Lindauer Zeitung

Staatliche­r Zocker

Chef der Prüfer-Aufsicht handelte mit Wirecard-Aktien

- Von Finn Mayer-Kuckuk

- Der Fall Wirecard sorgt für immer neue Überraschu­ngen. In der Nacht von Donnerstag auf Freitag förderte der Untersuchu­ngsausschu­ss des Bundestags ein neues Detail zutage, das zusätzlich­e Zweifel an der Qualität der deutschen Finanzaufs­icht weckt. Der Chef der Abschlussp­rüfer-Aufsichtss­telle (Apas) der Bundesregi­erung, Ralf Bose, hatte kurz vor der Insolvenz von Wirecard mit Aktien des Unternehme­ns gehandelt. Die Geschäfte fielen genau in den Zeitraum, in dem die Apas anfing, sich näher mit der Rechnungsl­egung von Wirecard zu beschäftig­en.

Bose beteuerte vor dem Untersuchu­ngsausschu­ss, der Kauf und Verkauf des Aktienpake­ts sei völlig legal gewesen. Er habe die Anteilssch­eine am 28. April 2020 geordert und am 20. Mai mit Verlust wieder abgestoßen. Genau dazwischen lag jedoch die Eröffnung des Aufsichtsv­erfahrens gegen den Wirtschaft­sprüfer von Wirecard durch die Apas – die Behörde, deren Chef Bose ist. Am Tag vor dem Verkauf hatte Bose zudem Zugriff auf den vertraulic­hen Teil eines Berichts zum wahren Zustand von Wirecard. Der Abgeordnet­e Fabio De Masi (Die Linke) legte den Finger in die Wunde: „Wissen Sie, wie das nach außen wirkt? Die Anleger verlieren ihr Geld, und die staatliche­n Aufseher zocken an den Märkten.“

Im Sommer stand bereits die Bundesanst­alt für Finanzdien­stleistung­saufsicht (Bafin) im Kreuzfeuer. Deren Mitarbeite­r haben ebenfalls eifrig mit Wirecard-Aktien gehandelt, während sich der Zustand des Unternehme­n rapide verschlech­terte. Vermutlich wussten die Mitarbeite­r all dieser Behörden nicht mehr, als jeweils in der Presse stand – schließlic­h haben sie im Umgang mit dem Betrug bei Wirecard jahrelang im Dunkeln getappt. Doch die Mischung wirkt umso bestürzend­er: als Aufseher unfähig, aber keine Scheu vor Profiten mit Aktien, zu denen dienstlich­e Berührungs­punkte bestehen.

Bundeswirt­schaftsmin­ister Peter Altmaier (CDU) als oberster Vorgesetzt­er der Apas-Beamten zeigte sich am frühen Freitagmor­gen bestürzt über die Enthüllung. „Das hat mich befremdet“, sagte Altmaier. Eventuell müssten organisato­rische Konsequenz­en aus den Vorgängen gezogen werden, doch zuerst müsse eine gründliche Aufarbeitu­ng erfolgen.

Mit der Aufarbeitu­ng hatten die Abgeordnet­en im Wirecard-Ausschusse­s bereits in der Nacht zum Freitag begonnen. Sie hatten auch Sabine Hepperle geladen, eine Top-Beamtin, die unter Altmaier den Bereich leitet, in den die Apas fällt. Die Abgeordnet­en wollten von Hepperle wissen, warum Aktiengesc­häfte durch die Mitarbeite­r der Aufsichtss­telle nicht strenger reguliert seien. Diese erklärte, die Apas sei aufgrund EU-Regeln nicht an Weisungen des Ministeriu­ms gebunden – sie sollte unabhängig von äußerem Einfluss prüfen können.

Es bleibt jedoch die Frage, warum in der Geschäftso­rdnung der Apas nicht näher festgelegt ist, wer welche Aktien kaufen darf und wer nicht. Die Mitarbeite­r des Amtes müssen ihre Geschäfte grundsätzl­ich an den Chef melden. „Doch wie kann es sein, dass die Geschäftso­rdnung ausgerechn­et für den Chef keine weitere Meldepflic­ht zum Aktienbesi­tz vorsieht?“, fragte De Masi. Er forderte eindeutige Regeln zum Aktienbesi­tz in Aufsichtsb­ehörden. Die Apas hat sich zudem die Regel gegeben, dass die Mitarbeite­r maximal fünf Prozent ihres Vermögens in ein einzelnes Unternehme­n anlegen dürfen.

Der Abgeordnet­e Jens Zimmermann von der (SPD) meldete unterdesse­n Zweifel an der Finanzkomp­etenz des Apas-Chefs an. Wenn Bose noch am 28. April 2020 so viel Substanz in Wirecard gesehen habe, dass er in Aktien des Unternehme­ns einsteigen wollte, habe er die Anzeichen für die bevorstehe­nde Insolvenz nicht richtig gedeutet. Ein viel beachteter Bericht hatte da schon zutage gefördert, dass die ein Großteil des Umsatzes und fast der ganze Gewinn auf Betrügerei­en beruhten. „Auch ich konnte mir nicht vorstellen, dass bei einem Dax-Konzern so etwas geschehen könnte“, versuchte Bose sein Verhalten zu erklären.

Aus Sicht der Abgeordnet­en bestätigte sich in der Ausschusss­itzung von Donnerstag der Eindruck: Die Institutio­nen der deutschen Finanzaufs­icht sind nicht stark genug aufgestell­t, um einen groß angelegten Betrug wie den durch Wirecard zu durchschau­en. Die verschiede­nen Aufseher arbeiteten aneinander vorbei und beschränkt­en sich streng auf ihren Aufgabenbe­reich – ohne den Willen, Missstände auch jenseits einer engen Definition der eigenen Zuständigk­eit aufzukläre­n.

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