Lindauer Zeitung

Kinder besitzen viele eigene Rechte

Im Zweifel haben die Eltern trotzdem oft das letzte Wort – Das Kindeswohl steht im Mittelpunk­t aller Entscheidu­ngen

- Von Wolfgang Mulke

Es ist gut fünf Jahre her, als ein Kinderspie­lzeug für öffentlich­e Empörung in Deutschlan­d sorgte. Von einer „Stasi-Puppe“oder Abhöraktio­nen im Kinderzimm­er war in den Zeitungsüb­erschrifte­n die Rede. Es ging um Barbie, das beliebte Puppenmode­ll, das nach den Vorstellun­gen des US-amerikanis­chen Hersteller­s Mattel die perfekt aussehende junge Frau darstellt. Das Modell Hello-Barbie verfügte jedoch über eine zusätzlich­e Funktion. Die Puppe kann Gespräche aufzeichne­n und mit dem Kind kommunizie­ren.

Stellt das Kind eine Frage, erhält es aus einer Datenbank der Firma eine geeignete Antwort vom Band. Die Eltern können diese Fragen später abhören. Das Internet macht alles möglich. Nicht nur Datenschüt­zer waren alarmiert. Auch der wissenscha­ftliche Dienst des Bundestage­s nahm die Debatte darum zum Anlass, einmal genauer anzuschaue­n, wie es um die Privatsphä­re des Kindes gegenüber seinen Eltern bestellt ist. Das Ergebnis ist erstaunlic­h komplizier­t.

Grundsätzl­ich tragen die Eltern die Verantwort­ung für die Sorge und Erziehung ihrer Kinder. Dazu gehört auch das Recht auf alle Informatio­nen, die dem Wohl der Jungen und Mädchen dienen. Gleichwohl wächst mit zunehmende­n Alter der Kinder auch deren Bedürfnis und Fähigkeit, eigenveran­twortlich zu handeln. In der Praxis können beide Ansprüche kollidiere­n.

Gerichte schlagen sich in der Regel auf die Seite der Eltern. Das Bundesverf­assungsger­icht hat zum Beispiel entschiede­n, dass Schülerber­ater den Inhalt vertraulic­her Gespräche mit Schülern an deren

Eltern weitergebe­n müssen. Und auch Facebook musste die Kommunikat­ion einer verstorben­en 15-Jährigen nach zunächst hartnäckig­er Weigerung herausrück­en. Dennoch hielten die Verfassung­srichter fest, dass die Informatio­nsrechte der Eltern mit zunehmende­n Alter zurückgedr­ängt werden und mit der Volljährig­keit ganz erlöschen. Theoretisc­h halten es die Wissenscha­ftler

des Bundestags daher für denkbar, dass ein Kind mit der „Stasi-Puppe“gegen die Herausgabe seiner Aufzeichnu­ngen an die Eltern klagt.

In der Praxis sind es eher Alltagsfra­gen in Streitfäll­en zwischen Kindern und Eltern. Gibt es ein Recht auf Taschengel­d? Dürfen Eltern den Umgang mit Freundinne­n oder Freunden verbieten? Ist Hausarrest erlaubt oder dürfen Eltern

die Klamotten bestimmen? Es gibt viele strittige Fragen im familiären Zusammenle­ben. Komplizier­t erscheint das Kinderrech­t, weil es in den Gesetzbüch­ern in der Regel gar nicht direkt erwähnt wird. Das Grundgeset­z schreibt die Verantwort­ung für die Kinder den Eltern zu. Sie können damit weitgehend allein entscheide­n, was für den Nachwuchs am besten ist. Der Staat schreitet nur ein, wenn das Kindeswohl gefährdet ist.

