Notstand wegen Corona im Heim: Walter Dür hilft
Der Wasserburger berichtet von seinem ehrenamtlichen Einsatz im Lindauer Heilig-Geist-Hospital
- Der alte Herr läuft zielstrebig Richtung Garten. „Sie müssen in Ihr Zimmer gehen“, sagt Walter Dür. „Jawohl, das mache ich gern“, antwortet der Mann und lächelt freundlich. Eine Viertelstunde später trifft Dür den Senior wieder im verkehrten Flur an. Der alte Mann hat Demenz, ist positiv auf das Coronavirus getestet und ist Bewohner im Heilig-Geist-Hospital auf der Insel. Dass er sich in Quarantäne befindet und deshalb in seinem Zimmer im dritten Stock bleiben soll, das versteht er nicht. Deshalb wird Walter Dür ihn an diesem Tag noch öfter an Orten treffen, an denen er nicht sein soll. Ihn immer wieder aufs Zimmer zu schicken, ist eine der wichtigen Aufgaben, die Dür den Pflegerinnen und Pflegern des Heilig-Geist-Hospitals abnimmt.
Walter Dür hat sich zum ehrenamtlichen Dienst gemeldet, nachdem das Pflegeheim über den Bezirksverband vom Bayerischen Roten Kreuz einen Hilferuf an die Wasserwacht Wasserburg ausgesendet hatte. Dür ist dort aktives Mitglied und hat eine Ausbildung zum Rettungssanitäter absolviert. Weil in der Senioreneinrichtung die Zahl der Corona-Infizierten sowohl bei den Bewohnern als auch bei den Mitarbeitern explodiert ist, kam es zum Personalnotstand. Mehrere Mitarbeiter, darunter viele Pflegende, sind entweder erkrankt oder befinden sich in Quarantäne, und es ist nicht absehbar, ob sich weitere Mitarbeiter neu infizieren und ausfallen. Zudem dürfen die Bewohner wegen der hohen Infektionszahlen keinen Besuch von ihren Angehörigen erhalten, die sonst sehr zum Wohlbefinden und zur Betreuung der alten Menschen beitragen.
Dür arbeitet in Österreich, da war am Dienstag vergangene Woche Feiertag. „Deshalb habe ich gesagt, ich schaue mir das gern als Erster an und gebe Informationen an meine Kollegen von der Wasserwacht weiter, wie sie das Heilig-Geist-Hospital unterstützen können“, erzählt er.
Vor Dienstbeginn wird bei ihm ein CoronaSchnelltest gemacht, der zum Glück negativ ist. Ins Heim darf er nur mit Schutzanzug, Schutzmaske und Handschuhen. An diesem ersten Tag verschafft er sich mehr als einen Einblick in die Arbeit im Seniorenheim. „Ich werde in der nächsten Zeit, wann immer ich beruflich Luft habe, wieder hingehen“, sagt er. „Denn je besser ich mich auskenne, umso sinnvoller und größer ist meine Unterstützung für die Bewohner und die Mitarbeiter.“
Walter Dür merkt schnell, wie schwer die Situation vor allem für Demenzkranke ist. „Wenn beispielsweise Herr Müller positiv getestet ist, und man zu ihm sagt, Sie sind jetzt in Quarantäne und müssen in Ihrem Zimmer bleiben, dann steht er halt zwei Minuten später wieder am Fahrstuhl und fährt in den zweiten Stock. Oder möchte im Park spazieren gehen.“Eingesperrt werde keiner. „Trotzdem ist die Isolation wichtig, damit nicht noch mehr Bewohner angesteckt werden.“Demenz sei für Walter Dür kein Neuland, sein Vater war daran erkrankt. „Niemals widersprechen, das verwirrt die Leute nur zusätzlich“, erklärt er. Wenn ihn ein Bewohner nach zehn Minuten nicht mehr erkennt, stellt er sich einfach erneut vor „und dann ist das Lächeln wieder da und alles passt“.
Weil auch die Hausmeister ausgefallen sind, übernimmt Dür bereitwillig körperliche Arbeiten. Sammelt beispielsweise das Leergut ein und verteilt volle Wasserkisten im ganzen Haus. „Es ist wie ein großer Haushalt, in dem immer etwas gemacht werden muss“, sagt er. „Die rund 90 Bewohner müssen 24 Stunden am Tag, sieben Tage in der Woche gut versorgt sein. Egal, wie viele Hände dafür fehlen. Ich habe alles gemacht, worum ich gebeten wurde, was erforderlich war.“Gleich in der Früh bekommt er das Telefon für den Zimmernotruf in die Tasche. Wann immer ein Bewohner in seinem Zimmer auf den roten Knopf drückt, läutet dieses Telefon und er sieht, aus welchem Zimmer der Notruf eingeht. Schlimme Nöte waren bislang nicht dabei. Allerdings könnte Dür auch damit umgehen, denn als Sanitäter ist er für Notfälle geschult.
