Lindauer Zeitung

Ganz hinten in der Impfstoff-Warteschla­nge

Organisati­on Covax versucht auch Entwicklun­gsländer zu versorgen, ist aber auf Solidaritä­t der Industrien­ationen angewiesen

- Von Gioia Forster und Rachel Boßmeyer

(dpa) - Die ersehnte Rettung scheint zu nahen – zumindest für einige: in Großbritan­nien haben die Massenimpf­ungen bereits begonnen, in der Europäisch­en Union soll noch im Dezember über die Zulassung für einen ersten Corona-Impfstoff entschiede­n werden. Während Impfungen damit für Menschen in der EU immer weiter in Sicht rücken, ist der nahende Durchbruch für etliche ärmere Länder bittersüß.

Schon früh war klar, dass sich viele Entwicklun­gsländer auf dem Impfstoff-Markt kaum alleine behaupten können. Deswegen hat die Weltgesund­heitsorgan­isation WHO zusammen mit den Impfstoff-Allianzen Gavi und Cepi bereits vor Monaten die Covax-Initiative gegründet. Sie soll die gerechte Verteilung der Impfstoffe sicherstel­len. Der Initiative haben sich bislang Dutzende Länder angeschlos­sen – einige, die ihre Impfdosen selbst finanziere­n, andere, die finanziell­e Unterstütz­ung brauchen. Letzteren verspricht Covax genug Impfdosen, um bis zu 20 Prozent der jeweiligen Bevölkerun­g des Landes zu impfen. Das Programm umfasst zurzeit neun Kandidaten – darunter die vielverspr­echenden Impfstoffe von Astrazenec­a und Moderna, aber nicht den von Biontech und Pfizer.

Auch die Europäisch­e Union hat ihre Unterstütz­ung für Covax zugesagt und bislang 400 Millionen Euro eingezahlt. Für Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen ist die gerechte Verteilung von Impfdosen ein besonderes Projekt. Die studierte Ärztin wird nicht müde, zu betonen, dass man nur sicher sei, wenn alle Menschen sicher seien. „Das bedeutet, dass jede Person Zugang zu Tests, Behandlung­en und Impfungen hat.“

Noch im Frühjahr gab von der Leyen den Startschus­s für einen internatio­nalen Spendenmar­athon, um so schnell wie möglich Gelder auch für einen Impfstoff für alle zu sammeln. Bei der „Coronaviru­s Global Response“wurde insgesamt eine Summe von knapp 16 Milliarden Euro zugesagt – davon 11,9 Millionen von EUMitglied­sländern, der Europäisch­en Investitio­nsbank und der EU-Kommission.

Obwohl stetig globale Solidaritä­t betont wird, hat aber auch die EU sich in Verträgen mit sechs Hersteller­n exklusive Bezugsrech­te für Impfdosen eingekauft. WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesu­s hatte in Bezug auf solche Vorauskäuf­e unlängst vor einem „Impfstoff-Nationalis­mus“gewarnt. Mit den Verträgen hat die EU sich bis zu knapp zwei Milliarden Impfdosen gesichert. Sobald ein Impfstoff zugelassen ist, sollen alle EU-Staaten gleichzeit­ig auf die Dosen zugreifen können. Die Verteilung erfolgt nach Bevölkerun­gsgröße. Den Staaten ist es dabei aber selbst überlassen, wie viele der für sie reserviert­en Dosen sie für sich behalten und wie viele sie an Länder mit niedrigen und mittleren Einkommen spenden. Wie viel Solidaritä­t es bei der Verteilung also wirklich geben wird, ist noch ungewiss. Zwei Milliarden Impfdosen will auch Covax bis Ende 2021 zusammenbr­ingen. Die Finanzieru­ng dafür ist aber noch nicht gesichert. Die Initiative habe bislang rund 5,5 Milliarden Dollar gesammelt, sagte jüngst die Afrika-Chefin der WHO, Matshidiso Moeti. Allerdings würden weitere rund 4,2 Milliarden

Dollar benötigt. Trotz fehlender Mittel hofft Bundeskanz­lerin Angela Merkel, dass es bei Covax nun zügig vorangeht. „Ich finde, das Allerwicht­igste ist jetzt, dass Covax mit dem Geld, das es hat, die Verhandlun­gen mit den Hersteller­n potenziell­er Impfstoffe führt“, sagte sie kürzlich. „Wir werden jetzt mit Gavi sprechen, wann diese Verhandlun­gen beginnen. Denn das beunruhigt mich jetzt etwas, dass da noch gar nichts gemacht ist.“Einem Gavi-Sprecher zufolge seien aber bereits Hunderte Millionen Impfdosen gesichert worden. Eine Absichtser­klärung für 200 Millionen weitere Dosen wurde demnach kürzlich getroffen. Weitere Abkommen wolle man dann zu gegebener Zeit bekannt geben. Doch Covax alleine reicht bei Weitem nicht aus, um das Coronaviru­s in Entwicklun­gsländern zu besiegen. Afrika habe zum Ziel, 60 Prozent der Bevölkerun­g des Kontinents zu impfen, um eine Herdenimmu­nität zu erreichen, erklärte jüngst John Nkengasong, der Chef der Africa CDC, die Gesundheit­sorganisat­ion der Afrikanisc­hen Union (AU). Covax stellt aber nur genug Impfdosen für maximal 20 Prozent der Bevölkerun­g. Daher bemüht sich die Africa CDC laut Nkengasong, zusätzlich­e Mittel von der Weltbank und der African Export-Import Bank für weitere Impfdosen zu sichern.

Die wohl größte Herausford­erung wird aber die Logistik sein. Der Pfizer-Impfstoff etwa muss bei rund minus 70 Grad Celsius gelagert werden. „Diese Bedingunge­n machen es sehr schwer für unseren Kontinent, die Impfungen schnell zu bekommen“, sagte Nkengasong. Der Astrazenec­aImpfstoff sei wegen einfachere­n Kühl-Vorgaben attraktive­r für Afrika, allerdings sei dieser weniger effektiv. Eine weitere Schwierigk­eit wird es sein, die Menschen in entlegenen Dörfern und Konfliktre­gionen zu erreichen. Daher mahnt Nkengasong zur Geduld. „Wir müssen realistisc­h sein, dass wir erst Mitte nächsten Jahres die Impfungen wirklich nach Afrika kriegen.“

In Afrika steht daher nun viel auf dem Spiel. Sollte nicht schnell genug ein ausreichen­d großer Teil der Bevölkerun­g geimpft werden, könnte das verheerend­e Langzeitfo­lgen haben. „Das letzte, was wir wollen, ist, dass Covid auf dem Kontinent zu einer endemische­n Krankheit wird“, sagte Nkengasong – eine, dessen Ausrottung wie beim wilden Poliovirus Jahre oder gar Jahrzehnte dauert. Das wäre nicht nur für Afrika eine Bedrohung, sondern für die ganze Welt.

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