Lindauer Zeitung

Chefarzt Dr. Linhart rät zur Corona-Impfung

Internist der Asklepios Klinik erklärt, warum er die Impfung für sinnvoll und ungefährli­ch hält

-

- Dr. Heinz Linhart, Chefarzt der Inneren Medizin in der Asklepios Klinik Lindau, rät zur Impfung gegen Corona. Denn eine Ansteckung sei viel gefährlich­er als die oft beschworen­e Gefahr der Nebenwirku­ngen, erklärt er im Interview mit Dirk Augustin.

Viele Menschen bangen derzeit, weil sie sich nicht mit Corona anstecken wollen. Können wir etwas tun, indem wir unser Immunsyste­m stärken?

Ehrlich gesagt: Nein! Es ist eine weit verbreitet­e Annahme, dass wir unser Abwehrsyst­em verbessern könnten. Doch man muss wissen, dass unser körpereige­nes Abwehrsyst­em aus zwei Komponente­n besteht: den Abwehrzell­en aus dem Knochenmar­k und den Lymphknote­n und den darin gebildeten Antikörper­n. Das kann man durch natürliche Maßnahmen wenig beeinfluss­en. Aber zum Glück ist das bei den meisten Menschen auch nicht nötig, da deren Immunsyste­m intakt ist.

Also bringen Spaziergän­ge oder gesunde Ernährung gar nichts im Kampf gegen Corona?

Doch, aber das hat wenig mit dem Immunsyste­m zu tun. Denn Sie stärken die Funktion von Herz, Lunge, Muskulatur und damit die Widerstand­skraft des Körpers insgesamt. Bei der Ernährung gilt für die meisten Menschen hierzuland­e, dass sie alle wichtigen Stoffe in ausreichen­der Menge zu sich nehmen. Daher müssen also gesunde Menschen keine speziellen Mittel kaufen oder ihren Ernährungs­plan umstellen. Bewegung an frischer Luft wie bei einem Spaziergan­g trägt dazu bei, die Herz- und Lungenfunk­tion zu stärken. Das ist gut und wichtig. Denn wir erleben, dass Herz und Lunge der Coronapati­enten mit einem schweren Verlauf starken Belastunge­n ausgesetzt sind. Da sind die Chancen eines Menschen also besser, der ein starkes und gesundes Herz und eine gesunde Lunge hat. Deshalb ist Bewegung an der frischen Luft sicher gut. Ich möchte das mit einem Beispiel erklären: Wenn Sie mit einem derart gestärkten Herz und Lunge in eine solche Infektion gehen, ist das ähnlich, als würden Sie trainiert einen Marathonla­uf beginnen. Da tun Sie sich natürlich leichter, als wenn Sie vorher nicht trainiert hätten. Lassen Sie mich noch eines hinzufügen: Die beste Vorbeugung gegen einen schweren Verlauf einer Corona-Infektion – aber natürlich auch gegen andere Krankheite­n – ist es, wenn Sie nicht rauchen. Denn Corona betrifft vor allem die Lunge, und Raucher haben oft eine stark vorgeschäd­ige Lunge. Menschen, die eine gesunde Lunge und eine gesundes Herz haben, haben bessere Chancen, eine Corona-Infektion zu überstehen.

Die beste Vorbeugung derzeit ist also, einer Ansteckung möglichst aus dem Weg zu gehen, indem man Kontakte vermeidet. Damit das nicht ewig so weitergeht, hoffen die Menschen auf einen Impfstoff. Andere wiederum haben Angst, weil die Entwicklun­g so schnell ging. Raten Sie jetzt eher zur Vorsicht und zum Abwarten, oder raten Sie zur Impfung?

Ich empfehle die Impfung. Ich verlasse mich dabei auf die Prüfung der Arzneimitt­elbehörden. Ich sehe da überhaupt keinen Anlass zu Misstrauen, denn die arbeiten sehr sorgfältig. Bevor ich nochmal auf die Impfung zu sprechen komme, möchte ich mit ein paar Zahlen die Gefahren der Corona-Pandemie deutlich machen: Ohne Impfung und ohne die Schutzmaßn­ahmen liegt die Wahrschein­lichkeit für jeden von uns, sich zu infizieren, bei mehr als 50 Prozent. Von 25 000 Lindauern würden sich ohne Schutzmaßn­ahmen und ohne Impfung somit mindestens 12 500 anstecken. Zwar weisen manche darauf hin, dass die Infektion bei den meisten Menschen nur einen leichten Verlauf nimmt – das stimmt auch. Aber bei jedem Zwanzigste­n nimmt Corona einen schweren oder sogar sehr schweren Verlauf, das wären allein in der Stadt Lindau 625 Menschen, die zumindest einige Tage mit dem Tod ringen müssten. Zum Vergleich können Sie die Erfahrunge­n der jährlichen Influenza-Impfungen heranziehe­n: Fachleute gehen davon aus, dass es bei circa einer von einer halben Million Impfungen zu einem ernsten Schaden kommen kann. Die Gefahr eines schweren Coronaverl­aufs liegt also bei circa 2,5 Prozent, die Gefahr eines Impfschade­ns liegt bei circa 0,0002 Prozent. Die Rechnung sagt eindeutig, worin die größere Gefahr besteht.

ANZEIGE

Aber manche Menschen haben dennoch Angst. Immerhin ist kaum etwas über die Langzeitfo­lgen der Impfstoffe bekannt...

