Ein Stück Wiener Hofreitschule im Allgäu
Ein ausgebildeter Hengst der Spanischen Hofreitschule dreht jetzt Pirouetten in Oberreute
- Im Showpferdestall von Elmar Kretz steht eine echte Seltenheit: ein Lipizzaner-Hengst direkt aus der Spanischen Hofreitschule in Wien. „So ein Pferd kann man normal nicht kaufen“, sagt der Pferdetrainer und Direktor des Ravensburger Weihnachtscircus Elmar Kretz beim Stallrundgang in Oberreute. Bei diesem Satz streicht er dem Schimmel mit den klugen, dunklen Augen aufwärts über den Nasenrücken den Schopf aus dem Gesicht. „Einmal aus der Zucht ausgewählt und in Ausbildung, bleiben die Pferde eigentlich bis zum Ende ihrer Karriere in Wien“– in der über 450 Jahre alten Traditionsausbildungsstätte.
Trotzdem dreht der mächtige Schimmel jetzt mitten im Allgäu seine Galopp-Pirouetten – und das mit der erst zwölfjährigen Kretz Tochter Milena im Sattel. Bisher war „Siglavy Biserka“nur unter Profi-Bereitern zwischen anderen schneeweißen Hengsten in den edelsten Reitarenen Europas unterwegs. Er war eins der Pferde in der weltberühmten Quadrille, die sich zu Wiener Orchestermelodien wie Perlen aufgereiht in vollendeter Versammlung präsentieren.
Wie kommt so ein Pferd in den Allgäuer Showpferdestall? „Biserka hatte ein Problem. Der Hengst kam mit den hohen Anforderungen in Wien nicht zurecht“, sagt Elmar Kretz, der sich auf Freiheitsdressuren und klassisch gerittene Dressurpferde spezialisiert hat. Seit acht Monaten kümmert er sich um das Tier. Der Pferdetrainer hat „einen guten Draht“zu den Bereitern der Hofreitschule. „Man kennt sich und weiß, wie man arbeitet.“Die Fachleute glaubten das problematische Pferd bei Kretz in guten Händen – und verkauften dem Allgäuer den Lipizzaner, der ihn nun behutsam weiter ausbildet und fördert.
„Wir hatten riesiges Glück“, sagt Elmar Kretz heute. Seine Arbeit zahlt sich aus: In den ersten Tagen baute der Pferdetrainer zu dem „schwierig gewordenen“Hengst das Vertrauen auf. „Schon nach wenigen Wochen bemerkten wir in der täglichen Stallund Trainingsarbeit, dass vor allem Milena gut mit ihm zurechtkommt.“Die Schülerin des Gymnasiums in Isny schwang sich in den Sattel – viele Lektionen klappten sofort tadellos.
Als Beweis zeigt Milena einer kleinen Gruppe interessierter Fachund Lokaljournalisten in der Trainingshalle
eine der schwierigsten Lektionen der klassischen Dressur: die Passage. Was aussieht wie Trab in Zeitlupe mit verzögerten Schwebetritten gehört zur sogenannten hohen Schule. Hier ist maximale Versammlung gefragt – genau wie bei der Galopp-Pirouette.
Bei der wird Biserka dann kurz pampig: Hoppelnd bockt der Hengst durch den Hallensand. Milena bleibt sicher im Sattel und beruhigt das Tier mit ihrer Stimme und Geduld.
Als er steht streicht sie über den imposanten Hals – und beginnt die Lektion einfach vorne. „Ganz in Ruhe“, sagt Vater Elmar Kretz. Milena folgt – auch Biserka ist jetzt anständig.
Angst? „Nein, hab ich eigentlich nie“, sagt die junge Reiterin. Zum Beweis rutscht sie elegant vom Pferd, schnallt Sattel und Trense ab und setzt sich ohne Kontakt zum Pferdemaul wieder auf Biserkas Rücken. Erst im Schritt, dann im Trab schwebt sie mit dem Pferd in Kringeln durch die Halle. Einmal schüttelt der Hengst aufmüpfig die Mähne und wölbt seinen Hals. Ein „Hohoooo“von Milena reicht und Biserka trabt gelassen weiter.
Geschmeidig gleicht das Mädchen die Bewegungen des Hengstes aus. „Die zwei haben unheimlich Spaß aneinander“, kommentiert der Vater das harmonische Paar. „Er lernt von ihr und sie von ihm.“Das schwierigste daran sei, sich sanft aber konsequent durchzusetzen: „Manchmal ist er echt faul“, nennt Milena Biserkas größte Schwäche. „Aber das kriegen wir schon noch hin.“
Ihr Ziel ist klar: Sie will mit dem weißen Hengst an Ostern im Wintercircus in Ravensburg auftreten. „Mit weniger Plätzen und einem umfangreichen Sicherheitskonzept – aber genauso hochwertig wie sonst eigentlich zu Weihnachten“, verspricht Vater Elmar Kretz. Ob sie das schaffen? „Das klappt schon“, sagt der Zirkusdirektor und klopft dem Schimmelhengst zuversichtlich an den Hals. „Auch wenn die Zeiten für Veranstalter nicht einfach sind – wir machen weiter. Wir proben unser Programm.“
Tickets für den Wintercircus in Ravensburg vom 27. März bis 11. April gibt es unter www.wintercircus.de sowie an allen regional bekannten Vorverkaufsstellen von Reservix und bei der Schwäbischen Zeitung.