Die Bewohner brauchen Hilfe
Der Wasserburger Walter Dür will weiter bei der Pflege im Heilig-Geist-Hospital helfen. beim Fernseherumschalten, beim Toilettengang. Sie haben Durst, suchen ihre Brille oder können das Buch nicht aufheben, das ihnen zu Boden gefallen ist. Dür kann immer helfen: „Wenn jemand da ist und sagt, ich schau auf dich, ich pass auf dich auf, ich achte darauf, dass du zu essen und zu trinken bekommst, dann fühlen sie sich aufgehoben und beschützt, viel mehr zählt im Moment nicht.“Und die Pflegekräfte sind froh, dass sie ungestört ihr Programm verrichten können. „Ich konnte sie wirklich entlasten, sie haben mir mehrmals gesagt, wie froh sie sind, dass ich da bin.“
Auch die Bewohner, für die er ja fremd ist, reagieren positiv auf ihn. Sind aufgeschlossen. Erzählen ihm von ihrem Leben und zeigen ihm ihre Familienfotos. Dür hilft auch bei der Pflege, duscht beispielsweise einen Bewohner gemeinsam mit einer Pflegekraft, oder hilft beim Esseneingeben. „So ist das Leben. Mit dem Alter werden wir wieder zum kleinen Kind, brauchen Hilfe beim Essen, bei der Hygiene, bei allen ganz alltäglichen Dingen, die irgendwann nicht mehr gehen“, sagt er und erzählt, wie schön es war, sich zu dem einen oder anderen Bewohner zehn Minuten hinzusetzen und zuzuhören. Weil ihre Angehörigen derzeit nicht kommen dürfen, tue ihnen jedes persönlich gesprochene Wort gut. Es gebe viele Tätigkeiten, die man ohne medizinische Vorkenntnisse erledigen kann. Allerdings seien in der aktuellen Situation tatsächlich Helfer mit einer gewissen pflegerisch-medizinischen Ausbildung besonders wertvoll, weil das mehr Sicherheit für alle biete. „Wenn ich allein in ein Zimmer komme, sollte ich beurteilen können, ob ein Notfall vorliegt, oder ob eine Situation ganz normal ist“, sagt er.
Die Stimmung im Heilig-GeistHospital empfindet er als positiv, aber angespannt. Die Pflegenden machen sehr viele Überstunden, verzichten auf ihre freien Tage, arbeiten in Doppelschichten. Trotz Erschöpfung und Müdigkeit. Weil es nicht anders geht. Und keiner weiß, ob und wann der Nächste wegen Corona ausfällt und der Dienstplan erneut umgeworfen wird. „Sie haben mir erzählt, wie sehr es ihnen selbst fehlt, mit ihren Schutzbefohlenen einfach mal nur zu plaudern. Sie haben nur Zeit für das Notwendige. Auch Weihnachten sei noch weit weg, weil sie einfach keine Zeit für besinnliche Minuten haben“, sagt Dür und das tiefe Mitgefühl, das er mit den Pflegenden hat, ist ihm deutlich anzumerken.
Seine eigenen Kollegen hat er längst motiviert, ebenfalls Hilfseinsätze im Heilig-Geist-Hospital zu leisten. In die Liste, die dafür eingerichtet wurde, haben sich bereits einige eingetragen. „Jeder, der sich so einer Situation stellt, ist zweifelsohne einem Risiko ausgeliefert und muss für sich überlegen, ob er das eingehen möchte, oder zu Hause jemand hat, den er nicht gefährden darf“, sagt Dür. Für ihn sei absolut klar: „Wenn jemand Hilfe braucht, kann ich nicht wegbleiben und denken, die werden das schon irgendwie geregelt bekommen.“
Auch wenn die Bundeswehr jetzt zum Einsatz komme, seien Helfer für die Pflegenden weiterhin dringend nötig. Wer sich vorstellen könne, die Pflegekräfte zu unterstützen, solle sich unbedingt melden. „Es kann gar nicht genügend Leute geben, mit einem pflegerisch-medizinischen Grundverständnis, die Tage oder Wochen überbrücken können und flexibel einsetzbar sind. Ich kann nur dazu ermuntern, und jedem versprechen, dass es sich sehr gut anfühlt. Ich freue mich schon auf meinen nächsten Einsatz“, will er potenziellen Helfern Mut machen.
„Es ist eine zutiefst menschliche und befriedigende Erfahrung“, sagt er, und dass es besser sei, aktiv zu werden, Freude zu bringen, als auf die Zahlen zu starren und zu jammern, was man derzeit alles nicht darf. „Ich habe viele leuchtende Augen gesehen, habe erlebt, wie froh alle waren, dass ich da war. Als ich mich verabschiedet habe, haben alle gesagt, dass sie sich freuen, wenn ich wiederkomme. Und das werde ich. Denn es ist großartig, was die Leute dort leisten und wie sie auch in so schwierigen Zeiten stets mit viel Menschlichkeit und Liebe mit den Bewohnern umgehen.“Auch mit dem Senior, wenn er wieder mal in sein Zimmer zurückgebracht werden muss.
Walter Dür
„Wenn jemand Hilfe braucht, kann ich nicht wegbleiben und denken, die werden das schon irgendwie geregelt bekommen.“
„Es ist wie ein großer Haushalt, in dem immer etwas gemacht werden muss.“
Ansprechpartner bei der evangelischen Hospitalstiftung Lindau ist Peter Mrugowski unter Telefon 08382 / 94 85 40 oder per Mail an mrugowski@hospital-lindau.de