Der Seidendrache schließt nach 33 Jahren
Wie es Elisabeth Drache geschafft hat, mit ihrem kleinen Laden so lange auf der Insel zu bestehen
- Auf der Insel kommen und gehen Läden. Nur wenige halten so lange durch wie der Seidendrache. Wie es Elisabeth Drache geschafft hat, mit Seidenmalerei fast 33 Jahre auf der Insel zu bestehen.
Die hohe Zeit der Seidenmalerei ist vorbei. Bis vor zehn, 15 Jahren, da wollte jeder so ein kunstvoll bemaltes Seidentuch haben oder sich selbst einmal in der Kunst versuchen. Inzwischen ist der Liebhaberkreis kleiner geworden. Doch Elisabeth Drache ist keine Frau, die Trends hinterherjagt. Sie ist ihren bunten Tüchern treu geblieben. Und viele ihrer Kunden sind ihr treu geblieben – auch als sie ihre Öffnungszeiten reduziert hat.
Die Künstlerin Herta Engler steckte Elisabeth Drache mit ihrer Begeisterung für die Seidenmalerei an. Lindau war damals ein blinder Fleck, was dieses Kunsthandwerk anging. „Da musste man bis München fahren, um die Seide und das passende Zubehör zu kaufen“, erinnert sich die heute 70-Jährige. Und so kam den beiden Frauen die Idee, einen eigenen Laden aufzumachen – zu einer Zeit, in der das Leben von Elisabeth Drache im Umbruch war.
Nach der Trennung von ihrem Mann und einer langen Zeit als Hausfrau und Mutter zweier Mädchen (sechs und 16 Jahre), musste sie wieder beruflich Fuß fassen. Als gelernte Apothekenhelferin mit kaufmännischer Ausbildung hätte sie auf Nummer sicher gehen können. Doch sie entschied sich 1988 für den Sprung ins kalte Wasser, die Selbständigkeit. Ein mutiger Schritt? Drache wiegelt ab. „Das war nicht so dramatisch“, sagt sie. Die Investitionen seien überschaubar, die Verantwortung auf zwei Frauenschultern verteilt gewesen: Engler war die Künstlerin, sie die Kauffrau.
Der Seidendrache eröffnete am 15. Februar 1988 zunächst am Schrannenplatz,
1994 zog er in die Fischergasse: 25 Quadratmeter, ein Verkaufsraum und ein Mini-Hinterzimmer sind von nun an das Reich der beiden Frauen. „Dass wir den Laden bekommen haben, war ein großes Glück“, sagt Drache, die sich dafür kräftig abgestrampelt hat: Als sie von dem Angebot erfahren hatten, musste alles ganz schnell gehen. Es war der letzte Tag, um den alten Laden fristgerecht kündigen zu können. Also radelte Elisabeth Drache los, um das Kündigungsschreiben persönlich einzuwerfen. Doch als sie ankommt, ist der Fahrradkorb leer, der Brief war bei der rasanten Fahrt herausgeflogen. „Ich bin dann wieder zurück gefahren und habe den Brief gesucht“, erinnert sie sich lachend. Damals war ihr weniger zum Lachen zumute: Drei Monatsmieten für zwei Läden, das hätten sie sich nicht leisten können.
Mit den Jahren wächst ihr Angebot: Neben liebevoll handbemalten Seidentüchern und -schals sowie Seidenmalzubehör warteten auch Ketten aus gefädelten Schmucksteinen, Kleidung aus unbehandelten Naturtextilien und Kunstpostkarten auf Liebhaber. Als ihre Geschäftspartnerin Herta Engler 2002 in Rente geht, führt Elisabeth Drache den Seidendrachen allein weiter – und bemalt nun auch die Tücher.
Der Seidendrache ist mehr als ein Laden, er wird über die Jahre hinweg auch ein kleiner Treffpunkt. Ein Ort, wo aus Kunden Freunde wurden. „Viele kamen einfach vorbei und saßen dann eine Stunde bei mir im Laden, um mir etwas zu erzählen oder ihr Herz auszuschütten“, sagt Drache. Einen besonders guten Draht hatte sie auch immer zu den Psychotherapeuten, die zur Tagung nach Lindau kamen. „Das waren schöne Begegnungen über die Jahre hinweg.“Manche hätten bestimmt schon zwölf Tücher von ihr im Schrank, sagt die Geschäftsfrau lachend. Zu einigen von
Elisabeth Drache ihnen hat sie noch heute Kontakt. Ob Lindauer oder Gäste: Über ihre Kunden lässt Elisabeth Drache nichts kommen. Die Begegnungen seien „immer schön und bereichernd“gewesen. Und vertrauensvoll: Wer nicht bar zahlen kann, der kriegt die Ware eben auf Rechnung mit. Denn ein Kartenlesegerät hat Drache nicht. Das Vertrauen habe sich ausgezahlt. „Ich bin nur zweimal auf dem Betrag sitzen geblieben.“
Der kleine Laden erlebte bessere und schlechtere Jahre, doch er hat sich 33 Jahre lang gehalten. Wie gelingt das? „Mit Genügsamkeit“, sagt die 70-Jährige. „Wir haben uns immer mit sehr wenig begnügt, sonst wäre es nicht gegangen.“Wer glaube, mit einem Laden reich werden zu können, der werde vermutlich enttäuscht. Außerdem hatte sie mit ihren Vermietern, zu denen sie ein „familiäres Verhältnis“habe, großes
Glück. Sie seien ihnen immer großzügig entgegengekommen.
Wenn sie ihre Tücher zeigt, strahlt Elisabeth Drache. „Als ich das fertig hatte, da habe ich gedacht, Dich liebe ich“, sagt sie und spricht dabei fast mehr zu dem roten Tuch als zu ihrem Gegenüber. Das gilt auch für den braun-cremefarbenen Seidenschal, von dem sie sich eigentlich gar nicht trennen will. Für sie sei es immer spannend gewesen zu sehen, was Seide und Farbe miteinander machen. Diese „Wahnsinnsfreude“habe sie auch nach 33 Jahren nicht verloren. Auch wenn ihre Tücher „nicht mehr so künstlerisch“seien wie die ihrer ehemaligen Geschäftspartnerin: „Sie sind einmalig.“Und es steckt viel Herzblut und Zeit in den ausgefallenen Schals. „Es ärgert mich, wenn Leute denken, das fetze man so hin.“Elisabeth Drache war mit Überzeugung Insel-Geschäftsfrau.
Wenn sie die Zeit zurückdrehen und wieder ein Geschäft aufmachen könnte, dann „nur auf der Insel“, wo es nicht nur große Ketten gebe, sondern alles noch etwas individueller sei. „Mein Geschäft hing auch nie von fehlenden Parkplätzen ab.“
Jetzt klebt das rote Banner „Räumungsverkauf “auf ihrem Schaufenster: Alles muss raus. Corona hat der 70-Jährigen den Abschied etwas leichter gemacht. Aber wenn sie daran denkt, dass ihr Lebenswerk bald Geschichte ist, werde es ihr schon „schwer ums Herz“. Was ihr leid tut: Dass sie sich von einigen treuen Kunden wie den Psychos nicht verabschieden konnte. Langweilig wird es Elisabeth Drache auch in Zukunft nicht werden. Sie will lesen, ihre Enkelkinder besuchen – „und hin und wieder ein Tuch malen“. Ganz ohne Druck.
„Dass wir den Laden bekommen haben, war ein großes Glück.“