„Es wird düster auf dem Lindauer Arbeitsmarkt“
Nicht nur Hoga-Betriebe entlassen verstärkt – Kurzarbeit steigt – Firmen melden so gut wie keine neuen Stellen
- Eine Kurzarbeiterquote, die deutlich über jener in der Region liegt, im Gegensatz zum Deutschland-Trend steigende Arbeitslosenzahlen, wenig freie Stellen: „Es wird düster auf dem Lindauer Arbeitsmarkt.“Selten fällt die Analyse von Susanne Müller-Koberstein zum Arbeitsmarkt im Landkreis Lindau so ernüchternd aus. Die Leiterin der Lindauer Arbeitsagentur blickt auf mittlerweile fast 1500 Erwerbslose, was einen Anstieg der Arbeitslosenquote auf 3,3 Prozent bedeutet. Und es sind nicht nur Hotels und Gaststätten, denen die Corona-Pandemie zusetzt. Auch der Handel beginnt zu entlassen. „Die kleinen Geschäfte werden sterben“, befürchtet Müller-Koberstein.
Die Lindauer Agenturleiterin und ihr Kollege Erich Grenzstein vom Arbeitgeberservice haben dieses Mal zum Gespräch über die Monatsbilanz viele Zahlen mitgebracht. Wieso allerdings die Kurzarbeit im Kreis Lindau so viel höher ausfällt als im sonstigen Arbeitsagenturbezirk Kempten-Memmingen, können die beiden damit auch nicht erklären. Tatsache ist: Ende Juni (detaillierte aktuellere Zahlen gibt es noch nicht) waren noch immer über 7000 Beschäftigte im Kreis Lindau von Kurzarbeit betroffen – rechnerisch gut jeder fünfte Arbeitnehmer. Allgäuweit hingegen lag die Kurzarbeitquote damals nur noch bei knapp zwölf Prozent.
Für November haben 109 Betriebe Kurzarbeit neu angemeldet. Das sind vor allem Hotels und Gaststätten, die mit dem zweiten Lockdown Anfang November wieder schließen mussten. Dass die Kurzarbeit bei ihnen nicht durchlaufen kann, liege an den Vorschriften: „Wenn die Kurzarbeit in den Sommermonaten länger als drei Monate unterbrochen war, muss der Antrag neu gestellt werden“, erklärt Grenzstein. Das betreffe vor allem die Tourismusbranche, die zwischen Juni und Oktober gut zu tun gehabt habe.
Kurzarbeit gebe es aber nicht nur im Hoga-Bereich, fügt Müller-Koberstein an: „Das geht querbeet, davon sind fast alle betroffen.“Im Mai beispielsweise waren es fast 8700 Beschäftigte im Kreis Lindau, die bedingt
Agenturleiterin Susanne Müller-Koberstein durch Kurzarbeit in unterschiedlicher Höhe weniger Nettogehalt nach Hause brachten. Die Agenturmitarbeiter hoffen, dass dieser bisherige Höchststand im Winter jetzt nicht noch einmal erreicht wird.
Doch die Zeichen stehen schlecht. Grenzstein weiß aus vielen Gesprächen, dass die finanziellen Reserven der Betriebe und kleinen Unternehmer aufgebraucht sind. „Im Frühjahr haben die Hoga-Betriebe ihre Mitarbeiter in Kurzarbeit geschickt in der Hoffnung, dass der Spuk bald vorbeigeht“, berichtet Grenzstein. Und weil sie ihre ohnehin raren Fachkräfte nicht verlieren wollten. Doch jetzt müssen immer mehr Betriebe auch Kündigungen aussprechen: „Die haben kein Geld, keine Rücklagen mehr, müssen aber oft hohe Pachten zahlen – da bleibt für Gehälter nichts übrig.“So lasse sich auch erklären, dass sich in den vergangenen vier Wochen 120 Kräfte aus dem Hoga-Bereich arbeitslos gemeldet haben. Vor einem Jahr waren es gerade mal 28 – weil die Lindauer Hafenweihnacht viele Gäste anzog.
Mit gemischten Gefühlen blickt Müller-Koberstein auf die mittlerweile hohe Zahl an Insolvenzen in Nordschwaben: „Noch sind es im Kreis Lindau nur wenige“, hat sie sich informiert. „Doch im Frühjahr sind wir da auch dabei“, befürchtet die Agenturleiterin.
Dann werde manches Lokal nicht mehr öffnen. Immerhin nutze der ein oder andere Betrieb aktuell die Chance, sein Personal über die Agentur weiterbilden zu lassen. Ein neuer Gastro-Kurs ist mit 18 Teilnehmern voll besetzt. Man habe einen großen Raum dafür organisiert, betont Grenzstein mit Blick auf Abstandsvorschriften. Gelernt und Wissen vermittelt werde aber vor allem digital übers Internet.
Es ist jedoch nicht nur der HogaBereich, der den Agentur-Verantwortlichen Kopfschmerzen bereitet: „Der Handel kämpft ebenfalls“, sagt Grenzstein: „Der zweite Lockdown wird für viele tödlich.“Müller-Koberstein unterstreicht das: „Wir werden wieder essen gehen, wenn die Pandemie einigermaßen im Griff ist. Aber die Menschen werden nicht mehr in die kleinen Geschäfte gehen – weil sie sich dann ans Online-Shoppen gewöhnt haben, und wenn es nur ein Küchenmesser ist.“Deswegen sieht die Agenturleiterin die Zukunft des Handels düster: „Die kleinen Geschäfte werden sterben.“
Erich Grenzstein geht zum Jahresende in Rente. Seine Chefin MüllerKoberstein hingegen wird die deutlichen Spuren der Corona-Pandemie auf dem Lindauer Arbeitsmarkt kritisch beobachten. Die Aussichten? Die sonst so optimistische Agenturchefin gibt es äußerst zurückhaltend: „Eher düster.“Die Eins vor dem Komma der Arbeitslosenquote, die sie noch vor gut einem Jahr für Lindau angepeilt hat, die ist gedanklich passé. Grenzstein ist sicher: „Das wird mindestens fünf Jahre dauern, bis der Lindauer Arbeitsmarkt sich erholt hat, die Zahlen vom Spätsommer 2019 wieder erreicht sind.“
„Die kleinen Geschäfte werden sterben.“
„Das wird mindestens fünf Jahre dauern, bis der Lindauer Arbeitsmarkt sich erholt hat.“
Erich Grenzstein vom Arbeitgeberservice der Agentur
Mit seinen 3,3 Prozent Arbeitslosenquote liegt Lindau Ende November im unteren Bereich der Arbeitsagenturen im Bezirk Kempten-Memmingen. Die Zahlen im Einzelnen:
Okt 2020 Nov 2020 Marktoberdorf 2,7 % 2,6 % Mindelheim 2,6 % 2,6 % Memmingen 3,0 % 2,9 % Kempten 3,2 % 3,1 % Kaufbeuren 3,4 % 3,2 % Lindau 3,2 % 3,3 % Sonthofen 2,7 % 3,6 % Füssen 3,3 % 3,7 %
Allgäu gesamt
3,0 %
3,1 %