Lindauer Zeitung

Schock, Traurigkei­t und Wut

Die Corona-Krise lässt den Finanzchef der HSG Konstanz alles andere als kalt

- Von Jochen Dedeleit

- Es ist egal, wann Frank Meisch in diesen Zeiten die Schänzleha­lle betritt. Die Tribünen sind verwaist – bei Spielen, Trainings oder auch, wenn der Schulsport die Spielstätt­e des Handball-Zweitligis­ten einnimmt. Der Finanzchef und Sportmanag­er der HSG Konstanz weiß nicht, ob die Wut oder die Trauer nach dem überwunden­en Schockzust­and überwiegt. Meisch weiß vor allem: „Wir bieten eine Dienstleis­tung an und weil niemand in die Halle darf, kann sie keiner angucken.“Hoffnung macht dem gebürtigen Konstanzer, dass die noch fünf Tage laufende Crowdfundi­ng-Aktion unter dem Motto „Gemeinsam zurück in die Schänzle-Hölle“bereits 50 000 Euro gebracht hat.

Meisch sagte bereits zu Beginn des zweiten Lockdowns: „Wir sind schockiert, dass trotz funktionie­render und allseits gelobter Hygieneund Betriebsko­nzepte, vorbildlic­hem Verhalten der Zuschauer sowie erwiesener Ungefährli­chkeit von Veranstalt­ungen mit einer 25prozenti­gen Besucherau­slastung solch willkürlic­he Entscheidu­ngen getroffen werden. Wie in etlichen anderen Branchen werden funktionie­rende Geschäftsm­odelle mutwillig zerstört und Arbeitsplä­tze vernichtet.“Bei den Spielern der HSG gebe es je nach Höhe des Einkommens einen gestaffelt­en Gehaltsver­zicht. Die übrigen Angestellt­en seien in Kurzarbeit.

„Hotel-, Kino- und Restaurant­besitzer, wir – alle haben mit viel Geld und Zeit Hygienekon­zepte auf die Beine gestellt. Diese wurden einfach zur Seite gewischt. All dies kommt einem Berufsverb­ot gleich, ohne wissenscha­ftliche Relevanz“, meint der 58-Jährige, der klarstellt: „Bilder wie im März aus Bergamo will niemand mehr sehen, die Gesundheit steht an oberster Stelle. Aber ich denke, wir haben bewiesen, dass unser Konzept funktionie­rt.“Die 2. Handball-Bundesliga war in der Vorsaison mit 35 Millionen Euro Umsatz laut der „Handballwo­che“unter den Top-Fünf-Ligen in Europa und bis zum Abbruch mit gut 400 000 Besuchern auf dem Weg zu einem Zuschauerr­ekord.

Zuschauer sind seit November nicht mehr da. Allerorten wird in erster Linie nicht über die Spiele geredet, sondern darüber, ob die Saison überhaupt zu Ende geführt werden kann. „Wir haben die Staatshilf­en beantragt, sie sind genehmigt und teilweise auch schon ausbezahlt“, sagt Meisch. „Ein Geisterspi­el kostet uns 10 000 Euro. Die Schiedsric­hter, das Hotel, natürlich ausschließ­lich Einzelzimm­er, der Bus, im Falle unseres letzten Auswärtssp­iels in Lübeck zwei Busfahrer, da wir 900 Kilometer zurücklege­n müssen.“Noch habe lediglich ein Fan seine Dauerkarte zurückgege­ben. „Ich möchte aber nicht wissen, was passiert, wenn die Geisterspi­ele nach den seltsamen Lockerunge­n über Weihnachte­n und Silvester im Januar, Februar eine Fortsetzun­g finden.“

Der Sportmanag­er fragt sich, ob Zuschauer wie Sponsoren dann noch immer gewillt sind, die HSG in gewohntem Maße zu unterstütz­en. Vor der Saison seien bereits Hotels, Gaststätte­n,

Reisebüros und die VHS abgesprung­en. „Und infrage kommende Regressfor­derungen sind in unserem Wirtschaft­splan im Gegensatz zu den jetzt eingegange­nen 50 000 Euro der Crowdfundi­ng-Aktion noch nicht erfasst.“Sehr wohl aber auch die 2500 Euro im Monat für die Testungen, die zwei Tage vor dem jeweiligen Spiel stattfinde­n. Bislang ist die HSG vom Virus verschont geblieben. Und dies in der größten Stadt am Bodensee, einer Studentenh­ochburg. „Unser Sportliche­r Leiter André Melchert hält des Öfteren eine Ansprache, in der er immer wieder appelliert, wirklich alles zu hinterfrag­en. Da hängt schließlic­h unser Job dran“, sagt der 24-jährige Linksaußen Samuel Wendel aus dem österreich­ischen Hard. An der Universitä­t muss sich der Student für Wirtschaft­srecht derzeit nicht blicken lassen, dort gibt es ausschließ­lich

Frank Meisch

Online-Vorlesunge­n. Wendel wie auch Meisch denken freilich mit Wehmut an die rund 1500 Fans der HSG in der Schänzleha­lle, die für den letztjähri­gen Tabellen-16. oftmals den achten Mann auf dem Feld darstellte­n.

Die nächsten Monate könnten bei der HSG Konstanz, die einen Etat von einer Million Euro aufweist, überbrückt werden. Laut Meisch sei aber keine nachhaltig­e Finanzieru­ng möglich. Diese müsse aber in den nächsten Lizenzantr­ag geschriebe­n werden, der bis 1. März gestellt werden muss. Wobei die Handball-Bundesliga aufgrund der derzeitige­n Situation Termine teilweise nach hinten verschoben hat. Viele Clubs haben die Corona-Hilfe, die den Zuschauera­usfall bis Ende 2020 kompensier­en soll und auf 800 000 Euro pro Verein gedeckelt sind, beantragt – inzwischen sind laut Bundesinne­nministeri­um über 55 Millionen Euro dafür bewilligt worden. Wenn der Bundestag das Programm auf 2021 ausdehnen würde, könnten Clubs zumindest ihre Ticketausf­älle weitestgeh­end ersetzen.

„Wir bieten eine Dienstleis­tung an und weil niemand in die Halle darf, kann sie keiner angucken.“

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FOTO: JOCHEN DEDELEIT Der Finanzchef des Handball-Zweitligis­ten HSG Konstanz, Frank Meisch, kann und will sich nicht an die leeren Ränge der Schänzleha­lle gewöhnen.

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