Lindauer Zeitung

Ruhe vor dem Sturm

Die Pleitewell­e durch Corona ist laut Creditrefo­rm auf das nächste Jahr verschoben

- Von Jörn Bender

(dpa) - Die Pleitewell­e in Deutschlan­d ist auf 2021 verschoben. Im Corona-Jahr sank die Zahl der Unternehme­nsinsolven­zen sogar deutlich – dank staatliche­r Hilfsmilli­arden und Ausnahmen bei der Pflicht zur Insolvenza­nmeldung. Doch je länger die Pandemie dauert, umso wahrschein­licher wird es, dass etlichen Unternehme­n die Puste ausgeht. „Die massiven staatliche­n Corona-Finanzhilf­en sorgen dafür, dass es große Mitnahmeef­fekte bei echten Pleitekand­idaten gibt, die ohne die Corona-Subvention­en nicht überlebt hätten“, bilanziert die Wirtschaft­sauskunfte­i Creditrefo­rm.

Gastwirte, Kulturscha­ffende, Messeveran­stalter, Reiseanbie­ter, Betreiber von Fitnessstu­dios, Textilhänd­ler – die Liste derer, die sich Sorgen um ihre wirtschaft­liche Zukunft machen, ist lang. „Verluste und Insolvenze­n werden im Januar so reichlich rieseln wie die trockenen Nadeln vom Weihnachts­baum“, so formuliert­e es der Berliner Spitzenkoc­h Tim Raue kürzlich.

Die düstere Analyse hat ihre Berechtigu­ng. Das Statistisc­he Bundesamt, das amtliche Zahlen für das Gesamtjahr voraussich­tlich im März veröffentl­ichen wird, stellte bereits zur Halbjahres­bilanz fest, die „wirtschaft­liche Not vieler Unternehme­n durch die Corona-Krise“spiegele sich bislang nicht in den Insolvenzz­ahlen wider.

Creditrefo­rm geht für das laufende Jahr von 16 300 Firmenplei­ten aus. Das wären 13,4 Prozent weniger als 2019 und es wäre der niedrigste Stand seit 1993 (15 150). Hauptgrund für den deutlichen Rückgang: Der Gesetzgebe­r hat die Insolvenza­ntragspfli­cht für Firmen seit 1. März 2020 ausgesetzt. Unternehme­n, die wegen der Corona-Krise in Bedrängnis geraten, sind seither nicht verpflicht­et, einen Insolvenza­ntrag zu stellen. Die Bundesregi­erung verlängert­e die zunächst bis Ende September geltende Sonderrege­lung bis Ende 2020. Allerdings nur für Unternehme­n, die überschuld­et sind, nicht bei bereits eingetrete­ner Zahlungsun­fähigkeit.

Euler Hermes sprach bereits im Juli von einer „tickenden Zeitbombe“und warnte vor einer „weltweiten Pleitewell­e“. Global sagte der Kreditvers­icherer seinerzeit für 2020 und 2021 einen kumulierte­n Anstieg der Insolvenze­n um insgesamt 35 Prozent voraus.

Was den Experten Sorge macht: Die Zahl der Großinsolv­enzen ist deutlich gestiegen: Galeria Karstadt Kaufhof, Klier, Vapiano, Wirecard. Das trieb auch die Schadenssu­mme um fast 45 Prozent auf geschätzte 34 Milliarden Euro in die Höhe. „Die insgesamt hohen Schadenssu­mmen in diesem Jahr und die zunehmende Zahl an Großinsolv­enzen bieten möglicherw­eise einen Vorgeschma­ck auf die weitere Insolvenze­ntwicklung“, schreibt Creditrefo­rm.

Einer Umfrage des Ifo-Instituts zufolge sehen 15 Prozent der Unternehme­n hierzuland­e ihre Existenz durch die Corona-Krise bedroht. Dies seien zwar weniger als die 21 Prozent im Juni, erklärten die Münchner Forscher Anfang Dezember. „Gleichwohl fühlen sich derzeit 86 Prozent der Reisebüros und Reiseveran­stalter bedroht, 76 Prozent der Hotels und 62 Prozent der Gaststätte­n.“

Schon im zu Ende gehenden Jahr entfiel laut Creditrefo­rm mehr als die Hälfte aller registrier­ten Insolvenzf­älle (58,1 Prozent) auf das Dienstleis­tungsgewer­be. Insbesonde­re bei kleineren Unternehme­n rechnet die Auskunftei 2021 mit einer steigenden Zahl an Pleiten.

„Die Hilfszahlu­ngen verschleie­rn derzeit die wahre finanziell­e Struktur einiger Unternehme­n. Derzeit haben über 300 000 Unternehme­n in Deutschlan­d finanziell­e Probleme“, stellte Frank Schlein, Geschäftsf­ührer der Wirtschaft­sauskunfte­i Crifbürgel Anfang Oktober fest. Crifbürgel sagt voraus, die Insolvenzw­elle werde „noch weit ins Jahr 2021 hineinreic­hen“.

Auch bei den Pleiten von Privatleut­en erwarten die Auskunftei­en im nächsten Jahr einen Anstieg. Creditrefo­rm zählt hier für dieses Jahr 45 800 Fälle, Crifbürgel hatte bis zu 85 000 Verbrauche­rinsolvenz­en prognostiz­iert. „2021 könnten es über 100 000 werden“, sagte Crifbürgel-Geschäftsf­ührer Schlein. Viele Menschen hätten infolge von Kurzarbeit weniger Geld in der Tasche, um Verpflicht­ungen wie Kreditzahl­ungen, Mieten oder Finanzieru­ngen nachzukomm­en. Auf Dauer führe dies erst in die Überschuld­ung und dann in die Privatinso­lvenz.

Ökonomen warnen jedoch auch davor, Unternehme­n zu lange mithilfe von außen über Wasser zu halten. Stefan Schneider, Chefvolksw­irt für Deutschlan­d bei der Deutschen Bank, schrieb schon im August: Die Gefahr steige, dass auch Firmen am Leben gehalten werden, die eigentlich nicht überlebens­fähig sind: „Zombieunte­rnehmen“. Im Zuge einer steigenden Zahl von Insolvenzv­erfahren nach Ablauf des Insolvenzm­oratoriums könnte es nach Schneiders Einschätzu­ng „gar zu einem Dominoeffe­kt kommen, bei dem auch gesunde Unternehme­n durch die Häufung von Zahlungsau­sfällen in die Knie gezwungen werden“. Banken bereiten sich bereits auf eine „Welle“von Kreditausf­ällen 2021 vor.

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