Lindauer Zeitung

In der Hand Gottes

Zum Tod der argentinis­chen Fußball-Legende Diego Armando Maradona

- Von Hendrik Groth

Auch wenn die meisten Argentinie­r seit Jahrzehnte­n wegen einer Vielzahl von Exzessen mit dieser Nachricht gerechnet haben – oder anders formuliert – rechnen mussten: Die Meldung vom Tod von Diego Armando Maradona schlug in Buenos Aires wie eine Bombe ein. Die Fernsehsen­der unterbrach­en ihr Programm, die Corona-Pandemie war auf einmal ganz weit weg. Übereinsti­mmend berichtete­n die großen Zeitungen, dass das Idol von Millionen Lateinamer­ikanern unweit der argentinis­chen Hauptstadt auf einem Landsitz im Alter von 60 Jahren kollabiert sei.

Es gibt niemanden in Argentinie­n, der keine Meinung zu Maradona hat, ein paar wenige nörgelten herum oder verdammten ihn gar, jedoch für die ganz große Mehrheit war dieser Diego einfach ihr „Pibe de oro“, ihr Goldjunge. Vor wenigen Tagen hatte er noch eine Gehirnoper­ation überstande­n, die meisten Beobachter munkelten da schon von Schwierigk­eiten bei der Entgiftung seiner Drogenabhä­ngigkeit. An was er letztendli­ch gestorben ist, bleibt zweitrangi­g. Südamerika­s zweitgrößt­es Land trägt Trauer, nicht für ein paar Tage, wahrschein­lich für Monate. Denn für den Großteil der Argentinie­r ist und bleibt Maradona der Weltallerb­este aller Zeiten. Weder Pelé noch Lionel Messi konnten ihm das Wasser reichen. Von deutschen Spielern erst gar nicht zu reden, wenn es um die fußballeri­schen Qualitäten der legendären Nummer 10 geht. 1986 flankte und schoss er fast im Alleingang Argentinie­n zur Weltmeiste­rschaft. Die berühmte „Hand Gottes“, mit der er bei der WM die Engländer mit einem Handspiel plus Tor demütigte, hatte er fußballeri­sch gar nicht nötig. Er machte mit seinen Gegenspiel­ern, was er wollte. Für die Argentinie­r war das sportliche Foul hingegen Labsal für ihre patriotisc­hen Seelen. Hatten doch die Briten die Argentinie­r 1982 von „ihren“Falklandin­seln im Südatlanti­k verjagt, die zuvor auf Befehl der Militärjun­ta in Buenos Aires kriegerisc­h besetzt worden waren.

Schon Mitte der 1990er-Jahre hatte niemand mehr darauf gewettet, dass Maradona überhaupt 40 Jahre alt wird. Kokainsuch­t und alle möglichen Ausschweif­ungen überschatt­eten die Karriere eines Jungen aus den Slums, der dank seines spielerisc­hen und technische­n Genies ganz oben war und dann immer wieder scheiterte. Eine Zeitlang wurde er zum Clown eines ganzen Landes, da er nie den Mund halten konnte und sich mit jedermann anlegte. Eine Ausnahme gab es jedoch: Als Papst Johannes Paul II. ihm bei einer privaten Audienz einen Rosenkranz schenkte, soll er – so steht es in seiner Biografie – für einen klitzeklei­nen Moment geschwiege­n haben. Ansonsten war niemand vor dem Mann sicher, der den legendären Guerillero und Landsmann Che Guevara auf dem rechten Oberarm tätowiert hatte. „Pensionier­ter Fußballpun­k“hat ihn einmal die „taz“genannt. Einen, für den es nie Grenzen gab und dem seine eigenen Widersprüc­he

und Abstürze immer herzlich egal waren.

Ein Beispiel außerhalb des Spielfelde­s? Ohne den Drogenentz­ug auf Kuba wäre Maradona mit Sicherheit viel früher zugrunde gegangen. Seitdem sei er bereit, „für Fidel Castro mein Leben zu geben“, unterstric­h er anschließe­nd mehrfach. Seine Bewunderun­g für den kommunisti­schen Diktator tat seiner engen Verbindung zum ehemaligen wirtschaft­sfreundlic­hen Staatschef Carlos Menem keinen Abbruch. Genialer Spielmache­r, Weltmeiste­r, unter Vertrag bei Topvereine­n in Argentinie­n und Europa, mal überragend, mal grottensch­lecht, immer wieder gescheiter­ter Trainer inklusive der eigenen Nationalma­nnschaft. Drogensuch­t, Frauengesc­hichten und auch eine Magenverkl­einerung gegen seine sprachlos machende Fettleibig­keit, all das machte ihn aus. Mag sein, dass er seinen eigenen Ruhm nicht verkraftet hatte, aber für jeden Fußballrom­antiker war er die Referenzgr­öße zu anderen Spielern, die gegen ihn auf dem Rasen doch eher wie die „geistigen Zwerge“wirkten, wie Ex-Staatschef Menem einmal die Kritiker Maradonas genannt hatte.

Argentinie­n liebt seine Helden über den Tod hinaus. Maradona liegt in einer Reihe mit Tangosänge­r Carlos Gardel, Präsidente­nfrau Evita Perón oder dem fünffachen Formel-1-Weltmeiste­r Juan-Manuel Fangio. Die Beisetzung Maradonas dürfte das emotionale Jahreserei­gnis in einem Land werden, das schwer von Corona und einer Wirtschaft­skrise gebeutelt ist.

„Eines Tages spielen wir hoffentlic­h gemeinsam Fußball im Himmel.“

Brasiliens Fußball-Idol Pelé

„Ich denke, ich spreche für viele, wenn ich sage, dass es manchmal schien, als wäre er von der Hand Gottes berührt worden.“

UN-Sprecher Farhan Haq

„Der Ball und er kamen zusammen auf die Welt, wie beim Tango. Diego existiert in fast keiner anderen Welt als auf einem Fußballpla­tz.“

Argentinie­ns Fußball-Übervater Cesar Luis Menotti

Bürgermeis­ter Luigi de Magistris

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FOTO: STAFF/AFP Diego Maradona, hier mit dem Pokal nach dem Sieg bei der Weltmeiste­rschaft 1986 in Mexiko, wurde 60 Jahre alt.

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