Die Serie
Einst sorgten sie für Jubel und und Euphorie, machten Werbung im allerbesten Sinne für Oberschwaben, die Bodenseeregion und das Allgäu. Doch was machen die Weltmeister und Olympiasieger von früher eigentlich heute? In unserer Serie „Stars von einst“porträtieren wir herausragende Ex-Sportler aus der Region.
NESSELWANG/MÜNCHEN/KONTIOLAHTI - „Dieses Jahr ist es tricky, keiner konnte das Training so durchziehen wie geplant.“Michael Greis spricht von der Corona-Pandemie, die natürlich auch den Biathlon beherrscht. Deshalb ist er als Trainer der polnischen Frauenmannschaft schon früher nach Finnland gereist. Kontrollen gab und gibt es viele. Die Einreise nach Finnland war nur mit negativem deutschen Test möglich. In Helsinki am Flughafen ein freiwilliger Test und in Kontiolahti Tests alle vier bis fünf Tage. Trotz aller Widrigkeiten hofft Greis auf gute Platzierungen beim Weltcupauftakt seiner polnischen Frauen am Samstag (14.20 Uhr). „Das Wetter ist gerade verrückt. Im Moment haben wir Plusgrade und der Schnee schmilzt. Die Temperaturen gleichen einer Achterbahn. Das wird ein interessanter Faktor sein. Dazu weiß keiner, wo man genau steht“, sagt Greis. Daher ist sein Ziel: Mit seiner Mannschaft gut in die Saison reinkommen und gesund bleiben.
Für den gebürtigen Füssener ist es die zweite Saison als Trainer der polnischen Nationalmannschaft. Polnisch verstehe er nicht so gut, sagt er. „Ich kann gerade mal zehn bis 20 Wörter, mehr nicht.“Man spricht englisch miteinander. Und das hat der dreifache Olympiasieger als Trainer der US-Mannschaft perfektionieren können.
Aber zurück nach Finnland: In dieser Saison sind die ersten beiden Weltcupevents in Kontiolahti. Geplant war ursprünglich Östersund als Austragungsort Anfang Dezember. Dieser Ort hat bei Greis Geschichte geschrieben. 2012 verkündete er dort für alle überraschend das Ende seiner aktiven Zeit. „Das war unheimlich spontan – auch für mich“, erinnert er sich. Was war los? Ein Syndesmosebandriss erschwerte das Training. Er begann zu früh mit den Vorbereitungen auf die Saison. „Das war zusätzlicher Ballast. Ich hatte den Ehrgeiz, eine gute Saison zu haben und habe immer gehofft, dass das notwendige innere Feuer wieder kommt und ich meine Ziele erreichen kann. Aber beim ersten Rennen in Östersund war es genau das Gegenteil.“Der dreifache Olympiasieger, dreifache Weltmeister und mehrfache Sieger im Gesamt-, Einzelund Sprintweltcup zog es durch.
„Damals kam auch mein Alter dazu.“Mit Mitte 30 zieht er also am 5. Dezember 2012 den spontanen Schlussstrich seiner aktiven Laufbahn als Biathlet in Östersund.
Seine Erfolge kommentiert Greis bescheiden. Dass er als erster Biathlet überhaupt zum Sportler des Jahres 2006 gewählt wurde, „liegt wahrscheinlich daran, dass man mal jemanden anderen brauchte“. Dass er der erste deutsche Olympiateilnehmer ist, der bei ein und denselben Spielen dreimal Gold gewonnen hat, entlockt ihm nur ein: „Ach ja, ist das so?“Und fragt man ihn nach seinen Anfängen im Wintersport, erklärt er nüchtern: „In Nesselwang spielt man im Sommer Fußball und im Winter fährt man Ski.“Der Übergang vom Alpinsport zum Biathlon sei fließend gewesen. Er habe beides damals parallel gemacht, wie das eben so sei in den Skiclubs. Mit 16/17 Jahren sei das Ziel Biathlon konkreter geworden. Weil es damals noch die Wehrpflicht gab, war für ihn klar, zur Sportfördergruppe der Bundeswehr zu gehen. Am Ende der Saison 2000/01 wird er erstmals im Biathlonweltcup eingesetzt. Seinen ersten Podestplatz erreicht er 2002 in Ruhpolding. Er wird im Sprint Zweiter hinter dem Franzosen Raphael Poirée.
Für die kommenden zehn Jahre gehörte Greis zum festen Weltcupkader. Bei den Olympischen Spielen 2002 erreichte er die Plätze 15 und 16. Greis steigert sich von Jahr zu Jahr. 2004 gab es Gold bei der Weltmeisterschaft in Oberhof in der Staffel mit Frank Luck, Ricco Groß und Sven Fischer. 2005 gewinnt er sein erstes Weltcuprennen in San Sicario (Italien). Er siegt im Einzel mit einer fehlerfreien Schießleistung. Diese Saison beendete Greis als Neunter der Gesamtwertung – zum ersten Mal war er damit unter den besten zehn Athleten einer Saison.
Dann kam das Olympiajahr 2006. „Olympia ist schon etwas Besonderes. Allein die Planung im Vierjahresrhythmus. Da muss schon alles passen. Dazu der historische Stellenwert und die Größe der Veranstaltung mit dem internationalen medialen Interesse. 2006 hat bei mir alles funktioniert.“Greis gewinnt in Turin im Einzel, im Massenstart und in der Staffel dreimal Gold. „Wenn man einem Amerikaner erzählt, dass man Olympiateilnehmer war, dann ist man für ihn schon etwas ganz Großes“, meint Greis.
Es folgen unter anderem noch die Olympischen Spiele in Vancouver 2010, bei denen Greis allerdings keine Medaille holte, aber dreimal bester deutscher Biathlet war. Bis 2012 kommen unter anderem noch zwei Goldmedaillen, zwei Silbermedaillen und fünf Bronzemedaillen bei Weltmeisterschaften oben drauf.
Heute lebt Greis in München und ist seit zehn Jahren mit seiner Freundin Alexandra liiert. „Ich bin und bleibe aber Allgäuer, das hört man schon an meinem Dialekt.“München sei momentan allerdings ein guter Standort für Reisen, die als Trainer zwangsläufig seien, erklärt Greis, der auch als Experte bei Eurosport im Einsatz ist. Obwohl er sein Studium des internationalen Managements abgeschlossen hat, wurde es also doch eine Trainerkarriere, die mit dem Schweizer Team ihre Anfänge nahm und über die USA zu Polens Biathletinnen führte.