Lindauer Zeitung

Keine Ornamente bitte!

Zum 150. Geburtstag von Adolf Loos – Der Architekt kämpfte gegen alles Überflüssi­ge

- Von Michael Heitmann Von 1889 bis 1893 studierte er an der Technische­n Universitä­t in Dresden, ohne jedoch einen Abschluss zu erlangen. Einschneid­end für ihn wurde eine Reise durch die Vereinigte­n Staaten, die er mit Gelegenhei­tsjobs finanziert­e. Besonder

(dpa) - Vor 150 Jahren wurde Adolf Loos im heute tschechisc­hen Brünn geboren. Der Wegbereite­r der modernen Architektu­r kämpfte gegen das Ornament und alles Überflüssi­ge. In Prag entwarf er neben der berühmten Villa Müller auch ein weniger bekanntes Kleinod. Die Villa Winternitz ist der letzte große Wurf des Architekte­n und seines Kollegen Karel Lhota. Der weiße Kubus, der an der Südseite stufenförm­ig angeschnit­ten ist, sticht noch heute aus seinem Umfeld im Prager Villenvoro­rt Malvazinky heraus. Das Haus wirkt modern, obwohl es mehr als acht Jahrzehnte alt ist.

An der Pforte zum Garten wartet der Fotograf und Kameramann David Cysar, der Urenkel des Villa-Erbauers Josef Winternitz. Über einen schmalen Pfad führt er den Besucher an die Seite des Hauses zu einem winzigen Haupteinga­ng. „Der Effekt ist dann umso größer“, verrät der Gastgeber. Und tatsächlic­h: Durch eine kleine Garderobe hindurch und eine schmale Treppe hinauf kommt man unvermitte­lt in einen weiten und hohen Saal mit großen Fenstern.

Mehr als 5000 Freunde der Architektu­r besuchen in Nicht-CoronaZeit­en jährlich die Villa. Loos hat dort mit seinem Partner Karel Lhota auf vorbildlic­he Weise seinen „Raumplan“umgesetzt. Der Baupionier hob die Geschossgr­enzen auf. „Jeder Raum hat eine andere Höhe“, erklärt Cysar. Vom vier Meter hohen Repräsenta­tionssaal geht es über mehrere Stufen auf eine gemütliche Empore. Eine Tür führt in eine kleine Bibliothek, in der die Decke noch einmal niedriger ist. „Das ist der ruhigste und persönlich­ste Raum im Haus“, sagt Cysar, der hier früher selbst sein Arbeitszim­mer hatte.

Cysars konnte sich nur wenige Jahre an seinem einzigarti­gen Heim erfreuen, das ihn fünfmal mehr als eine gewöhnlich­e Villa gekostet hatte. Der Rechtsanwa­lt jüdischer Herkunft wurde 1944 zusammen mit seinem Sohn Petr im deutschen Vernichtun­gslager Auschwitz ermordet. Seine Frau Jenny und Tochter Zuzana überlebten den Holocaust. Doch die Familie erhielt die Villa erst 1997 zurück.

Im Sozialismu­s wurde das Haus jahrzehnte­lang als Kindergart­en genutzt,

Urgroßvate­r jetzt ist es Museum und Veranstalt­ungsort. Cysar will an seine Familie erinnern: „Ihre Namen bleiben unvergesse­n, man spricht über sie. Den Menschen kann ihr Schicksal eine Lehre sein.“Zugleich soll die Villa zum Leben erweckt werden, mit Konzerten, Malkursen und Architektu­r-Vorträgen – aktuell nur unterbroch­en durch die Corona-Pandemie.

Die Krise überschatt­et auch das Adolf-LoosJahr 2020, das zahlreiche tschechisc­he Museen ausgerufen hatten. Derzeit sind die Kultureinr­ichtungen geschlosse­n. In Brünn (Brno) war im Sommer die Ausstellun­g „Der Europäer Adolf Loos“zu sehen, welche auch die Spuren des Architekte­n in seiner Geburtssta­dt nachzeichn­ete. Loos war dort am 10. Dezember 1870 als Sohn eines Steinmetze­n zur Welt gekommen. Sein einziges erhaltenes Werk in der mährischen Stadt ist der Marmorsaal im Bauer'schen Schloss auf dem Messegelän­de.

In seiner Jugend besuchte der umtriebige Loos verschiede­ne Schulen.

„Wir haben das Ornament überwunden, wir haben uns zur Ornamentlo­sigkeit durchgerun­gen.“

Adolf Loos in seiner Streitschr­ift „Ornament und Verbrechen“, 1913

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FOTOS: WIKICOMMON­S/MICHAEL HEITMANN/DPA Adolf Loos hat sein Architektu­rstudium nie abgeschlos­sen. Typisch für seine Entwürfe ist der „Raumplan“. Dazu gehörte auch, dass jeder Raum eine individuel­le Deckenhöhe hat.
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