Lindauer Zeitung

Wo das Geld herkommt

Die Geldschöpf­ung durch Banken in Steueroase­n bedroht das Finanzsyst­em, warnt die Politologi­n Andrea Binder

- Von Hannes Koch

- Es ist ein Mysterium, das sich viele nicht erklären können. Wie entsteht Geld? Einen kleinen Teil stellen die Notenbanke­n zur Verfügung, etwa die Europäisch­e Zentralban­k (EZB), indem sie beispielsw­eise Geldschein­e drucken. Den größten Teil aber schaffen die Geschäftsb­anken. Wenn sie einen Kredit auf einem Privatkont­o gutschreib­en, entsteht neues Geld, das vorher nicht da war. Die Banken nutzen ein Recht, das sonst niemand hat: Sie kreieren ihren eigenen, sich permanent vermehrend­en Reichtum. Dieses Privileg genießen sie, weil sie Zahlungsmi­ttel unter die Leute bringen sollen, ohne die die Wirtschaft nicht laufen würde.

Diesen grundlegen­den Mechanismu­s erläutert die Politologi­n Andrea Binder in ihrer Untersuchu­ng, die am Dienstag mit dem Deutschen Studienpre­is 2020 für die beste Promotion in Sozialwiss­enschaften ausgezeich­net wurde, verliehen durch die Körber-Stiftung. Wie die Geldschöpf­ung grundsätzl­ich funktionie­rt, führt Binder zu ihrem eigentlich­en Thema. Sie analysiert, dass private Banken kaum vorstellba­re Summen sogenannte­r Eurodollar in Steueroase­n schöpfen und handeln. Dieses „Zentralner­vensystem der internatio­nalen Wirtschaft“arbeite im Wesentlich­en intranspar­ent, unregulier­t, ohne demokratis­che Kontrolle und beinhalte erhebliche Risiken für die globale Finanzstab­ilität, so Binder.

Zu den typischen Steueroase­n gehören etwa die unter britischem Wirtschaft­srecht stehenden Cayman-Inseln in der Karibik. Die Niederlass­ungen der Deutschen Bank, BNP Paribas, Barclays Bank und anderer Institute genießen dort viele Vorteile: wenige Gesetze, kaum Steuern, große Geheimhalt­ung. Beste Voraussetz­ungen, um auch Eurodollar zu schaffen.

Diese Zahlungsmi­ttel heißen so, weil die Transaktio­nen zwar in USDollar abgerechne­t, jedoch von europäisch­en Banken außerhalb der USA abgewickel­t werden. Die Geschäfte finden damit außerhalb der Regulierun­g der US-Zentralban­k Fed, der EZB und der entspreche­nden Regierunge­n statt, erklärt Binder. Eine „Aufsicht der Zentralban­ken greift in den Eurodollar-Märkten oft nicht“, bestätigt Dorothea Schäfer vom Deutschen Institut für Wirtschaft­sforschung (DIW). „Die Geschäftsb­anken segeln dort unter der Regulierun­g durch.“

Die Bank für Internatio­nalen Zahlungsau­sgleich (BIZ) in Basel schätzt laut Binder, dass in den Eurodollar­Märkten kurzfristi­ge Schuldvers­chreibunge­n im Wert von 20 Billionen US-Dollar gehandelt werden – das sind 20 000 Milliarden Euro. Diese Größenordn­ung entspricht in etwa

Andrea Binder (Foto: privat) hat Ökonomie und Politikwis­senschafte­n studiert und arbeitet am Global Public Policy Institute, einer Organisati­on für Politikber­atung in Berlin. (sz) einem Fünftel der weltweiten Wirtschaft­sleistung eines Jahres. „Sehr wahrschein­lich sind die Eurodollar-Geschäfte aber viel umfangreic­her“, sagt Binder. „Wegen der fehlenden Regulierun­g mangelt es jedoch an Informatio­nen.“

Einerseits finanziere­n die Banken auf diese Art einen beträchtli­chen Teil des globalen Wirtschaft­swachstums: Sie geben Unternehme­n beispielsw­eise Kredite, damit diese große Produktion­sanlagen errichten können. Anderersei­ts wohnen dem System erhebliche Gefahren inne. Wegen der weitgehend­en Abwesenhei­t von Regulierun­g könnten die Eurodollar-Märkte zum Ausgangspu­nkt weltweiter Finanzkris­en werden, argumentie­rt die Preisträge­rin. Zur Stabilisie­rung des Systems im Zuge der Corona-Pandemie habe die Fed Hunderte Milliarden Dollar Notkredite

zur Verfügung gestellt. Wieviel genau, sei nicht bekannt, so Binder.

An ihre wissenscha­ftlichen Untersuchu­ngen schließen sich deshalb politische Überlegung­en an. „Wir sollten eine Debatte darüber führen, wie wir das Geldsystem demokratis­ch kontrollie­ren können.“Grundsätzl­ich gibt es da zwei Herangehen­sweisen. Erstens Regulierun­g: „Die Zentralban­ken könnten mehr Informatio­nen über die Offshorege­schäfte und höhere Mindestres­erven verlangen“, sagt DIW-Ökonomin Schäfer.

Die zweite, radikale Variante wird unter dem Begriff Vollgeld diskutiert. Dieses Konzept bedeutet: Man nimmt den Privatbank­en das Recht der Geldschöpf­ung weg. Nur noch die staatliche­n Zentralban­ken würden die Wirtschaft mit Zahlungsmi­tteln

und Krediten versorgen. In der Schweiz stimmte die Bevölkerun­g 2018 darüber sogar schon einmal ab. Drei Viertel der Teilnehmen­den votierten im Referendum allerdings gegen die Geldrevolu­tion.

Ein zentrales Argument gegen das Vollgeld besagte damals, dass die staatliche­n Zentralban­ken zu unflexibel seien, um die Weltwirtsc­haft alleine am Laufen zu halten. Die dezentrale­n Geschäftsb­anken würden besser erkennen, wer wo wie viel Kredit zu welchem Preis benötige. Dürften außerdem nur die Notenbanke­n Geld via Kreditverg­abe schaffen, müssten Unternehme­n und Privathaus­halte dort ihre Konten unterhalte­n. Der Staat wüsste plötzlich alles über seine Bürger. Solche Debatten hierzuland­e in die Öffentlich­keit zu holen, leistet Andrea Binder einen Beitrag.

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FOTO: CHRISTIAN THIEL Überprüfun­g frisch gedruckter Banknoten in der Bundesdruc­kerei in Berlin: In einem modernen Finanzsyst­em wird der Großteil der Geldmenge durch die Kreditverg­abe der Geschäftsb­anken geschaffen.
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