Die EU muss standhaft bleiben
Europa wollte Großbritannien nicht verlieren, es ist der ureigenste Wunsch des Vereinigten Königreichs, die Union zu verlassen – und er ist zu respektieren. Egal wie groß der Ärger, das Unverständnis über das Agieren in London auch sein mag, es liegt auch im Interesse der Europäischen Union, dass es zu einem Abkommen kommt und der No-Deal-Brexit verhindert wird. Allerdings nicht zu jeder Bedingung.
Die EU ist der größte gemeinsame Markt der Welt. Brüssel hat den Briten freien Warenhandel in diesem einzigartigen Wirtschaftsraum ohne Zölle und Mengenbeschränkungen angeboten – und fordert im Gegenzug, dass London die Einhaltung der gleichen Umwelt- und Sozialstandards sicherstellt und Subventionen nach den Regeln vergibt, die auch in der Europäischen Union gelten. Das ist mehr als ein faires Angebot.
Wenn Premier Boris Johnson auf diese Bedingungen nicht eingehen will, weil er die Souveränität Großbritanniens gefährdet sieht, dann ist das sein gutes Recht – doch er kann und darf nicht erwarten, dass er den angestrebten freien Zugang zum Binnenmarkt für die Unternehmen des Königreichs trotzdem erhält. Wer die Vorteile einer Gemeinschaft genießen will, muss die Regeln der Gemeinschaft akzeptieren.
Die EU muss an dieser Stelle standhaft bleiben, denn ein gemeinsamer Markt kann nur funktionieren, wenn die Regeln für alle Teilnehmer in der gleichen Weise gelten. Wenn die Union ihre Position aufweichen würde, wäre das im Hinblick auf die anstehenden wirtschafts- und handelspolitischen Auseinandersetzungen zudem ein fatales Zeichen: Schließlich muss die EU im Konflikt mit den USA um die Zähmung der großen Tech-Konzerne genauso Stärke beweisen wie im Wettstreit mit dem Staatskapitalismus Chinas.
Und dass die EU in den Verhandlungen mit London auf Vorkehrungen beharrt, mit denen sich ausgehandelte Bedingungen durchsetzen lassen, hat sich Boris Johnson zuletzt selbst zuzuschreiben. Schließlich war er es, der mit dem umstrittenen Binnenmarktgesetz bereits getroffene Absprachen aushebeln wollte.