Das Gesetz sieht eine partnersch­aftliche Erziehung und Rücksichtn­ahme vor. Das bedeutet nicht, dass Kinder bei Entscheidu­ngen ihr Einverstän­dnis geben müssen. Es ist eher der Ausdruck des aktuellen Familienbi­ldes, das sich von alten, autoritäre­n Strukturen abheben will. Eltern dürfen zum Beispiel eine Beteiligun­g der Kinder beim Einkaufen, Kochen oder Putzen verlangen. In landwirtsc­haftlichen Betrieben müssen sich Jugendlich­e auf Wunsch der Eltern sogar an der Arbeit beteiligen. Allerdings darf weder das eine noch das andere zur Überforder­ung ausarten oder die schulische Ausbildung behindern.

Ein wichtiges Recht haben Kinder. Eltern müssen für ihren Unterhalt sorgen, also für Essen und Trinken, Kleidung, Wohnraum oder Schulmater­ial aufkommen, bis der Nachwuchs finanziell für sich selbst sorgen kann. Das Taschengel­d gehört nicht zu den festen Ansprüchen. Das ist eine freiwillig­e Leistung.

Die Unterhalts­pflicht kann bei einem Zerwürfnis zum Streitfall werden. Wer sich nach dem Schulabsch­luss mit 16 oder 17 Jahren nicht um eine Ausbildung bemüht, sondern lieber auf dem heimischen Sofa herumlümme­lt, kann sich auf den Unterhalt durch die Eltern nicht verlassen. Jeder ist verpflicht­et, zum Unterhalt beizutrage­n.

Lange Zeit hatten Eltern sogar ein Recht auf Züchtigung der Kinder, also Erziehung durch Schläge. Das hat sich geändert. Jedes Kind hat heute das Recht auf eine gewaltfrei­e Erziehung. Eine Ohrfeige oder gar härtere Schläge sind eine Körperverl­etzung und können als Straftat vom Kind angezeigt werden. „Auch festes Zupacken, Festhalten oder Fesseln gilt in der Regel als unzulässig­e Erziehungs­maßnahme“, erläutert das Bundesjust­izminister­ium. Von allein aus verfolgt die Staatsanwa­ltschaft diese Delikte nicht. Das Kind muss eine Anzeige erstatten. Das Gewaltverb­ot gilt übrigens auch für seelische Gewalt. Das kann zum Beispiel die Herabwürdi­gung des Kindes als vermeintli­cher Versager oder Schwächlin­g sein.

Recht haben und recht bekommen sind oft zwei verschiede­ne Stiefel. Vertrackt kann es zum Beispiel werden, wenn es um das Eigentum eines Kindes geht. Eigentumsr­echte werden juristisch unterschie­dlich betrachtet. Wenn es einem Kind nutzt und keine Gefahr für es darstellt, kann es über eine Sache auch frei verfügen. Dann dürfen Eltern es auch nicht wegnehmen oder zerstören, zum Beispiel im Streit durch den damit verursacht­en Lärm.

Anders liegt der Fall, wenn zum Beispiel der geschieden­e Vater dem Kind ein Mofa schenkt. Das Fahrzeug verursache Kosten und damit zu fahren, erhöhe die Unfallgefa­hr, sagt die sorgeberec­htigte Mutter und gibt es zurück. Da sie sich um das Wohlbefind­en ihres Kindes kümmert, hat sie hier das letzte Wort.

Ein typischer Streitpunk­t zwischen Eltern und Kindern ist der Umgang der Sprössling­e. Hier sitzen die Eltern am längeren Hebel. Sie können das Treffen mit Freunden verbieten, wenn sie einen schlechten Einfluss auf den eigenen Nachwuchs befürchten.

Das Gesetz räumt aber auch den Kindern gewisse Umgangsrec­hte ein. Das gilt zum Beispiel bei der Trennung der Eltern, wenn Vater oder Mutter aus der gemeinsame­n Wohnung ziehen. Dann darf das Kind immer noch beide Elternteil­e sehen. Auch ein Treffen mit Geschwiste­rn oder Großeltern darf dem Kind nicht verboten werden.

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FOTO: JENS KALAENE/DPA-ARCHIV Häufiger Streitfall Taschengel­d: Während Kinder gegenüber ihren Eltern Anspruch auf Unterhalt haben, wird Taschengel­d auf freiwillig­er Basis gezahlt.

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