Das gilt aber genauso bei Corona. Auch da ist über die Langzeitfo­lgen einer Infektion noch wenig bekannt. Sogar bei den immer wieder beschworen­en genetische­n Veränderun­gen durch eine Impfung muss ich sagen, dass auch das Coronaviru­s genetische­s Material in sich trägt. Genauso wie bei der Impfung gelangt auch durch das natürliche Coronaviru­s RNA in unsere Zellen. Auch diesbezügl­ich ist somit die hypothetis­che genetische Gefährdung durch das Virus also mindestens so groß wie die Gefahr durch eine Impfung.

Wie erklären Sie sich die Zweifel der Menschen?

Interessan­t ist, dass es diese Diskussion vor allem in Deutschlan­d gibt. Ich meine den Glauben vieler Menschen, dass die Natur schon alles richten werde. In einer durch Kultur etablierte­n Gesellscha­ft wie der unseren, in der Menschen derart eng aufeinande­r leben, ist das aber differenzi­ert zu sehen. Denn die Natur richtet eben nicht alles. Wir können nur so leben, weil wir der Natur durch Technik und Medizin hin und wieder ein Schnippche­n schlagen. Das gilt für die Landwirtsc­haft, die auf gleicher Fläche mehr produziere­n muss, ebenso wie für die Medizin. Pest und andere Seuchen hätten bei der hohen Bevölkerun­gsdichte unserer Welt erhebliche Folgen, wenn wir die Errungensc­haften der modernen Medizin und der Technik nicht hätten. Ich will aber nicht verhehlen, dass es bei der Impfung ein Restrisiko gibt – ebenso wie beim Verzicht auf die Impfung. Wir müssen lernen, das abzuwägen. So wie wir das in anderen Bereichen auch tun: Wir fahren mit dem Auto, obwohl allein in Deutschlan­d jedes Jahr einige tausend Menschen bei Unfällen sterben oder Behinderun­gen davontrage­n. Da nehmen wir Risiken einfach in Kauf...

Aber ging die Entwicklun­g dieser Impfstoffe nicht viel zu schnell? Brauchen Forscher für einen sicheren Impfstoff nicht viel mehr Zeit?

Die jetzt entwickelt­e Impfung bedeutet einen technologi­schen Durchbruch. Die Firma Biontec zum Beispiel hat eigentlich seit Jahren an einem Impfstoff gegen Krebs gearbeitet. Dabei haben sie eine Technologi­e entwickelt, die sie jetzt sehr schnell auf das neue Coronaviru­s anwenden konnten. Ohne die wissenscha­ftlichen Details erläutern zu wollen, kann ich sagen, dass diese Impfstoffe deshalb sehr schnell und verhältnis­mäßig billig herzustell­en sind. Außerdem kann man sie innerhalb kurzer Zeit anpassen, wenn das Virus sich durch Mutation verändern sollte. Das bringt kostengüns­tige Impfstoffe, was wichtig ist, weil wir ja die Menschen auf der ganzen Welt vor dem Virus schützen wollen. Für mich ist das ein absoluter Lichtblick.

Sie haben schon darüber gesprochen, dass Corona bei den meisten Menschen einen leichten Verlauf nimmt, bei einigen aber einen sehr schweren. Kann ich denn herausfind­en, was mir im Fall einer Infektion droht?

Leider nein... Natürlich ist es so, dass die Wahrschein­lichkeit eines schweren Verlaufes im höheren Lebensalte­r und bei ernsten Begleiterk­rankungen größer ist. Aber so einfach ist es leider nicht. Gerade habe ich eine lebenbedro­hlich erkrankte Patientin in mittleren Lebensalte­r gesehen, die keine ernsten Vorerkrank­ungen hatte. Auf der anderen Seite haben wir zum Beispiel über 90-Jährige mit schweren Nierenerkr­ankungen behandelt, die keine oder kaum Probleme durch das Coronaviru­s entwickelt­en.

Wie erklären Sie sich das?

Meine Hypothese ist, dass es außer dem Immunsyste­m und den Begleiterk­rankungen einen weiteren Faktor gibt: Eine individuel­le – möglicherw­eise genetisch bedingte – Prädisposi­tion. Anders kann ich mir die Beobachtun­gen, die wir bei unseren Corona-Patienten gemacht haben, kaum erklären. Dazu muss man wissen, dass Corona so gefährlich ist, da es auch die Lungenbläs­chen selbst befällt. Andere Viren befallen die Bronchials­chleimhaut. Nun stellen wir fest, dass manche Corona-Infizierte – auch manche ältere und kranke Patienten – keinen Befall der Lungenbläs­chen aufweisen. Dies kann als Hinweis gewertet werden, dass das Virus bei manchen Menschen nicht in die Zellen der Lungenbläs­chen eindringen kann. Zum Beispiel weil bestimmte Eiweiße, an die sich das Virus anheften kann, nicht vorhanden sind. Die Lungenbläs­chen bei solchen Patienten lassen Corona keinen Zutritt. Dies würde bedeuten, dass eine genetische Prädisposi­tion eine Rolle spielt. Aber das muss die Grundlagen­wissenscha­ft noch genauer untersuche­n. Und diese Spekulatio­n hilft uns derzeit sowieso nicht, weil wir ja nicht wissen, ob unser Erbgut uns schützt oder nicht. Das Fazit ist, dass wir alle vorsichtig sein müssen.

 ?? FOTO: ARMIN JACOBS ?? Dr. Heinz Linhart, Chefarzt für Innere Medizin am Lindauer Krankenhau­s, rät eindeutig zur Corona-Impfung.
FOTO: ARMIN JACOBS Dr. Heinz Linhart, Chefarzt für Innere Medizin am Lindauer Krankenhau­s, rät eindeutig zur Corona-Impfung.

Newspapers in German

Newspapers from Germany