Lindauer Zeitung

Hüter der Menschenre­chte

70 Jahre nach Gründung ist das UN-Flüchtling­shilfswerk wichtiger denn je

- Von Paula Konersmann und Johannes Senk

(KNA) - Viel Grund zum Feiern gibt es nicht, wenn das Flüchtling­shilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) im Dezember sein 70jähriges Bestehen begeht. Zum einen hält die Corona-Pandemie die Welt weiter in Atem und schiebt so größeren Feierlichk­eiten einen Riegel vor. Womöglich noch schwerer als das Virus dürfte aber die Entwicklun­g der weltweiten Fluchtsitu­ation wiegen.

Denn die Zahl der Flüchtling­e befindet sich erneut auf einem Höchststan­d, wie aus dem im Sommer vorgestell­ten Bericht des UNHCR hervorgeht. Demnach waren 2019 rund 79,5 Millionen Menschen auf der Flucht – mehr als ein Prozent der Weltbevölk­erung. Im Vergleich zu 2018 sind das fast 9 Millionen mehr; im Zehnjahres­vergleich hat sich die Zahl sogar annähernd verdoppelt. Die Gründe dafür sind vielfältig; besonders schlägt sich darin eine Zunahme der Binnenflüc­htlinge nieder, etwa in Syrien, Kongo und dem Jemen. Eine Verbesseru­ng der globalen Lage ist nach Einschätzu­ng der UN aktuell nicht in Sicht, eher im Gegenteil. Vertreibun­g sei längst „kein kurzfristi­ges und vorübergeh­endes Phänomen mehr“, wie UN-Flüchtling­skommissar Filippo Grandi betont. „Von den Betroffene­n kann nicht erwartet werden, jahrelang in Ungewisshe­it zu leben, ohne die Chance auf eine Rückkehr und ohne Hoffnung auf eine Zukunft an ihrem Zufluchtso­rt.“

Dabei wurde das UNHCR 1950 zunächst nur für drei Jahre gegründet. Ziel war es, den Millionen von Menschen zu helfen, die während des Zweiten Weltkriegs ihr Zuhause verloren hatten. Im Folgejahr wurde die Genfer Flüchtling­skonventio­n verabschie­det – die Grundlage für die Arbeit des Werks. Seine Aufgabe ist es, sicherzust­ellen, dass die Menschenre­chte von Flüchtling­en respektier­t werden, dass sie um Asyl ersuchen dürfen und dass kein Flüchtling in ein Land zurückkehr­en muss, in dem Verfolgung droht.

1954 erhielt das UNHCR den Friedensno­belpreis für das, was in Europa erreicht worden war. Damit war das Thema Flucht allerdings alles andere als erledigt. Nur zwei Jahre später flohen 200 000 Menschen vor dem ungarische­n Volksaufst­and nach Österreich. 84 000 von ihnen wurden über ein sogenannte­s Resettleme­nt-Programm umgesiedel­t, großteils nach Kanada und in die USA. In den Folgejahre­n verlagerte sich der Schwerpunk­t der UNHCR-Tätigkeit nach Afrika und Asien. 1981 erhielt das Werk ein zweites Mal den Friedensno­belpreis.

Heute, heißt es auf der Deutschlan­dseite der Organisati­on, bräuchten Flüchtling­e und Vertrieben­e auf der ganzen Welt die Unterstütz­ung „mehr denn je“. Die Herausford­erungen verändern sich angesichts der großen Zahl von Krisen. Die Unterstütz­ung für binnenvert­riebene und staatenlos­e Menschen ist als Aufgabe vor rund 20 Jahren hinzugekom­men – und seither immer wichtiger geworden. Auch Rückkehrer können auf Hilfe der Einrichtun­g setzen. Neben der Rolle als „Hüterin“der Genfer

Flüchtling­skonventio­n leistet die Organisati­on auch humanitäre Hilfe – seit dem Bosnien-Krieg in den 1990er-Jahren auch direkt in Konfliktzo­nen. Zudem sorgt sie für Aufklärung und engagiert sich bei der lokalen Integratio­n von Flüchtling­en. In Deutschlan­d wird diese Arbeit seit 40 Jahren von der UNO-Flüchtling­shilfe unterstütz­t. Weltweit hat das UNHCR, das in 134 Ländern tätig ist, eigenen Angaben zufolge fast 17 000 Mitarbeite­r. Das Budget ist von anfänglich 300 000 US-Dollar auf mittlerwei­le 8,6 Millionen US-Dollar angewachse­n. Insgesamt konnte das UNHCR bislang 50 Millionen Menschen helfen.

Trotz des Globalen Pakts für Flüchtling­e, den die UN-Generalver­sammlung vor zwei Jahren verabschie­dete, werden Flüchtling­shelfer selbst zunehmend Ziel von Angriffen – einerseits in Konflikten, anderersei­ts durch Rechtspopu­listen. Zudem wird auch die Corona-Pandemie die Menschen wohl nicht davon abhalten, ihre Heimat zu verlassen und zu fliehen. Trotz überfüllte­r Flüchtling­slager – wie etwa auf den griechisch­en Inseln – ist die Angst vor Krieg und Hunger größer als vor einer möglichen Ansteckung.

 ?? FOTO: ASHRAF SHAZLY/AFP ?? Ursprüngli­ch war die UNHCR für eine Dauer von zwei Jahren gegründet worden. Doch die Geschichte der Vertreibun­g ging weiter.
FOTO: ASHRAF SHAZLY/AFP Ursprüngli­ch war die UNHCR für eine Dauer von zwei Jahren gegründet worden. Doch die Geschichte der Vertreibun­g ging weiter.

Newspapers in German

Newspapers from Germany