Vorgezogenes Geburtstagsgeschenk
Fast 91-jährige Britin erhält erste Dosis gegen Covid-19 – Massenimpfungen starten
- Wenn man nur gegen Verlegenheit impfen könnte! Margaret Keenan weiß zunächst gar nicht recht, was sie auf die drängenden Reporterfragen antworten soll. Gerade, genau gesagt um 6.31 Uhr an diesem Dienstagmorgen, hat die knapp 91jährige Patientin der Uniklinik im mittelenglischen Coventry von Oberschwester May Parsons die erste Dosis des Wirkstoffs BNT162b2 erhalten und damit das britische Massen-Impfprogramm gegen SarsCoV-2 eingeläutet. Sie fühle sich wonderful, teilt die betagte Dame schließlich mit und freut sich über ihr „vorgezogenes Geburtstagsgeschenk“. Beifall des versammelten Krankenhauspersonals.
Die Szene wiederholt sich im Lauf des Tages hundertfach an mehr als 80 Krankenhäusern im gesamten Land. Erst vergangene Woche hatte die nationale Arzneimittelbehörde MHRA den Wirkstoff der Mainzer Firma Biontech sowie des US-Giganten Pfizer auf der Grundlage einer umfassenden klinischen Studie zur massenhaften Anwendung zugelassen. Grossbritannien ist damit das erste westliche Land, in dem ausgewählte Zielgruppen gegen Covid-19 geimpft werden.
Zunächst wurden aus der Fertigung in Belgien 800 000 Dosen importiert, bis Jahresende sollen bis zu fünf Millionen hinzukommen. In der ersten Welle erhalten Krankenhauspatienten über 80 Jahre sowie medizinisches Fachpersonal und Betreuerinnen in Alten- und Pflegeheimen den Schutz vor Covid-19. Drei Wochen nach der Erstimpfung wird eine zweite Dosis fällig.
Volle Immunität sei nach einem Monat zu erwarten, berichtete der wissenschaftliche Chefberater der Regierung, Patrick Vallance. Premierminister Boris Johnson dankte dem Nationalen Gesundheitssystem NHS sowie den beteiligten Wissenschaftlern, „die so hart gearbeitet haben“.
Mit den sorgfältig inszenierten TV-Bildern aus Coventry und anderen Nachrichten vom ersten Impfungstag stellt das NHS den Ruf der Briten als Marketing-Weltmeister unter Beweis. Nach der ersten Aufregung wurde Pionierin Keenan gleich noch eine wichtige Botschaft an die Bevölkerung los: Im ablaufenden Jahr sei sie viel allein gewesen, nun freue sie sich auf Kontakt mit Familie und Freunden im neuen Jahr. „Machen Sie’s genauso – was ich kann, können Sie auch!“
Übers Wochenende hatte bereits Queen Elizabeth II. (94) verlauten lassen, sie und Prinzgemahl Philip (99) würden sich alsbald am Programm beteiligen. Vom Einfluss der Monarchin erhofft sich die Regierung eine positive Wirkung auf die Impffreudigkeit der Bevölkerung. Anfang des Monats erklärten sich in einer Meinungsumfrage 20 Prozent der Briten zu Skeptikern; 68 Prozent wollten mitmachen, der Rest gab sich unentschlossen. Von Zwang könne keine Rede sein, hat Premier Johnson im Unterhaus beteuert. „Das ist nicht unsere Art.“
Lieber ein wenig geschickte Werbung. Als Zweiter nach Keenan bekam in Coventry ein Engländer seine Spritze, der den Namen des Nationaldichters William Shakespeare trägt. Fehlt nur noch ein Edward Jenner – am Oxforder Institut, das nach dem Pionier der Pockenschutzimpfung benannt ist, haben Wissenschaftler in Zusammenarbeit mit der anglo-schwedischen Firma AstraZeneca CHAdOx1 entwickelt. Dieser Wirkstoff gegen das Coronavirus liegt der MHRA zur Prüfung vor, eine Freigabe dürfte in den kommenden Tagen erfolgen.
In den Jubel über den gelungenen Start mischten sich warnende Töne. Professor Stephen Powis, der medizinische Direktor des NHS in England, sprach davon, die Situation gleiche „einem Marathon, keinem Sprint“. Unbedingt müsse die Bevölkerung auch weiterhin die bestehenden Einschränkungen einhalten, mahnte Gesundheitsminister Mat thew Hancock, freute sich aber über das „Licht am Ende des Tunnels“. In einem TV-Interview wurde der schwer gebeutelte Ressortchef von seinen Emotionen übermannt.
Wer die bisherige Bilanz des Landes beim Kampf gegen Sars-CoV-2 studiert, kann die Rührung des Ministers verstehen. Nur knapp vermied das NHS im Frühjahr einen Covid-Zusammenbruch. Das System öffentlicher Vorsorge war nach langen Jahren strenger Sparprogramme durch die seit zehn Jahren amtierende Tory-Regierung heruntergewirtschaftet, in den ersten Wochen gelang die Nachverfolgung Kontaktinfizierter kaum oder gar nicht. Seither
Wenige Tage vor der erwarteten Entscheidung über eine Notfallzulassung in den USA hat die US-Arzneimittelbehörde FDA dem Corona-Impfstoff des Mainzer Pharmaunternehmens Biontech und seines US-Partners Pfizer ein erstes gutes Zeugnis ausgestellt. Schon rund zehn Tage nach der ersten Dosis des Impfstoffes liege ein starker Schutz gegen die Krankheit Covid-19 vor, geht aus Dokumenten hervor, die die FDA am Dienstag veröffentlichte. Größere Sicherheitsbedenken gebe es keine. hat der Staat umgerechnet 13,2 Milliarden Euro in ein privatwirtschaftliches „track & trace“-System investiert, das dem wissenschaftlichen Regierungsbeirat Sage zufolge „marginale Auswirkung“auf den Verlauf der Pandemie erzielt.
Die Gesamtzahl der an den Folgen einer Corona-Infektion Verstorbenen liegt der Statistikbehörde ONS zufolge bei mehr als 75 000, die konservativere Zählung des Gesundheitsministeriums ergab bis Montag 61 434; im Durchschnitt der vergangenen Woche starben täglich 429 Covid-19-Patienten. Auf die Bevölkerung bezogen gab es europaweit nur in Belgien, Italien und Spanien mehr Tote zu beklagen.
„So sieht ein Zeugnis voll mit der Note 1+ für einen Impfstoff aus“, kommentierte Akiko Iwasaki, Immunologe an der Yale-Universität. Biontech und Pfizer hatten im November bei der FDA eine Notfallzulassung für ihren CoronaImpfstoff beantragt. Am Donnerstag will sich ein Berater-Komitee der FDA mit dem Impfstoff befassen, eine Entscheidung wird kurz danach erwartet. Auch die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) berät derzeit über eine Zulassungsempfehlung für den Impfstoff. (dpa)