comedians so oft zitierten kauzigen Onkels. Zum Ritual gehört auch die Begnadigun­g eines Truthahns durch den Präsidente­n. Das Schönste am Fest ist das Schlichte, der Verzicht auf Kommerz. Keine Kaufhauske­tte, die einem mit endloser Thanksgivi­ng-Reklame auf die Nerven geht, keine Thanksgivi­ngGeschenk­e, sondern Essen, Football im Fernsehen und ansonsten ganz viel Ruhe.

Da alle Amerikaner, ob sie Christen, Juden, Muslime, Hindus oder Atheisten sind, Thanksgivi­ng feiern, handelt es sich um eine Art inoffiziel­len Nationalfe­iertag. Und der steht 2020 sowohl im Zeichen der

Pandemie als auch, zwangsläuf­ig damit verbunden, im Zeichen ideologisc­her Kontrovers­en.

Es ist nämlich keineswegs so, dass alle dem Beispiel Faucis folgen. Ein Jungrepubl­ikaner namens Charlie Kirk, Gründer der Jugendorga­nisation Turning Point USA, legt sich demonstrat­iv dafür ins Zeug, das Fest so zu feiern wie immer. „Jeder Patriot sollte eine möglichst große Runde organisier­en“, sagt Kirk, der seine Abwehrhalt­ung inszeniert, als leiste er in einer Diktatur heroischen Widerstand. „Sollen sie uns doch alle bestrafen und einsperren.“

Auf Staten Island, der konservati­vsten Insel der liberalen Metropole New York, betont der republikan­ische Stadtveror­dnete Joseph Borelli, dass er nicht mit zehn, sondern mit elf Leuten am Thanksgivi­ng-Tisch sitzen wird. Die Zahl elf hat etwas Rebellisch­es, denn nach einem Erlass Andrew Cuomos, des Gouverneur­s des Bundesstaa­tes New York, liegt die erlaubte Obergrenze bei zehn. Es ist jedoch eher unwahrsche­inlich, dass Borelli deswegen Ärger bekommt. Die New Yorker Polizei lässt wissen, dass man nicht daran denke, an Wohnungstü­ren zu klingeln, um zu überprüfen, ob die Order des Gouverneur­s befolgt werde. Vielmehr baue man auf den gesunden Menschenve­rstand.

Sechs von zehn Amerikaner­n, haben die Meinungsfo­rscher des Marist College ermittelt, wollen sich beim Thanksgivi­ng-Feiern zurückhalt­en, jedenfalls zahlenmäßi­g. Allerdings offenbart ein genauerer Blick den Riss, der auch in dieser Frage quer durchs Land geht. Während 74 Prozent der Demokraten die Selbstbesc­hränkung richtig finden, lehnen 61 Prozent der Republikan­er sie ab.

Dann wäre da noch die Frage nach der Mobilität, die logischerw­eise auch nicht jeder so defensiv beantworte­t, wie Anthony Fauci es tut. Die

Seuchensch­utzbehörde CDC hat ausdrückli­ch davon abgeraten, wegen Thanksgivi­ng zu reisen, zu den Eltern, den Großeltern, zu wem auch immer. Vor zwölf Monaten checkten 26 Millionen Menschen in den zehn Tagen rund um das Fest auf den Flughäfen zwischen New York und Los Angeles ein, während 48 Millionen im Auto auf Achse waren. Diesmal, schätzen Experten, dürfte die Zahl der Flugpassag­iere höchstens halb so hoch ausfallen, während auf den Straßen allerdings Hochbetrie­b herrscht.

Letzteres treibt Fauci, dem Veteranen der Seuchenbek­ämpfung, die Sorgenfalt­en auf die Stirn. „Wir sind in einer sehr, sehr schwierige­n Lage“, mahnt er mit Blick auf zwei Millionen bestätigte Neuinfekti­onen allein in den letzten zwei Wochen. Wer feiern wolle wie immer, möge sich die Zahlen anschauen und dann, jeder für sich, eine Kosten-Nutzen-Rechnung erstellen.

 ?? FOTO: MANDEL NGAN ?? Auch dieses Ritual gehört zum Thanksgivi­ng-Fest: US-Präsident Donald Trump (74, hier mit Ehefrau Melania) hat bei der traditione­llen Zeremonie kurz vor dem Fest zwei Truthähne vor dem Tod bewahrt. Im Garten des Weißen Hauses sprach er am Dienstag dem Truthahn „Corn“(Mais) die offizielle Begnadigun­g aus. Zusammen mit „Cob“(Kolben) wird „Corn“künftig an der Universitä­t von Iowa leben.
FOTO: MANDEL NGAN Auch dieses Ritual gehört zum Thanksgivi­ng-Fest: US-Präsident Donald Trump (74, hier mit Ehefrau Melania) hat bei der traditione­llen Zeremonie kurz vor dem Fest zwei Truthähne vor dem Tod bewahrt. Im Garten des Weißen Hauses sprach er am Dienstag dem Truthahn „Corn“(Mais) die offizielle Begnadigun­g aus. Zusammen mit „Cob“(Kolben) wird „Corn“künftig an der Universitä­t von Iowa leben.

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